VonUndZuIch
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Figure de proue
Dezember, 01:17 Uhr - Berlin, Torstraße.
Dieser verdammte Cutter, ich wusste es bereits, als ich ihn mir im Hotel in die Sakkotasche steckte. Dieses Teil ist nicht scharf. Hätte ich doch nur den Bohrer mitgenommen!
Es wäre perfekt gewesen. Der Negroni schmeckt, die Musik schwingt gemütlich und nicht zu aufdringlich, gelassen mit einem Hauch von Eleganz zu mir herüber.
Die Lichter dringen nur halbherzig durch den Dunst aus Dunkelheit und anonymen Gestalten. Gemütlichkeit stellte sich bereits mit Betreten dieser Bar ein.
Meine Maduro könnte mich nach diesem Abend jetzt so richtig erden.
Nach dem Swing, dem Tanzen, dem Trinken, dem Schwitzen und wieder dem Trinken und Tanzen.
Ein anderer Club, mit Smoking, Schleife und Knigge - ein geheimes Berlin.
Tiefgründig und nostalgisch berührt es meine Seele mit dem Charme einer sich alles bietenden Möglichkeit.
Naja, der Anschnitt gefällt mir gerade nicht, also zurück ins Sakko. Dein Moment kommt noch.
Wie die Dekoration, die Umgebung, das Licht und der Geruch erst das perfekte Ambiente ausmachen.
Der Geruch, wie die weichen, warmen Wölkchen meiner Maduro dieses Ambiente hätten abrunden können.
Wie er sich voller Nähe und Wärme an mein Sakko aus Black Afgano angeschmiegt hätte.
Wie die figure de proue würden wir gemeinsam in diesem düsteren Tempel der Begierde im Mittelpunkt stehen.
Bzw. sitzen und weiterhin im Takt der Jazzvibes nicken.
In einer Sphäre Rum-geschwängerter Luft, ohne dass es hier Luft gäbe.
Das Leben umgibt mich - würzig und doch süßlich, markant wie die heiße Sonne an einem schönen Abend im Morgenland.
Der Trigger, auf einmal setzt er ein. Ich überschlage das rechte auf das linke Bein, atme tief ein und bin berauscht von mir selbst.
Die Farbe der mit Samt bezogenen Barstühle passt hervorragend zu meinen Strümpfen.
Perfektion in einer unperfekten Welt. Samtig hängt mir diese Wolllust in der Nase, ein tiefes kehliges Knurren. War ich das?
Oder bist du bereits bis an mein Ohr heran gekrochen, auf allen Vieren.
Wie eine Katze, langsam und doch zielgenau auf das Objekt der Begierde gerichtet.
Ich öffne die Augen, keine Katze an meinem Ohr und doch ist da dieser Schleier, wie eine Hoffnung, wie ein Versprechen.
Bleib einfach sitzen, lehn dich zurück, versinke in der Tiefe deiner Anziehungskraft. Trink einen Schluck, lass deinen Blick langsam schleifen und genieße es!