Skjomi
04.04.2016 - 14:06 Uhr
30
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Die Oase der Seelen

„Die jenseitige Welt hieß Timbuktu, und sie lag irgendwo mitten in der Wüste, weit weg. Einmal hatte Willy sie „eine Oase der Seelen“ genannt, ein andermal meinte er „Dort, wo die Weltkarte endet, fängt Timbuktu an“. Und sobald man da war, wurde man eins mit dem Universum, ein winziges Stück Antimaterie im Hirn Gottes. TIM-BUK-TU. ..die kantige Kombination von Vokalen und Konsonanten rührte fast immer ans Innerste seiner Seele….als sei das Wort allein schon ein Versprechen, eine Garantie dafür, dass alles besser würde.“
Da ich gerade das Buch von Paul Auster gelesen hatte, fiel mir zu diesem Duft nicht zuerst die sagenumwobene Wüstenstadt ein, sondern oben zitierte Passage. Ein fiktiver, vielversprechender Ort, an den zu gelangen jedoch einen hohen Preis fordert. Die Geschichte hat nichts zu tun mit der Wüste, sie endet in einem frisch verschneiten Wald, durch den eine Strasse führt, wo die aufgehende Wintersonne den getauten Schnee in Millionen von Wassertropfen glitzern lässt. Ein sehr trauriges und doch hoffnungsvolles Ende, welches ich hier nicht vorwegnehmen möchte. Und in diesem, in meiner Vorstellung dunkelgrün schillernden Wald mit hoch aufragenden Bäumen wie Kathedralenpfeilern und feuchter Erde, mit klarer, transparenter Winterluft, finde ich Timbuktu wieder. Ein klarer, lichtdurchfluteter Tagesduft ist er für mich, dessen Bestandteile sich nach einem kurz säuerlich anmutenden Auftakt nach nur wenigen Minuten hervorragend zusammenfügen. Dann entsteht ein grün-rauchig-fruchtiger Duft, den ich so noch an niemandem gerochen habe, der hell und freundlich ist, ohne anheimelnd zu werden, der gut tragbar, alltags- und bürotauglich ist, und dennoch absolut besonders und ungewöhnlich. Für mich dominieren Weihrauch, Vetiver und Mango, die mich beim ersten Riechen an Schwarzloses "Treffpunkt 8 Uhr" erinnert hat, hier aber für mich besser dosiert ist, da sie immer mal wieder wegchangiert und dann wiederkommt, wie Sonnenlicht auf einer Waldlichtung. Sie verleiht diesem Duft seine Besonderheit. Ein wenig Myrrhe nehme ich noch war, Patchouli gar nicht. Ein Ganzjahresduft, erfrischend und kühl im Sommer, besinnlich und einen tragend im Herbst oder Winter. Keine Monstersillage, aber den ganzen Tag für einen selbst gut wahrnehmbar, eine innere Einkehr, eine Oase für die Seele, um Auster mal abzuwandeln.
Mr. Bones, um den es in diesem Buch geht, ist übrigens der Meinung „Für echte Erkenntnis, für einen direkten Zugriff auf die Wirklichkeit in all ihren vielfältigen Erscheinungsformen war nur die Nase etwas wert.“
(Paul Auster: Timbuktu)
14 Antworten
VerbenaVerbena vor 9 Jahren
Habe Deinen Kommentar sehr gern gelesen. Macht richtig Lust auf einen Test, ein Pröbchen davon habe ich irgendwo rumliegen... Lasse Dir auch so ein Henkelgefäß da. :-)
YataganYatagan vor 10 Jahren
Das ist ganz und gar richtig! Es gibt eine deutliche Verwandtschaft zwischen Timbuktu und Treffpunkt 8 Uhr!
CouchlockCouchlock vor 10 Jahren
jo, timbuktu ist wunderbar. toller kommentar, der mit einem zitat endet, das ich mir merken werde. pokal:-)
Zauber600Zauber600 vor 10 Jahren
Interessanter Kommi .. die Nähe zu Treffpunkt habe ich auch wahrgenommen .. Pokälsche und Danke!
GaukeleyaGaukeleya vor 10 Jahren
Mich erreicht der Duft leider nicht, obwohl häufiger versucht, aber sehr schöner Kommentar :-)
OrmeliOrmeli vor 10 Jahren
Interessant und treffgenau beschrieben – Timbuktu ist einfach ein toller Duft :-)
SeejungfrauSeejungfrau vor 10 Jahren
Pokal für dich und Timbuktu
OhdeberlinOhdeberlin vor 10 Jahren
Gerne gelesen deinen super Kommi *TimbuktuPokal*
KovexKovex vor 10 Jahren
Ein besonderer Duft, ein wundervoller Kommentar.
FabianOFabianO vor 10 Jahren
Feines Zeug! Und Paul Auster lohnt auch meistens sehr!:-)
MeggiMeggi vor 10 Jahren
Ja. Ganz toll!
CravacheCravache vor 10 Jahren
Schöner Kommentar!
RotkehlchenRotkehlchen vor 10 Jahren
Danke für den schönen Kommentar - Duft und Roman mag ich auch sehr!
AchillesAchilles vor 10 Jahren
Den Duft mochte ich nicht, aber dafür deinen Kommentar :)