05.03.2016 - 17:30 Uhr
DasguteLeben
132 Rezensionen
DasguteLeben
Sehr hilfreiche Rezension
11
Platonische Essenz des Fougère
Ganze vierzehn Jahre nach Patou pour homme erschien 1994 der (rein nominelle) Flanker Privé (oh beglückende Langsamkeit) und Jean Kerléo stand vor der Herausforderung absolute Perfektion zu ergänzen. Glücklicherweise war er immer noch auf dem Zenith seiner Schaffenskraft und es gelang ihm der Coup seinem Meisterwerk von 1980 ein ebenbürtiges Pendant gegenüberzustellen. Es ist schon oft geschrieben worden, aber stets wieder erwähnenswert, dass Privé mit der perfektesten und schönsten Lavendelnote des Universums seinen Fougère-Reigen beginnt. Der wunderbar klare Lavendel wird von sehr sanften Zitrusnoten umrankt, sowie von einer köstlichen Grünnote (Galbanum) und einem Jasmin, das mir - ernsthaft - körperlich bis ins tiefste Mark fährt; mein vegetatives Nervensystem fängt regelrecht zu tanzen an von diesem Akkord. Auch meine ich jetzt schon das Sandelholz wahrzunehmen, welches später noch deutlicher hervortreten wird, und es ist keine synthetische Note oder Natur-Ersatz, sondern eindeutig echtes Mysore Santalum Album (wenn man es einmal pur gerochen hat, erkennt man es sofort wieder, selbst in Spuren). Es bleibt wunderbar, wenn sich die heuige Coumarinnote entfaltet, mit rauchigen Aspekten, und zur bestehenden Harmonie einfügt, mit einigen brillianten Soli. Aber vielleicht ist auch der nahende Fond das Schönste an Privé? Selten habe ich eine so zum Niederknien vollkommene Basis aus den einfachen, klassischen Komponenten erlebt: pudrige Iris, rauchiges Eichenmoos und Patchouli, milchig-süß-holziges Sandelholz, feine Vanille kann man eindeutig identifizieren, wenn man sich intensiv konzentriert, denn wie schon bei Patou pour homme ist das Blending meisterhaft und steht den größten Variationen der Guerlinade in nichts nach. Dass das beste Fougère aller Zeiten deutliche orientalische Tendenzen aufweist ist vielleicht eine Referenz an die Meisterschaft der Genre-Jonglage von Patou pour homme (siehe meine gestrige Rezension) und zeigt erneut mit welch genialischer Begabung Kerléo die Klaviatur der Rohstoffe und der französischen Parfümtradition beherrscht um - in Streckung Dehnung aller Regeln - wundersam perfekte Akkorde in die Welt zu setzen. Privé ist insgesamt zugänglicher als sein älterer Cousin und bei aller Kunstfertigkeit und ästhetischer Perfektion eine schiere Freude für die Nase - fürwahr eine platonische Essenz, die Heerscharen von Parfüms zu bloßen Schatten degradiert. Wer Parfüm liebt MUSS diesen Duft wenigstens einmal im Leben einsaugen, zumindest eine winzige Abfüllung zu ergattern ist erste Bürgerpflicht für den Parfumisto, denn diese Vollkommenheit gehört zu einer vergangenen Epoche und sie noch erleben zu können entspricht der Erfahrung Atlantis vor seinem Untergang zu erblicken.
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