31.07.2020 - 10:30 Uhr
FvSpee
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Colonialwaren V: The Bugged Barber
Etwa hundert Jahre nach dem sehr schönen von mir bereits anderweitig gewürdigten "gelben" Cologne von Alvarez Gomez hat das traditionsreiche spanische Dufthaus sich entschieden, auch eine (schon dem Etikett nach) braune Variante auf den Markt zu bringen. Diese stellt allerdings keinen Flanker, sondern einen Duft eigener Art dar.
Die hier gelegentlich ins Spiel gebrachten Reminiszenzen an Erfrischungsstäbchen (die ich übrigens sehr mag, wenn sie gut gekühlt sind, hmmmm) kann ich nicht so nachvollziehen. Denn dieser Barbier ist für mich nicht nur überhaupt nicht süß, sondern auch erstaunlich wenig zitrisch, und wenn schon, dann eher auf den Kopf gestellt orangig. Aber der Reihe nach und systematisch:
Bei "Barberia" (spanisch für Herrenfriseur, Barbiergeschäft - aber vielleicht auch ein kleines Wortspiel mit ruibarbo für Rhabarber) muss ich eine Doppelverdutzung überwinden.
Zunächst: Ich sprühe den Duft sehr, sehr großzügig (und damit meine ich durchaus so zwanzig Sprühstöße, also im Sinne eines Splashsurrogatsprühens) auf - und spüre nach einer ganz, ganz kurzen scharfwürzigen, an Gewürznelke und Kardamom erinnernden Zitrik erst einmal - nichts (weshalb ich auch immer noch mehr nachsprühe). Das ist sehr merkwürdig und mir so bei noch keinem anderen Duft passiert. Erst nach einigen Minuten taucht der Duft dann aus der Tiefe des Raumes auf, und zwar immer stärker werdend. Es ist, als ob er erst einmal von der Haut komplett aufgesogen worden wäre, um sich dann im Körperinnern erst zu konfigurieren und nach der dort erfahrenen Finissage, ordentlich gekämmt und gebürstet, wieder an die Oberfläche zu kommen.
Dann gilt es eine ziemlich schwierige Phase zu überwinden. Es ist so, als ob statt der kopfnotentypischen Hesperidik erst einmal ein scharfer Ingwer, vor allem aber ein säuerlicher Rhabarber und ein, nun, sagen wir mal, strenger Koriander regiert. Der Rhabarber entströmt dabei möglicherweise dem Rhabarberkuchen von Trudchen Korianke. Ihr Ehegemahl schätzt - wie Fittleworths Kommentar belegt - diesen Duft ja sehr und hält ihn in seinem Friseurgeschäft vorrätig. Süß ist der Kuchen aber nicht, sondern maximal säuerlich-frisch. Koriander tritt hier nicht als das kuchengewürzartige, aus den Samen bzw. Früchten gewonnene Korianderpulver auf, sondern als das von vielen (auch von mir) als sehr schwierig empfundene Korianderkraut, das u.a. in der südamerikanischen, asiatischen, aber teils auch iberischen Küche als Würzkraut verwendet wird. Es wird nicht umsonst ob seines Geruchs auch "Wanzenkraut" genannt.
In dieser Phase, in der ich noch gewisse - in der Pyramide nicht verzeichnete - florale Überhänge wahrzunehmen meine, ist Barberia auf jeden Fall mal ein klares Statement. Das ist kein Weichei-Wässerchen. Wer sich hier beschwert, bekommt, wie weiland bei Wanda, ein Büschel Wanzenkraut als Knebel verpasst und je eine Rhabarberstange in die Nasenlöcher gesteckt.
Etwa nach einer guten halben Stunde dreht Barberia dann und wird für die restlichen 6 bis 7 (sehr hautnah sogar 15) Stunden viel ruhiger und stabiler und nimmt einen ganz anderen Charakter an. Die Agrumen, die komischerweise erst jetzt wie Zieten aus dem Busch kommen, gehen in Richtung viskoses, herbdunkles Pomeranzenöl; flüchtige Bergatronik nehme ich gar nicht wahr. Hinzu kommt eine Eins-A-Behandlung des Trägers mit einer erstklassigen Rasierseife aus einem wunderbaren Holztiegel. Die Seifennote dürfte dabei im Übrigen ebenfalls vom Koriander herrühren, dessen Aldehyde, wenn sie nicht gerade einen auf Wanze machen, gerne mal Seife spielen (putzige Schelme, die!). Hier und erst hier kommt (für mich) dann auch eine gewisse (aber sehr sämige und mitnichten naschwerkhafte) Süße ins Spiel.
Sind die Turbulenzen der ersten Stunde überlebt, ist Barberia für mich ein wirklich sehr gelungenes, besonderes und auch sehr maskulines, dabei rundes, massives und in sich ruhendes, glattpoliertes, fast ein wenig samtiges, orange-dunkelbraunes Cologne. Es steht schon ganz am Rande der Duftgattung und könnte fast ebenso als klassisch-modernes, herb-weiches Eau de Toilette angesprochen werden. Eine Kollegin von mir, die sich synästhetischer Fertigkeiten berühmt, fand Barberia nicht nur sehr gelungen, sondern auf meine Bitte um nähere Beschreibung des Dufteindrucks dann auch "schoko- bis rehbraun".
Normalerweise lehne ich Düfte ab, bei denen ich durch eine unschöne Phase gehen muss, weil ich denke, dass es genügend gibt, die in all ihren Phasen schön sind. Hier halte ich es anders und dieses feine Geschenk eines sehr geschätzten Mitparfumos in Ehren. Denn die Rhabarberphase ist nicht wirklich schlecht, sondern nur, äh, anspruchsvoll. Und außerdem weiß man ja nie, ob man im Leben mal Gaukeleya begegnet, und dann hat man den Flakon besser dabei, wir man nach der Lektüre ihres Kommentars, der allen (volljährigen) Lesern ebenfalls sehr empfohlen sei, versteht.
Die hier gelegentlich ins Spiel gebrachten Reminiszenzen an Erfrischungsstäbchen (die ich übrigens sehr mag, wenn sie gut gekühlt sind, hmmmm) kann ich nicht so nachvollziehen. Denn dieser Barbier ist für mich nicht nur überhaupt nicht süß, sondern auch erstaunlich wenig zitrisch, und wenn schon, dann eher auf den Kopf gestellt orangig. Aber der Reihe nach und systematisch:
Bei "Barberia" (spanisch für Herrenfriseur, Barbiergeschäft - aber vielleicht auch ein kleines Wortspiel mit ruibarbo für Rhabarber) muss ich eine Doppelverdutzung überwinden.
Zunächst: Ich sprühe den Duft sehr, sehr großzügig (und damit meine ich durchaus so zwanzig Sprühstöße, also im Sinne eines Splashsurrogatsprühens) auf - und spüre nach einer ganz, ganz kurzen scharfwürzigen, an Gewürznelke und Kardamom erinnernden Zitrik erst einmal - nichts (weshalb ich auch immer noch mehr nachsprühe). Das ist sehr merkwürdig und mir so bei noch keinem anderen Duft passiert. Erst nach einigen Minuten taucht der Duft dann aus der Tiefe des Raumes auf, und zwar immer stärker werdend. Es ist, als ob er erst einmal von der Haut komplett aufgesogen worden wäre, um sich dann im Körperinnern erst zu konfigurieren und nach der dort erfahrenen Finissage, ordentlich gekämmt und gebürstet, wieder an die Oberfläche zu kommen.
Dann gilt es eine ziemlich schwierige Phase zu überwinden. Es ist so, als ob statt der kopfnotentypischen Hesperidik erst einmal ein scharfer Ingwer, vor allem aber ein säuerlicher Rhabarber und ein, nun, sagen wir mal, strenger Koriander regiert. Der Rhabarber entströmt dabei möglicherweise dem Rhabarberkuchen von Trudchen Korianke. Ihr Ehegemahl schätzt - wie Fittleworths Kommentar belegt - diesen Duft ja sehr und hält ihn in seinem Friseurgeschäft vorrätig. Süß ist der Kuchen aber nicht, sondern maximal säuerlich-frisch. Koriander tritt hier nicht als das kuchengewürzartige, aus den Samen bzw. Früchten gewonnene Korianderpulver auf, sondern als das von vielen (auch von mir) als sehr schwierig empfundene Korianderkraut, das u.a. in der südamerikanischen, asiatischen, aber teils auch iberischen Küche als Würzkraut verwendet wird. Es wird nicht umsonst ob seines Geruchs auch "Wanzenkraut" genannt.
In dieser Phase, in der ich noch gewisse - in der Pyramide nicht verzeichnete - florale Überhänge wahrzunehmen meine, ist Barberia auf jeden Fall mal ein klares Statement. Das ist kein Weichei-Wässerchen. Wer sich hier beschwert, bekommt, wie weiland bei Wanda, ein Büschel Wanzenkraut als Knebel verpasst und je eine Rhabarberstange in die Nasenlöcher gesteckt.
Etwa nach einer guten halben Stunde dreht Barberia dann und wird für die restlichen 6 bis 7 (sehr hautnah sogar 15) Stunden viel ruhiger und stabiler und nimmt einen ganz anderen Charakter an. Die Agrumen, die komischerweise erst jetzt wie Zieten aus dem Busch kommen, gehen in Richtung viskoses, herbdunkles Pomeranzenöl; flüchtige Bergatronik nehme ich gar nicht wahr. Hinzu kommt eine Eins-A-Behandlung des Trägers mit einer erstklassigen Rasierseife aus einem wunderbaren Holztiegel. Die Seifennote dürfte dabei im Übrigen ebenfalls vom Koriander herrühren, dessen Aldehyde, wenn sie nicht gerade einen auf Wanze machen, gerne mal Seife spielen (putzige Schelme, die!). Hier und erst hier kommt (für mich) dann auch eine gewisse (aber sehr sämige und mitnichten naschwerkhafte) Süße ins Spiel.
Sind die Turbulenzen der ersten Stunde überlebt, ist Barberia für mich ein wirklich sehr gelungenes, besonderes und auch sehr maskulines, dabei rundes, massives und in sich ruhendes, glattpoliertes, fast ein wenig samtiges, orange-dunkelbraunes Cologne. Es steht schon ganz am Rande der Duftgattung und könnte fast ebenso als klassisch-modernes, herb-weiches Eau de Toilette angesprochen werden. Eine Kollegin von mir, die sich synästhetischer Fertigkeiten berühmt, fand Barberia nicht nur sehr gelungen, sondern auf meine Bitte um nähere Beschreibung des Dufteindrucks dann auch "schoko- bis rehbraun".
Normalerweise lehne ich Düfte ab, bei denen ich durch eine unschöne Phase gehen muss, weil ich denke, dass es genügend gibt, die in all ihren Phasen schön sind. Hier halte ich es anders und dieses feine Geschenk eines sehr geschätzten Mitparfumos in Ehren. Denn die Rhabarberphase ist nicht wirklich schlecht, sondern nur, äh, anspruchsvoll. Und außerdem weiß man ja nie, ob man im Leben mal Gaukeleya begegnet, und dann hat man den Flakon besser dabei, wir man nach der Lektüre ihres Kommentars, der allen (volljährigen) Lesern ebenfalls sehr empfohlen sei, versteht.
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