19.09.2020 - 07:15 Uhr
Yatagan
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Yatagan
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Fantomas bedroht die Welt
Den Jüngeren unter euch muss man ja vielleicht erklären, auf welche Figur der neueste Duft von Nasomatto anspielt: Es handelt sich um den geheimnisvollen Superschurken Fantomas aus der gleichnamigen Kriminalkomödie von 1964 mit Jean Marais, Louis de Funès und einer ganzen Riege bekannter französischer Schauspieler*innen. Die filmischen Tricks waren für die damalige Zeit beachtlich (Auto fährt Flügel aus und fliegt davon), während man heute über die launigen Gags und hilflosen technischen Gimmicks nur milde lächeln kann. Sei's drum: Die Filme haben noch heute ihren nostalgischen Charme, so dass sogar unsere Kinder in jungen Jahren ihren Spaß daran hatten.
Offenbar ist Alessandro Gualtieri ebenfalls Fan der Reihe (es folgten noch zwei weitere Filme: "Fantomas gegen Interpol" und "Fantomas bedroht die Welt", dessen Titel ich mir mit sarkastischem Vergnügen als Überschrift für diesen Kommentar ausgeborgt habe), denn die Werbung im Video spielt unverblümt auf die Figur des Fantomas mit hellblauer Maske an und auch die verwendete Schrift ist den Schriftzügen der Filme aus den 60ern entliehen.
Als bekennender Liebhaber der damaligen Filme wollte ich den neuen Gualtieri testen, auch wenn ich mir fast sicher war, dass er mich ebenso enttäuschen würde wie Black Afgano, Duro, Blamage oder die ganzen Orto Parisi-Düfte. Mir erscheinen all diese Düfte grob, laut, (sicherlich bewusst) ordinär, grell und überaus synthetisch. Während allerdings viele Düfte von Alessandro Gualtieri eher einen orientalischen Charakter haben, gehört Fantomas zur Gruppe der helleren Düfte, die dennoch mit enormer Aura und Haltbarkeit punkten wollen. Ich persönlich störe mich sehr an einer derartig starken Haltbarkeit, denn ich mag keine Düfte, die (1.) eine gründliche Dusche überleben, mir (2.) tagelang auf Sakko oder Schal haftend hinterher laufen und (3.) auch noch den Kollegen im Nachbarbüro oder den gesamten Konferenzraum beduften. Mich stört eine solche überbordende Aura massiv an anderen und so will ich auch selbst nicht wahrgenommen werden. Lieber sprühe ich öfters nach und rieche den Duft vor allem hautnah. In diesem Zusammenhang ein kleiner Exkurs: In meiner mehr als 35jährigen Parfumerfahrung mit langen Phasen intensiver Sammelwut - schon lang vor Parfumo oder Basenotes - bekam ich vor allem dann "Komplimente" für einen Duft, wenn ich ihn zu stark dosiert hatte, was mir dann auch regelmäßig besonders peinlich war. Stilvoll dosierte Düfte werden vom Umfeld nicht sofort wahrgenommen und erschließen sich in ihrer Komplexität nur bei großer Nähe - und die sollte geliebten Menschen vorbehalten bleiben. Ende des Exkurses.
Eine niedrige Dosierung ist aber bei Fantomas von vornherein fast ausgeschlossen. Wer dem Duft hier eine schwache Haltbarkeit oder mäßige Aura attestiert, sollte sich vielleicht fragen, ob seine Nase durch schwergewichtige Nischendüfte schon ein wenig abgestumpft ist, denn Fantomas haftet auf meinem Duftstreifen und auf einem Stück Textil nun geschlagene vier Tage mit nahezu der gleichen Intensität und das ist leider vor allem nur eines: aufdringlich.
Zum Duft selbst: Ich kann verstehen, wenn man von Fantomas fasziniert ist, denn er spielt wie so oft bei Gualtieri wieder einmal mit wuchtigen Reizen - und das ist sicherlich auch die Stärke von Gualtieri. So wie er mit Black Afgano die Assoziation von Schwarzem Afghanen beschwört, ohne den Geruch tatsächlich nachahmen zu wollen, so wie er mit Duro einen amorphen orientalisch animalisch-ledrigen, harzig-holzigen Klotz in die Landschaft stellt, ohne ein wirklich greifbares Bild erschaffen zu wollen, so ist auch Fantomas ein Phantom ohne Gestalt, aber mit intensiver Wirkung. Woher kommt die?
Hier ein Versuch der Entschlüsselung, allerdings ohne Gewähr: Wie die meisten hier rieche auch ich eine intensive, aber künstliche Melonennote, die sicherlich von Melonen-Ester herrühren dürfte: (Z)-6-Nonenal, 2,6-Dimethyl-5-heptenal.
Eine bitter-salzige und zugleich süße Meeresnote findet sich in vielen Herrenaquaten, die m.E. auch hier in maßvoller Dosierung enthalten ist (Algenextrakt).
Wegen der hellen, etwas wässrigen Kopf- und Herznote tippe ich auf Calone (Methylbenzodioxepinon), bin mir da aber keineswegs sicher. Das ist nur eine vage Vermutung.
Als Basisnote bildet sich vor allem im Drydown und auf dem Duftstreifen stärker als auf der Haut eine Duschgelnote aus, die wir aus vielen zeitgenössischen Düften / Nischendüften kennen und die dann ganz klar auf eine hohe Dosis Ambrox(an) hindeuten würde (3aR,5aS,9aS,9bR)-3a,6,6,9a-Tetramethyl-dodecahydronaphto[2,1-b]furan, chemischer Name und liebevolle Reminiszenz an den früheren Beruf meiner Frau: Chemikerin).
Was da sonst noch drin sein könnte, überlasse ich eurer Fantasie und den vielen Statements weiter unten.
Meine eher schlechte Gesamtnote begründet sich vor allem durch meine Abneigung gegen Fruchtester, die vor allem in vielen Fruity Florals seit den 90ern eine überaus große Rolle spielten, durch meine Abneigung gegen Ambrox und die davon dominierten Düfte (Sauvage, Bleu, diverse Marlys etc.) sowie durch meine langsam gewachsene Abneigung gegen die in Herrendüften inzwischen allzu häufig verwendete Algennote und letztlich durch die eher plakative Komposition mit dem olfaktorischen Holzhammer statt mit dem Pinsel, die mir einfach nicht liegt.
Die Dominanz des Synthetischen allein ist es übrigens nicht, denn aus diesem Segment gibt es hervorragende und artifiziell raffiniert komponierte Parfums (etwa von Comme des Garcons, Maack, Clean).
Betrachtet man diese oben von mir unterstellte, dem Namen gemäße gruselige Mischung, die den Namen Fantomas mehr als verdient, ist meine Bewertung fast noch (zu) gut ausgefallen, aber das liegt vielleicht an einer untergründigen Faszination des Duftes, die zwischen Ekel und wohligem Schauer oszilliert. Und auch das hat seine Berechtigung.
Offenbar ist Alessandro Gualtieri ebenfalls Fan der Reihe (es folgten noch zwei weitere Filme: "Fantomas gegen Interpol" und "Fantomas bedroht die Welt", dessen Titel ich mir mit sarkastischem Vergnügen als Überschrift für diesen Kommentar ausgeborgt habe), denn die Werbung im Video spielt unverblümt auf die Figur des Fantomas mit hellblauer Maske an und auch die verwendete Schrift ist den Schriftzügen der Filme aus den 60ern entliehen.
Als bekennender Liebhaber der damaligen Filme wollte ich den neuen Gualtieri testen, auch wenn ich mir fast sicher war, dass er mich ebenso enttäuschen würde wie Black Afgano, Duro, Blamage oder die ganzen Orto Parisi-Düfte. Mir erscheinen all diese Düfte grob, laut, (sicherlich bewusst) ordinär, grell und überaus synthetisch. Während allerdings viele Düfte von Alessandro Gualtieri eher einen orientalischen Charakter haben, gehört Fantomas zur Gruppe der helleren Düfte, die dennoch mit enormer Aura und Haltbarkeit punkten wollen. Ich persönlich störe mich sehr an einer derartig starken Haltbarkeit, denn ich mag keine Düfte, die (1.) eine gründliche Dusche überleben, mir (2.) tagelang auf Sakko oder Schal haftend hinterher laufen und (3.) auch noch den Kollegen im Nachbarbüro oder den gesamten Konferenzraum beduften. Mich stört eine solche überbordende Aura massiv an anderen und so will ich auch selbst nicht wahrgenommen werden. Lieber sprühe ich öfters nach und rieche den Duft vor allem hautnah. In diesem Zusammenhang ein kleiner Exkurs: In meiner mehr als 35jährigen Parfumerfahrung mit langen Phasen intensiver Sammelwut - schon lang vor Parfumo oder Basenotes - bekam ich vor allem dann "Komplimente" für einen Duft, wenn ich ihn zu stark dosiert hatte, was mir dann auch regelmäßig besonders peinlich war. Stilvoll dosierte Düfte werden vom Umfeld nicht sofort wahrgenommen und erschließen sich in ihrer Komplexität nur bei großer Nähe - und die sollte geliebten Menschen vorbehalten bleiben. Ende des Exkurses.
Eine niedrige Dosierung ist aber bei Fantomas von vornherein fast ausgeschlossen. Wer dem Duft hier eine schwache Haltbarkeit oder mäßige Aura attestiert, sollte sich vielleicht fragen, ob seine Nase durch schwergewichtige Nischendüfte schon ein wenig abgestumpft ist, denn Fantomas haftet auf meinem Duftstreifen und auf einem Stück Textil nun geschlagene vier Tage mit nahezu der gleichen Intensität und das ist leider vor allem nur eines: aufdringlich.
Zum Duft selbst: Ich kann verstehen, wenn man von Fantomas fasziniert ist, denn er spielt wie so oft bei Gualtieri wieder einmal mit wuchtigen Reizen - und das ist sicherlich auch die Stärke von Gualtieri. So wie er mit Black Afgano die Assoziation von Schwarzem Afghanen beschwört, ohne den Geruch tatsächlich nachahmen zu wollen, so wie er mit Duro einen amorphen orientalisch animalisch-ledrigen, harzig-holzigen Klotz in die Landschaft stellt, ohne ein wirklich greifbares Bild erschaffen zu wollen, so ist auch Fantomas ein Phantom ohne Gestalt, aber mit intensiver Wirkung. Woher kommt die?
Hier ein Versuch der Entschlüsselung, allerdings ohne Gewähr: Wie die meisten hier rieche auch ich eine intensive, aber künstliche Melonennote, die sicherlich von Melonen-Ester herrühren dürfte: (Z)-6-Nonenal, 2,6-Dimethyl-5-heptenal.
Eine bitter-salzige und zugleich süße Meeresnote findet sich in vielen Herrenaquaten, die m.E. auch hier in maßvoller Dosierung enthalten ist (Algenextrakt).
Wegen der hellen, etwas wässrigen Kopf- und Herznote tippe ich auf Calone (Methylbenzodioxepinon), bin mir da aber keineswegs sicher. Das ist nur eine vage Vermutung.
Als Basisnote bildet sich vor allem im Drydown und auf dem Duftstreifen stärker als auf der Haut eine Duschgelnote aus, die wir aus vielen zeitgenössischen Düften / Nischendüften kennen und die dann ganz klar auf eine hohe Dosis Ambrox(an) hindeuten würde (3aR,5aS,9aS,9bR)-3a,6,6,9a-Tetramethyl-dodecahydronaphto[2,1-b]furan, chemischer Name und liebevolle Reminiszenz an den früheren Beruf meiner Frau: Chemikerin).
Was da sonst noch drin sein könnte, überlasse ich eurer Fantasie und den vielen Statements weiter unten.
Meine eher schlechte Gesamtnote begründet sich vor allem durch meine Abneigung gegen Fruchtester, die vor allem in vielen Fruity Florals seit den 90ern eine überaus große Rolle spielten, durch meine Abneigung gegen Ambrox und die davon dominierten Düfte (Sauvage, Bleu, diverse Marlys etc.) sowie durch meine langsam gewachsene Abneigung gegen die in Herrendüften inzwischen allzu häufig verwendete Algennote und letztlich durch die eher plakative Komposition mit dem olfaktorischen Holzhammer statt mit dem Pinsel, die mir einfach nicht liegt.
Die Dominanz des Synthetischen allein ist es übrigens nicht, denn aus diesem Segment gibt es hervorragende und artifiziell raffiniert komponierte Parfums (etwa von Comme des Garcons, Maack, Clean).
Betrachtet man diese oben von mir unterstellte, dem Namen gemäße gruselige Mischung, die den Namen Fantomas mehr als verdient, ist meine Bewertung fast noch (zu) gut ausgefallen, aber das liegt vielleicht an einer untergründigen Faszination des Duftes, die zwischen Ekel und wohligem Schauer oszilliert. Und auch das hat seine Berechtigung.
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