19.06.2018 - 15:10 Uhr
Meggi
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Out at the Jahrmarkt and the Baumarkt
„5000 Nights at the opera“ lautet der Titel der Memoiren von Sir Rudolf Bing. 1933 nach Großbritannien emigriert, wurde Bing im Jahr darauf Mitbegründer und Intendant der ‚Glyndebourne Festival Opera‘. Von 1950 an leitete er 22 Jahre lang die Geschicke der Metropolitan Opera in New York.
Begonnen hatte Letzteres reichlich unrund. Bing schildert, dass seine ersten Vorab-Erlebnisse an der ‚Met‘ ihm wie eine Lehrstunde vorgekommen seien, wie ein Opernhaus besser nicht zu führen sei. Selbst wenn bei derlei Äußerungen eine gewisse Eitelkeit des Rückblickenden unterstellt werden darf, so wird doch – allemal aus der Perspektive eines Kunstsinnigen aus „Old Europe“ – manches im Argen gelegen haben. Bing beschreibt etwa den deprimierenden Eröffnungsabend der Spielzeit 1949/50. Nicht wegen einer misslungenen Aufführung, sondern wegen des Publikums: „Ich hatte noch nie ein solches Benehmen in einem Opernhaus erlebt, … viele der Zuschauer [gingen] Jahr für Jahr nur dieses einzige Mal in die Oper – Café-Society niedrigster Güte, Klatschkolumnisten der Regenbogen-Presse, Prominentengaffer und Clowns, die nach jeder Publicity gieren, der zuliebe Zeitungen und jetzt auch noch das Fernsehen über jedes groteske Ereignis und jede aufsehenerregende Erscheinung … genauestens berichteten.“
Einen womöglich vergleichbar erwartungshaltungs-enttäuschenden Kulturschock erlebe ich mit diesem Duft. Der ist eher ‚Out at the Jahrmarkt and the Baumarkt‘ statt ‚at the Opera‘. Der Auftakt riecht ungefähr so, wie Cindy aus Marzahn aussieht: Eine schreiend bonbonhaft-pseudoflorale Wolke steigt empor. Rasch verliert sie ihr Aroma und hinterlässt vor allem möchtegern-angefruchtete, minimal-florale Zuckerwatte-Süße. Rosafarbene Zuckerwatte vom Jahrmarkt eben – die entsprechende Farbe der Flüssigkeit mag kein Zufall sein. Darunter liegt ein Sinuston-Holz, Safran gibt was Dumpf-Muffiges mit rein. Aber die Zuckerwatte überwiegt und von Oud spüre ich nichts. Rose? Also bitte!
Am späteren Vormittag trötet eine penetrante zuckrige Süße mit minimalem Alibi-Bonbon-Aroma auf einer leblos-stumpf-muffigen Spanplatte wie aus dem Baumarkt. Klingt verdächtig ähnlich wie im Absatz davor? Eben! Garniert wird das lediglich allmählich von einer cremigen Attitüde.
Es muss Mittag werden, bevor der Duft Art entwickelt. Eine helle, fruchtig behauchte Sauber-Moschus-Note erscheint und stellt nunmehr ein bindendes Element zwischen den beiden Märkten (Jahr- und Bau-) dar. Der Bonbon-Kitsch wird endlich gebändigt. In erster Linie freilich entsteht eine süßliche Halspastillen-Ledernote, ganz dezent. Trotzdem degradiert sie die bisherigen Hauptdarsteller, die im Vergleich geradezu karikaturesk wirken, umgehend zu Statisten, dermaßen nasenfällig ist ihr Vorsprung an Charakter. Nun ist allerdings der Hinweis geboten, dass wir uns im relativen Bereich bewegen. Ich finde das jetzt Entstandene ordentlich, mehr nicht. Und für mich weiterhin deutlich zu süß und zu banal-synthetisch.
Am frühen Nachmittag schwindet der Leder-Anker wieder und der Duft kehrt, obwohl moschus-creme-gemildert, im Stil zu alten Untugenden zurück: Laborielle Ansatzfloral-Süße auf Pressholz-Unterlage. Glücklicherweise lässt die Intensität in der sechsten, siebenten Stunde schon merklich nach. Am Ende verbleibt ein frucht-floral betupfter Moschus von üblichem Stehvermögen.
Mit ein wenig Abstand von der Haut – das sei nicht verschwiegen – macht der Duft einen besseren Eindruck, weil die Holz-Synthetik dann kaum auffällt. Mithin: Nicht zu dicht ran! Hm… Opernsänger in Aktion sehen aus der Nähe betrachtet auch nicht immer ausschließlich ästhetisch aus, wie beispielsweise die mitleidlosen Nahaufnahmen bei TV-Übertragungen zeigen. Na ja, zufriedenstellend ist diese Erklärung für den Namen nicht. Vergessen wir das.
Fazit: Ich bin schwer enttäuscht und wäre nie darauf gekommen, einen Fast-200-Euronen-Duft vor mir zu haben. Die eine oder andere Unpräzision oder ungewohnte Pauschalierung bei meinen Ausführungen bitte ich zu entschuldigen, ich hatte schlichtweg keine Lust auf fortwährendes Hinriechen. Irre, wie der Duft hier teils geliebt wird. Wie ich Euch den gönne!
Ich bedanke mich bei 0815abc für die Probe.
PS: Einen Erklärungsversuch habe ich noch. Apropos Cindy aus Marzahn - Bing erinnert sich an einen Auftritt von Lauritz Melchior (einem bis heute unübertroffenen Heldentenor) als ‚Tannhäuser‘ im Jahr 1939. Er habe wundervoll gesungen, aber ausgesehen „wie ein wandelndes rotes Plüschsofa.“
Hm. Unwahrscheinlich, dass Philly & Phill genau dieses Bild im Kopf hatten. Ich gebe auf.
Begonnen hatte Letzteres reichlich unrund. Bing schildert, dass seine ersten Vorab-Erlebnisse an der ‚Met‘ ihm wie eine Lehrstunde vorgekommen seien, wie ein Opernhaus besser nicht zu führen sei. Selbst wenn bei derlei Äußerungen eine gewisse Eitelkeit des Rückblickenden unterstellt werden darf, so wird doch – allemal aus der Perspektive eines Kunstsinnigen aus „Old Europe“ – manches im Argen gelegen haben. Bing beschreibt etwa den deprimierenden Eröffnungsabend der Spielzeit 1949/50. Nicht wegen einer misslungenen Aufführung, sondern wegen des Publikums: „Ich hatte noch nie ein solches Benehmen in einem Opernhaus erlebt, … viele der Zuschauer [gingen] Jahr für Jahr nur dieses einzige Mal in die Oper – Café-Society niedrigster Güte, Klatschkolumnisten der Regenbogen-Presse, Prominentengaffer und Clowns, die nach jeder Publicity gieren, der zuliebe Zeitungen und jetzt auch noch das Fernsehen über jedes groteske Ereignis und jede aufsehenerregende Erscheinung … genauestens berichteten.“
Einen womöglich vergleichbar erwartungshaltungs-enttäuschenden Kulturschock erlebe ich mit diesem Duft. Der ist eher ‚Out at the Jahrmarkt and the Baumarkt‘ statt ‚at the Opera‘. Der Auftakt riecht ungefähr so, wie Cindy aus Marzahn aussieht: Eine schreiend bonbonhaft-pseudoflorale Wolke steigt empor. Rasch verliert sie ihr Aroma und hinterlässt vor allem möchtegern-angefruchtete, minimal-florale Zuckerwatte-Süße. Rosafarbene Zuckerwatte vom Jahrmarkt eben – die entsprechende Farbe der Flüssigkeit mag kein Zufall sein. Darunter liegt ein Sinuston-Holz, Safran gibt was Dumpf-Muffiges mit rein. Aber die Zuckerwatte überwiegt und von Oud spüre ich nichts. Rose? Also bitte!
Am späteren Vormittag trötet eine penetrante zuckrige Süße mit minimalem Alibi-Bonbon-Aroma auf einer leblos-stumpf-muffigen Spanplatte wie aus dem Baumarkt. Klingt verdächtig ähnlich wie im Absatz davor? Eben! Garniert wird das lediglich allmählich von einer cremigen Attitüde.
Es muss Mittag werden, bevor der Duft Art entwickelt. Eine helle, fruchtig behauchte Sauber-Moschus-Note erscheint und stellt nunmehr ein bindendes Element zwischen den beiden Märkten (Jahr- und Bau-) dar. Der Bonbon-Kitsch wird endlich gebändigt. In erster Linie freilich entsteht eine süßliche Halspastillen-Ledernote, ganz dezent. Trotzdem degradiert sie die bisherigen Hauptdarsteller, die im Vergleich geradezu karikaturesk wirken, umgehend zu Statisten, dermaßen nasenfällig ist ihr Vorsprung an Charakter. Nun ist allerdings der Hinweis geboten, dass wir uns im relativen Bereich bewegen. Ich finde das jetzt Entstandene ordentlich, mehr nicht. Und für mich weiterhin deutlich zu süß und zu banal-synthetisch.
Am frühen Nachmittag schwindet der Leder-Anker wieder und der Duft kehrt, obwohl moschus-creme-gemildert, im Stil zu alten Untugenden zurück: Laborielle Ansatzfloral-Süße auf Pressholz-Unterlage. Glücklicherweise lässt die Intensität in der sechsten, siebenten Stunde schon merklich nach. Am Ende verbleibt ein frucht-floral betupfter Moschus von üblichem Stehvermögen.
Mit ein wenig Abstand von der Haut – das sei nicht verschwiegen – macht der Duft einen besseren Eindruck, weil die Holz-Synthetik dann kaum auffällt. Mithin: Nicht zu dicht ran! Hm… Opernsänger in Aktion sehen aus der Nähe betrachtet auch nicht immer ausschließlich ästhetisch aus, wie beispielsweise die mitleidlosen Nahaufnahmen bei TV-Übertragungen zeigen. Na ja, zufriedenstellend ist diese Erklärung für den Namen nicht. Vergessen wir das.
Fazit: Ich bin schwer enttäuscht und wäre nie darauf gekommen, einen Fast-200-Euronen-Duft vor mir zu haben. Die eine oder andere Unpräzision oder ungewohnte Pauschalierung bei meinen Ausführungen bitte ich zu entschuldigen, ich hatte schlichtweg keine Lust auf fortwährendes Hinriechen. Irre, wie der Duft hier teils geliebt wird. Wie ich Euch den gönne!
Ich bedanke mich bei 0815abc für die Probe.
PS: Einen Erklärungsversuch habe ich noch. Apropos Cindy aus Marzahn - Bing erinnert sich an einen Auftritt von Lauritz Melchior (einem bis heute unübertroffenen Heldentenor) als ‚Tannhäuser‘ im Jahr 1939. Er habe wundervoll gesungen, aber ausgesehen „wie ein wandelndes rotes Plüschsofa.“
Hm. Unwahrscheinlich, dass Philly & Phill genau dieses Bild im Kopf hatten. Ich gebe auf.
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