22.01.2020 - 09:22 Uhr

FvSpee
323 Rezensionen

FvSpee
Top Rezension
30
Weltenherrscher in Jogginghosen
Mit dem Programm von Fort & Manlé bin ich nun zu etwa Zweidrittel durch und erkenne gewisse Muster: Herr Fort liebt Essbares (Obst ist nie verkehrt, ab und zu gönnt man sich auch mal eine Kalorienbombe). Seine Lieblingsblume ist eindeutig die Rose. Und bei den Namen der Düfte überrascht er uns gerne: Fantasievolles im Stil von "Mr. Mitsubishi jodelt gerne auf dem Motorrad in rosa Socken" stehen neben Wässerchen, die ganz unprätentiös nach den großen Männern der Weltgeschichte benannt sind. Wie dieser hier.
Über Sultan Mehmed II., genannt Fatih ("der Eroberer") hat Don Juan im Vorkommentar ja schon etwas berichtet. Ich setze da mal an und füge hinzu, dass er einer der ganz großen Herrschergestalten der Weltgeschichte war. Er brachte in seiner langen Herrschaftszeit das von ihm regierte Osmanische Reich zur Hochblüte in allen Bereichen, kulturell, architektonisch, wirtschaftlich, als großer Gesetzgeber - und militärisch. Obwohl es nach ihm Sultane gab, die noch größere Gebietsvergrößerungen erreichte, eroberte er nämlich auch kräftig dazu: Serbien und Bosnien vor allem. Und natürlich Konstantinopel (dazu gleich noch mehr), wofür er auch postum den Beinamen "der Eroberer" bekam. In seinem Rang als Herrscher steht er sicher einem Julius Cäsar oder einem Karl dem Großen nicht nach, und wenn ihn - und mit ihm auch andere außereuropäische Herrschergestalten ersten Ranges, wie den sehr sympathischen indischen Kaiser Ashoka - hierzulande kein Schwanz kennt (außer, wie anzunehmen ist, Mitglieder der Community der türkischen Zuwanderer), dann sagt das einiges über unsere eurozentrische Ignoranz aus.
Ihn zu kennen heißt allerdings nicht unbedingt, ihn zu mögen. Ich mag ihn leider gar nicht. Dafür gibt es mindestens einen eher "subjektiven" und einen eher "objektiven" Grund.
Der subjektiv geprägte ist eben der, dass Mehmed - gleich nach seiner Thronbesteigung - im Jahr 1453 Konstantinopel eroberte. Das alte oströmische Reich war seit vielen Jahrhunderten nur noch geschrumpft und bestand zuletzt im Grunde nur noch aus seiner Hauptstadt am Bosporus, die allerdings noch immer eine Legende war: Trotz allem Niedergang noch immer unglaublich schön, unglaublich reich und mit unglaublich mächtigen, riesigen Festungsmauern. Und noch immer (und noch bis heute!) das geistige Zentrum des orthodoxen Christentums weltweit. Der frischgebackene Sultan sah das als Herausforderung und Chance. Er ließ einen Ratgeber, der ihm die Sache als zu riskant ausreden wollte, mit der (vielleicht nicht falschen) Begründung abmurksen, er sei vom oströmischen Kaiser bezahlt. Dann befahl er die Belagerung und den Sturm. Was dann geschah, kann man z.B. im Klassiker "Die Eroberung von Konstantinopel" von Steven Runciman nachlesen. Es ist eine Geschichte von heldenmütiger, aber aussichtsloser Verteidigung; Kaiser Konstantin XI. selbst fiel kämpfend an den Toren der Stadt. Es ist eine Geschichte von Verrat und Gleichgültigkeit, denn Venedig und die anderen Westmächte schickten die versprochene Unterstützung viel zu spät und in lächerlich geringem Umfang. Für die Freunde von Tolkien: Das Ganze war ein bisschen wie die Schlacht von Helms Klamm, nur dass am Ende weder die Elben noch die Ents kamen. Am Ende wurde Konstantinopel zu Istanbul und zur neuen Hauptstadt des Osmanischen Reiches. Wenn ich deshalb schlecht auf Mehmed zu sprechen bin, dann nicht wegen der kaum vorstellbareren Gewalt gegen Zivilisten: Nach dem Sturm wurde nämlich fröhlich gemetzelt und gemeuchelt. Die Mädchen und Frauen wurden vergewaltigt (was die Staatspropaganda bejubelte), und was hernach noch lebte wurde in die Sklaverei geführt. Diese Exzesse waren seinerzeit nichts Besonderes und es gab kein Gesetz, das sie verboten hätte. An die Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konventionen dachte ja noch keiner. Mein Groll ist daher nicht moralischer, sondern strikt parteiischer Art: Meine Sympathien gelten dem tapferen letzten Kaiser und ich weine mit den letzten Byzantinern (und Römern) über ihr trauriges Los. Nicht weil sie "besser" waren als die Osmanen, sondern weil ich mir nun einmal die Freiheit nehme, als Römer zu fühlen.
Objektiv allerdings ist mein Zorn auf Mehmed, weil er eine - auch für damalige Maßstäbe - barbarische Institution, wenn nicht erfand und zum Gesetz erhob (dass er sie zum Gesetz machte, behaupten einige, andere widersprechen), dann doch jedenfalls salonfähig und zur faktischen Norm machte: Den dynastischen Brudermord: Da die osmanischen Gesetze keinen klaren Thronfolgevorrang für den erstgeborenen Sohn der Hauptfrau kannten, waren alle Söhne des Herrschers potenzielle Thronfolger, sodass Mehmed es für klug hielt, nach seiner Thronbesteigung (mindestens) einen (noch kindlichen) Bruder im Bett ersticken zu lassen. So wurde es die nächsten 200 Jahre zum Standard: Verkürzt gesagt: Die Sultane zeugten Söhne und erzogen sie so lange fürstlich, bis sicher war, dass mindestens einer dabei war, der thronwürdig war. Wenn es dem dann gelang, Nachfolger zu werden, wurden alle anderen routinemäßig mit der Bogensehne erdrosselt. Oder, so die etwas geregeltere Variante, der Vater nahm die Dinge in die Hand und ließ selbst alle überzähligen Söhne erwürgen, um es dem Wunschnachfolger zu ersparen, sich die Hände schmutzig zu machen.
Ich frage mich, was diese grauenvolle Art der Staatsräson mit den Menschen gemacht hat: Was waren das für Herrscher, die vor der Inthronisierung zuerst erleben mussten, gleichzeitig zum potenziellen Nachfolger aufgepäppelt zu werden und mit dem Risiko leben zu müssen, am nächsten Morgen erwürgt zu werden? Und deren erste Regierungserfahrung es war, ein Brüder-Massaker abzuhalten? Was machte das mit deren Seelen? Was mit denen des Hofstaates und der Minister? Was für Begriffe von "Staat" und "Pflicht" hatten diese Leute? Ich kann mir kaum etwas Abstoßenderes vorstellen. Wer sich näher dafür interessiert, kann vielleicht zur "Zeitschrift für Balkanologie" (gibt es wirklich), Jahrgang 2019, Seite 53 ff., greifen und den Beitrag von Murat Caglayan "Brudermord im Osmanischen Reich" lesen. Ich hab's noch nicht getan. Fest steht jedenfalls, dass verglichen damit Prinz Harry sich nicht beklagen kann, dass er nun mit der schönen Meghan Markle auf Vancouver Island Charity machen muss, ohne den Titel "Royal Highness" zu führen.
Darf man einen Duft nach Mehmed II. benennen? Klar. Auch wenn es für mich ein Grund wäre, ihn nicht zu kaufen, rein subjektiv. Was man aber nicht darf, ist einen Herrscher-Duft so lau riechen zu lassen. Ich hab nach dem Auftragen fast laut loslachen müssen. Nette süße Fruchtigkeit zum Auftakt, dann auch ein bisschen in Richtung sanfte Tabakblätter, ein harmloses Spiel würziger Nötchen, dann ein holzigerer, fester, stabiler, aber etwas nichtssagender Ausklang. Brudermörder in Jogginghosen, Weltenbezwinger beim Naschen von Fruchtkompott.
Nachzutragen: Mehmed II regierte 30 Jahre (und starb an Verfettung); dieser Duft dankt früh ab. Der echte Sultan erweiterte sein Reich und brachte es zum Strahlen, das nach ihm benannte Parfüm ist von eher mickriger Projektion.
Über Sultan Mehmed II., genannt Fatih ("der Eroberer") hat Don Juan im Vorkommentar ja schon etwas berichtet. Ich setze da mal an und füge hinzu, dass er einer der ganz großen Herrschergestalten der Weltgeschichte war. Er brachte in seiner langen Herrschaftszeit das von ihm regierte Osmanische Reich zur Hochblüte in allen Bereichen, kulturell, architektonisch, wirtschaftlich, als großer Gesetzgeber - und militärisch. Obwohl es nach ihm Sultane gab, die noch größere Gebietsvergrößerungen erreichte, eroberte er nämlich auch kräftig dazu: Serbien und Bosnien vor allem. Und natürlich Konstantinopel (dazu gleich noch mehr), wofür er auch postum den Beinamen "der Eroberer" bekam. In seinem Rang als Herrscher steht er sicher einem Julius Cäsar oder einem Karl dem Großen nicht nach, und wenn ihn - und mit ihm auch andere außereuropäische Herrschergestalten ersten Ranges, wie den sehr sympathischen indischen Kaiser Ashoka - hierzulande kein Schwanz kennt (außer, wie anzunehmen ist, Mitglieder der Community der türkischen Zuwanderer), dann sagt das einiges über unsere eurozentrische Ignoranz aus.
Ihn zu kennen heißt allerdings nicht unbedingt, ihn zu mögen. Ich mag ihn leider gar nicht. Dafür gibt es mindestens einen eher "subjektiven" und einen eher "objektiven" Grund.
Der subjektiv geprägte ist eben der, dass Mehmed - gleich nach seiner Thronbesteigung - im Jahr 1453 Konstantinopel eroberte. Das alte oströmische Reich war seit vielen Jahrhunderten nur noch geschrumpft und bestand zuletzt im Grunde nur noch aus seiner Hauptstadt am Bosporus, die allerdings noch immer eine Legende war: Trotz allem Niedergang noch immer unglaublich schön, unglaublich reich und mit unglaublich mächtigen, riesigen Festungsmauern. Und noch immer (und noch bis heute!) das geistige Zentrum des orthodoxen Christentums weltweit. Der frischgebackene Sultan sah das als Herausforderung und Chance. Er ließ einen Ratgeber, der ihm die Sache als zu riskant ausreden wollte, mit der (vielleicht nicht falschen) Begründung abmurksen, er sei vom oströmischen Kaiser bezahlt. Dann befahl er die Belagerung und den Sturm. Was dann geschah, kann man z.B. im Klassiker "Die Eroberung von Konstantinopel" von Steven Runciman nachlesen. Es ist eine Geschichte von heldenmütiger, aber aussichtsloser Verteidigung; Kaiser Konstantin XI. selbst fiel kämpfend an den Toren der Stadt. Es ist eine Geschichte von Verrat und Gleichgültigkeit, denn Venedig und die anderen Westmächte schickten die versprochene Unterstützung viel zu spät und in lächerlich geringem Umfang. Für die Freunde von Tolkien: Das Ganze war ein bisschen wie die Schlacht von Helms Klamm, nur dass am Ende weder die Elben noch die Ents kamen. Am Ende wurde Konstantinopel zu Istanbul und zur neuen Hauptstadt des Osmanischen Reiches. Wenn ich deshalb schlecht auf Mehmed zu sprechen bin, dann nicht wegen der kaum vorstellbareren Gewalt gegen Zivilisten: Nach dem Sturm wurde nämlich fröhlich gemetzelt und gemeuchelt. Die Mädchen und Frauen wurden vergewaltigt (was die Staatspropaganda bejubelte), und was hernach noch lebte wurde in die Sklaverei geführt. Diese Exzesse waren seinerzeit nichts Besonderes und es gab kein Gesetz, das sie verboten hätte. An die Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konventionen dachte ja noch keiner. Mein Groll ist daher nicht moralischer, sondern strikt parteiischer Art: Meine Sympathien gelten dem tapferen letzten Kaiser und ich weine mit den letzten Byzantinern (und Römern) über ihr trauriges Los. Nicht weil sie "besser" waren als die Osmanen, sondern weil ich mir nun einmal die Freiheit nehme, als Römer zu fühlen.
Objektiv allerdings ist mein Zorn auf Mehmed, weil er eine - auch für damalige Maßstäbe - barbarische Institution, wenn nicht erfand und zum Gesetz erhob (dass er sie zum Gesetz machte, behaupten einige, andere widersprechen), dann doch jedenfalls salonfähig und zur faktischen Norm machte: Den dynastischen Brudermord: Da die osmanischen Gesetze keinen klaren Thronfolgevorrang für den erstgeborenen Sohn der Hauptfrau kannten, waren alle Söhne des Herrschers potenzielle Thronfolger, sodass Mehmed es für klug hielt, nach seiner Thronbesteigung (mindestens) einen (noch kindlichen) Bruder im Bett ersticken zu lassen. So wurde es die nächsten 200 Jahre zum Standard: Verkürzt gesagt: Die Sultane zeugten Söhne und erzogen sie so lange fürstlich, bis sicher war, dass mindestens einer dabei war, der thronwürdig war. Wenn es dem dann gelang, Nachfolger zu werden, wurden alle anderen routinemäßig mit der Bogensehne erdrosselt. Oder, so die etwas geregeltere Variante, der Vater nahm die Dinge in die Hand und ließ selbst alle überzähligen Söhne erwürgen, um es dem Wunschnachfolger zu ersparen, sich die Hände schmutzig zu machen.
Ich frage mich, was diese grauenvolle Art der Staatsräson mit den Menschen gemacht hat: Was waren das für Herrscher, die vor der Inthronisierung zuerst erleben mussten, gleichzeitig zum potenziellen Nachfolger aufgepäppelt zu werden und mit dem Risiko leben zu müssen, am nächsten Morgen erwürgt zu werden? Und deren erste Regierungserfahrung es war, ein Brüder-Massaker abzuhalten? Was machte das mit deren Seelen? Was mit denen des Hofstaates und der Minister? Was für Begriffe von "Staat" und "Pflicht" hatten diese Leute? Ich kann mir kaum etwas Abstoßenderes vorstellen. Wer sich näher dafür interessiert, kann vielleicht zur "Zeitschrift für Balkanologie" (gibt es wirklich), Jahrgang 2019, Seite 53 ff., greifen und den Beitrag von Murat Caglayan "Brudermord im Osmanischen Reich" lesen. Ich hab's noch nicht getan. Fest steht jedenfalls, dass verglichen damit Prinz Harry sich nicht beklagen kann, dass er nun mit der schönen Meghan Markle auf Vancouver Island Charity machen muss, ohne den Titel "Royal Highness" zu führen.
Darf man einen Duft nach Mehmed II. benennen? Klar. Auch wenn es für mich ein Grund wäre, ihn nicht zu kaufen, rein subjektiv. Was man aber nicht darf, ist einen Herrscher-Duft so lau riechen zu lassen. Ich hab nach dem Auftragen fast laut loslachen müssen. Nette süße Fruchtigkeit zum Auftakt, dann auch ein bisschen in Richtung sanfte Tabakblätter, ein harmloses Spiel würziger Nötchen, dann ein holzigerer, fester, stabiler, aber etwas nichtssagender Ausklang. Brudermörder in Jogginghosen, Weltenbezwinger beim Naschen von Fruchtkompott.
Nachzutragen: Mehmed II regierte 30 Jahre (und starb an Verfettung); dieser Duft dankt früh ab. Der echte Sultan erweiterte sein Reich und brachte es zum Strahlen, das nach ihm benannte Parfüm ist von eher mickriger Projektion.
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