Puh, schwieriges Thema. Parfüm ist für mich prinzipiell die Kombination von Handwerk, Kreativität und Kunst. Auch wenn die Zigarre von der Tankstelle ihren Zweck erfüllt, eine handgerollte Cohiba jedoch ein unvergleichliches Lebensgefühl transportiert, verhält es sich auch mit Düften. Der Duft vom Discounter lässt dich gut riechen, mir würde das aber nicht reichen. Für mich sind Parfüms Erzählungen, die auf der Haut lebendig werden und mit tollen Erfahrungen stetig wachsen. Düfte geben mir tatsächlich Kraft und lassen mich an tolle Momente erinnern.
Der aktuelle status quo stört mich allerdings. Der Hype um bestimmte Marken und Düfte hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Die wahre Kunst wird zunehmend verwässert, wenn das Urteil über Qualität nicht mehr aus Wahrnehmung entsteht, sondern aus der Zahl der Komplimente. Ist so, sorry. Düfte verlieren an Tiefe, wenn sie nur noch als Mittel zur Bestätigung dienen. Düfte sollten nicht nur zur Bestätigung dienen, sondern den eigenen Charakter widerspiegeln.
Auch die fehlende Preissensibilität ist bemerkenswert. Mit tollen Marketingmechanismen wird bei der Zielgruppe ein Verlangen geweckt, das weit über rationales Bedürfnis hinausgeht. Preise steigen ins Astronomische und dennoch scheint die Zielgruppe bereitwillig zuzugreifen, verführt von der kunstvollen Darstellung der Marken. Die Preissensitivität wird quasi ausgehebelt. Wirklich ein Paradebeispiel für starkes Marketing! Für mich als Jugendlicher war es unvorstellbar, Parfums in den preislichen Sphären von Xerjoff, Initio oder Parfums de Marly zu besitzen, ohne dafür auf anderes verzichten zu müssen. Heute jedoch scheint das Bedürfnis nach solchen Düften größer zu sein als jeder preislichen Grenze, getragen von Marketing, das Begehrlichkeiten erzeugt. Befeuert wird diese Entwicklung vor allem durch Influencer. Ursprünglich sollten sie ehrliche und ungefilterte Meinungen teilen. Der Höhepunkt ist erreicht, wenn plötzlich eigene Düfte auf den Markt gebracht werden. Betriebswirtschaftlich ist das ein kluges Konzept.
Sind Nischendüfte also ihren Preis wert? Es hängt davon ab. Wo Handwerk, Kreativität und Authentizität zusammenfinden, lohnt es sich. Wo jedoch nur ein künstlich erzeugter Hype wirkt, bleibt fraglich, ob die Kunst im Vordergrund steht. Kritisches Denken und vor allem Hinterfragen ist einfach wichtig.
Zum Glück gibt es Häuser wie Amouage, deren Manufaktur ich im Oman besucht habe und wo Düfte auf ein anderes Niveau gehoben werden. Natürlich wird hier auch gutes Marketing betrieben und die Marke wächst, allerdings bieten die Düfte auch etwas. Auch die älteren Batches von Roja tragen noch dieses handwerkliche Können und das Besondere. Ich mag auch diesen unkonventionellen Italiener, Alessandro Gualtieri, der mit Orto Parisi und Nasomatto wirkliche Kunstwerke schafft. Ich gebe zu, die Düfte polarisieren, klar, sind aber Kunst. Francesca Bianchi beweist auch, dass wahre Parfumkunst auch zu fairen Preisen möglich ist. Enger wird das Feld, wenn es um Mainstream-Nischenmarken geht.
Düfte, die zugleich gut und erschwinglich sind, finde ich besonders bei arabischen Häusern. Marken wie Taif al Emarat, Emirates Pride und teilweise auch Arabian Oud. Dort wird mein persönlicher „sweet spot“ aus Rationalität und Begeisterung getroffen.
Zuletzt bearbeitet von Gamboo88 am 26.08.2025 - 05:57 Uhr, insgesamt einmal bearbeitet