21.08.2018 - 14:41 Uhr
Meggi
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17
Unterricht beim Jönnekönner?
Als Sergei Rachmaninow in der Sankt Petersburger Philharmonie, der ältesten des Landes, sein zweites Klavierkonzert aufführte, merkte ein Kritiker an: „Als Provinzler aus Moskau sollte er Unterricht bei Rimskij-Korssakow nehmen.“
Diese Bemerkung ist natürlich unfair. Nicht speziell die Sache mit der „Provinz“. Nein, aus heutiger Sicht hätte der Komponist besagten Konzerts – ein bis heute viel gespieltes Virtuosen-Schlachtross – kaum weiteren Unterrichts bedurft.
Er wäre allerdings grundsätzlich bei Rimskij-Korssakow gut aufgehoben gewesen, der sich in verblüffend selbstloser Weise etwa der einen oder anderen unfertigen Komposition des früh am Suff verstorbenen Modest Mussorgskij angenommen hatte. Obschon er allemal in der Zeit, als die beiden sich die Bude bis hin zum Arbeitstisch teilten, gespürt haben musste, dass der Freund womöglich die instinktivere, urwüchsigere, unmittelbarere Begabung hatte. Bescheiden notierte er zu seiner Nach-Bearbeitung des „Boris Godunow“: „Sollte man je zu dem Schluss kommen, dass das Original besser ist als meine Revision, dann wird man meine Fassung verwerfen.“ Der Mann war wohl ein nobler Jönnekönner.
Und er hatte im damaligen Musikleben gewiss prägenden Einfluss gehabt. Lustigerweise war ich nämlich beim Hören von Rachmaninows erster Symphonie just auf den Gedanken verfallen, das bewege sich irgendwo zwischen Rimskij-Korssakow und Bruckner. Als habe da einer noch nicht seine endgültige Linie gefunden. Nicht, was das musikalische „Roh-Material“ angeht. Diesbezüglich wird eine Fülle aufgefahren, die manchen Filmkomponisten durchs ganze Berufsleben trüge. Aber das Werk als Gesamtes wirkt auf mich…unrund.
Einen ähnlichen Eindruck habe ich bei ‚Carmen‘.
Von vorne: Einem Auftakt wie von eingedicktem Orangensaft oder Bitterorange wird rasch eine Art Duett von Birke und vor allem Castoreum übergestülpt, säuerlich-ledrig an der Grenze zum Räucherfisch, wenn nicht gar Lebertran. Keine Unmengen von Letzterem, nur ein Akzent. Eine Beigabe von Jasmin-Bitterkeit schafft einen äußerst reizvollen Akkord, der – in gebotener Vorsicht ge-/beurteilt – von XerJoff sein könnte. Fordernd und schmeichelnd zugleich. Ein bisschen was Nussig-Süßes flankiert die mittlerweile getrocknete Orange, ohne indes das Gormandige zu touchieren, denn ‚Carmen‘ ist (bis dato) im Kern ein Castoreum-Duft.
Gegen Mittag verschiebt sich der obstige Part jedoch leider in Richtung Trockenpflaume, der die weißen Blüten einen bitteren Stich beigesellen. Und obwohl das weiterhin präsente Castoreum eigentlich verbindend wirken könnte oder müsste, kommt mir die entstandene trockenobstig-blütige Aura wie eine unvermittelt erschienene neue Idee vor, der der Anschluss zum vorderen Teil fehlt. Ja, im Vergleich zum aparten, fraglos sexy zu nennenden Vormittag wirkt das sogar ein wenig lahm, fast piefig. Als habe Carmen unvorstellbarerweise Don José tatsächlich geheiratet und sei nun Hausfrau mit sieben Kindern, Bratkartoffeln auf dem Herd und braunen Filzpantoffeln an den Füßen. Sofern das beabsichtigt ist, und vielleicht die Gebrochenheit der Figur Carmen spiegeln soll, wäre das meines Erachtens übertrieben gut gelungen.
Ein seltsam sauberer Moschus, der bei mir am späten Nachmittag gar eine spontane Assoziation – ich mochte es selbst kaum glauben – zum Gentleman-Duft ‚Elite‘ von Floris hervorrief, unterstreicht die kuriose Wandlung noch. Ein leicht kratziges, erdig-mineralisches Ende am Abend darf vermutlich als rein basal benötigt gelten.
Fazit: Mich lässt diese ‚Carmen‘ nach einer furiosen ersten Hälfte irritiert zurück. Ich persönlich finde – um beim Hersteller zu bleiben – das Castoreum-Thema in ‚La Gitane‘ stimmiger um- und fortgesetzt.
Aber allein der tolle Start lohnt definitiv den Test.
Ich bedanke mich bei Can777 für die Probe.
Diese Bemerkung ist natürlich unfair. Nicht speziell die Sache mit der „Provinz“. Nein, aus heutiger Sicht hätte der Komponist besagten Konzerts – ein bis heute viel gespieltes Virtuosen-Schlachtross – kaum weiteren Unterrichts bedurft.
Er wäre allerdings grundsätzlich bei Rimskij-Korssakow gut aufgehoben gewesen, der sich in verblüffend selbstloser Weise etwa der einen oder anderen unfertigen Komposition des früh am Suff verstorbenen Modest Mussorgskij angenommen hatte. Obschon er allemal in der Zeit, als die beiden sich die Bude bis hin zum Arbeitstisch teilten, gespürt haben musste, dass der Freund womöglich die instinktivere, urwüchsigere, unmittelbarere Begabung hatte. Bescheiden notierte er zu seiner Nach-Bearbeitung des „Boris Godunow“: „Sollte man je zu dem Schluss kommen, dass das Original besser ist als meine Revision, dann wird man meine Fassung verwerfen.“ Der Mann war wohl ein nobler Jönnekönner.
Und er hatte im damaligen Musikleben gewiss prägenden Einfluss gehabt. Lustigerweise war ich nämlich beim Hören von Rachmaninows erster Symphonie just auf den Gedanken verfallen, das bewege sich irgendwo zwischen Rimskij-Korssakow und Bruckner. Als habe da einer noch nicht seine endgültige Linie gefunden. Nicht, was das musikalische „Roh-Material“ angeht. Diesbezüglich wird eine Fülle aufgefahren, die manchen Filmkomponisten durchs ganze Berufsleben trüge. Aber das Werk als Gesamtes wirkt auf mich…unrund.
Einen ähnlichen Eindruck habe ich bei ‚Carmen‘.
Von vorne: Einem Auftakt wie von eingedicktem Orangensaft oder Bitterorange wird rasch eine Art Duett von Birke und vor allem Castoreum übergestülpt, säuerlich-ledrig an der Grenze zum Räucherfisch, wenn nicht gar Lebertran. Keine Unmengen von Letzterem, nur ein Akzent. Eine Beigabe von Jasmin-Bitterkeit schafft einen äußerst reizvollen Akkord, der – in gebotener Vorsicht ge-/beurteilt – von XerJoff sein könnte. Fordernd und schmeichelnd zugleich. Ein bisschen was Nussig-Süßes flankiert die mittlerweile getrocknete Orange, ohne indes das Gormandige zu touchieren, denn ‚Carmen‘ ist (bis dato) im Kern ein Castoreum-Duft.
Gegen Mittag verschiebt sich der obstige Part jedoch leider in Richtung Trockenpflaume, der die weißen Blüten einen bitteren Stich beigesellen. Und obwohl das weiterhin präsente Castoreum eigentlich verbindend wirken könnte oder müsste, kommt mir die entstandene trockenobstig-blütige Aura wie eine unvermittelt erschienene neue Idee vor, der der Anschluss zum vorderen Teil fehlt. Ja, im Vergleich zum aparten, fraglos sexy zu nennenden Vormittag wirkt das sogar ein wenig lahm, fast piefig. Als habe Carmen unvorstellbarerweise Don José tatsächlich geheiratet und sei nun Hausfrau mit sieben Kindern, Bratkartoffeln auf dem Herd und braunen Filzpantoffeln an den Füßen. Sofern das beabsichtigt ist, und vielleicht die Gebrochenheit der Figur Carmen spiegeln soll, wäre das meines Erachtens übertrieben gut gelungen.
Ein seltsam sauberer Moschus, der bei mir am späten Nachmittag gar eine spontane Assoziation – ich mochte es selbst kaum glauben – zum Gentleman-Duft ‚Elite‘ von Floris hervorrief, unterstreicht die kuriose Wandlung noch. Ein leicht kratziges, erdig-mineralisches Ende am Abend darf vermutlich als rein basal benötigt gelten.
Fazit: Mich lässt diese ‚Carmen‘ nach einer furiosen ersten Hälfte irritiert zurück. Ich persönlich finde – um beim Hersteller zu bleiben – das Castoreum-Thema in ‚La Gitane‘ stimmiger um- und fortgesetzt.
Aber allein der tolle Start lohnt definitiv den Test.
Ich bedanke mich bei Can777 für die Probe.
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