Tivellon
Top Rezension
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Ein Gewand aus Samt und Seide
Um es vorneweg zu nehmen: Dieser Duft hat starke Ähnlichkeit zu Hypnotic Poison von Dior.
Allerdings gefällt mir Guipure & Silk besser, denn er ist trotz exakt der gleichen Vanillenote zusätzlich blumiger und nicht so erschlagend in seiner Pudding-Vanillepulver-Note.
Ich bin ein riesengroßer Vanille-Duft-Fan, liebe und habe Vanitas, Orchidée Vanille, Note Vanillee, La Maison de la Vanille, usw. doch Hypnotic Poison habe ich trotz mehrmaliger Anschaffungen immer wieder weiter gegeben; er überzeugte mich nie ganz.
Die typische Vanillenote empfinde ich als sehr eigen und intensiv. Sie hat etwas Trocken-Bitter-Staubiges und ist wahrlich opulent. Beide Vanillenoten, sowohl im HP und im G & S, erinnern mich an Vanillepudding-Pulver, wenn man es pur in eine Schüssel gibt und bevor die Milch dazu kommt, die Nase drüber hält. Oder eine Mischung aus diesem Geruchseindruck und der Verstärkung, wenn man seinen Finger ableckt, kurz ins Pulver steckt, um diesen dann wieder auf die Zunge zu tippen. Plus enorm viel Zucker und Mandelbackaroma.
Sowohl HP als auch G & S empfinde ich süß, schwer, orientalisch, mandel-vanillig und Eigelbdotter lastig, versetzt mit honigsüßem Jasmin, deutlichen Mandeln und Kokosnuss. Ein klein wenig auch künstlich – oder gar nicht mal so wenig künstlich?
Jetzt schreibe ich so viel über diese Vanillenote und ja, auch wenn sie nicht ganz die meine ist, sie polarisiert auf jeden Fall!
Was HP mit Aprikose, Pflaume und Piment erreicht, kreirt G & S mit Angelika, Lakritz und süßen Mandeln. Kokos haben sie beide in der Kopfnote, die ich trotz dieser großen Unterschiede als nahezu identisch wahrnehme.
In der Herznote erscheint der erste Unterschied, der sich im G & S für meinen Gechmack raffinierter und fein abgestimmter mit der prägnanten Vanillenote offenbart.
Jasmin und Rose sind beiden Düften im Herz zu eigen. Aber G & S wird blumiger, vieldimensionaler, raffinierter und interessanter durch Blumen wie Frangipani, Heliotrop, Mimose, Orangenblüten und erdende Nelken. Ein Hauch Frische ist auch dabei, die die schwere Vanille unterstreicht wie Chili die Süße in Schokolade hervorhebt.
Im HP sollen es Maiglöckchen, Tuberose und Rosenholz sein. Das schnuppere ich aber kaum einzeln heraus, sondern zusammen mit den Mandeln riecht HP für mich sehr linear.
Dann in der Basis wandelt sich Guirpure & Silk zu einer hautnahen Aura, die süß-bittere Schwere der speziellen Vanillenote ist leichter geworden und fein mit leichten, warm-süßen Blüten und der Sauberkeit und Frische von Moschus und Eichenmoos verwoben. Das empfinde ich abwechslungsreicher als HP und den Spannungsbogen dieser Spezialvanille erhaltender. Edel und samtig. Keine Mandeln mehr.
Abschließend finde ich, hat G & S eine Entwicklung, HP nicht.
Und dann dieser schöne, besondere Flakon! Das Bild wird ihm nicht gerecht, er ist gestreckter, offener, heller – nicht so gedrückt und dunkel wie auf dem Foto. Obwohl die Farbe des Parfums authentisch ist. Der Flakon ist teenifaustgroß und mit diesem tollen Einsatz sieht er aus wie ein indonesischer Scherenschnitt. Es soll aber eine Ätzstickerei sein...
Guipure bezeichnet eine ganz besondere Form der Spitzen-Stickerei, die in der Haute Couture, z.B. Prada, Verwendung findet oder fand. Hier wird zunächst das Muster auf das Grundgewebe gestickt, welches anschließend weggeätzt wird. Das Ergebnis ist filigran und besonders, denn es sieht aus wie eine auf ein Gespinst aufgetragene, aufwendig gearbeitete Klöppelspitze.
Wirklich wunderschön! Meinen Guipure & Silk geb ich nicht mehr her und für alle HP-Liebhaber - aber auch alle, die HP nicht ganz überzeugen kann und die doch opulenten Orientale lieben - sicher ein spannender Testkandidat.