09.09.2018 - 15:05 Uhr
Meggi
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Heimkehr
Es war schon Nacht, als er die große Tür zum alten Adelssaal öffnete, der vor einhundertfünfzig Jahren zur Philharmonie geworden war. Das schwere Portal ließ sich überraschend leicht und nahezu lautlos bewegen. Ein sanfter Luftzug strömte ihm entgegen wie der Atem der Geschichte. Dieser Ort verkörperte mehr als jeder andere das einstige St. Petersburg. Hier hatte der Zar Bälle eröffnet, war Puschkin regelmäßig zu Gast gewesen, Tschaikowskij wenige Tage vor seinem Tod zum letzten Mal aufgetreten.
Und Rachmaninow hatte sein zweites Klavierkonzert gegeben. In der Künstlerloge stand immer noch dasselbe lackierte Klavier, auf dem er sich eingespielt hatte. Denn natürlich hatte er persönlich am Flügel gesessen - ganz in der Tradition der alten Meister hatten Kompositionskunst, Orchesterleitung und Virtuosentum für ihn eine unauflösliche Einheit gebildet.
Eben jenes Werk hatten sie heute aufgenommen. Vieler Unterbrechungen hatte es nicht bedurft, schließlich kannte Mariss die Leningrader Philharmoniker gut aus seiner Zeit als Assistent von Jewgenij Mrawinskij, der das Orchester fünfzig Jahre geleitet und mit eiserner Disziplin und Strenge zu einem der besten Ensembles der Welt geformt hatte. Und so war die Aufnahme-Sitzung fast zum Konzert geraten, für das der prächtige Saal, auf dessen Schwelle er jetzt stand, der passende Rahmen gewesen war.
Als er eintrat, glaubte er förmlich, die längst vergangenen Feste zu riechen. Eine wächsern-vanillige Süße, ein opulenter, ältlicher, ja morbider Blumengeruch. Selbst das reichlich aufgelegte Make Up der hochwohlgeborenen Damen schien in der Luft zu liegen. Und sogar die Dünste des späteren, in intimen Separées ringsum versteckten Teils des Abends konnte er in seiner Phantasie erahnen. Wo üppige Düfte nicht länger vermochten, allzu menschliche Gerüche erhitzter Körper zu überdecken.
Doch binnen Sekunden war das Bild verflogen. Er schaltete alle Kronleuchter ganz hell, schritt auf den Flügel zu, setzte sich und begann zu spielen. Zunächst versuchte er es mit einigen Takten Chopin, bis seine Finger wie von allein in das köstliche Adagio sostenuto Rachmaninows glitten. Erst zögernd, dann immer kraftvoller strömte der Solo-Part aus seinen Fingern, während der Geist in geübter Musikalität das Orchester beifügte. Leise perlten die schwebenden triolenhaften Wellen, zu denen Flöte und Klarinette die Melodie vortragen durften.
Die Musiker hatten ihn vorhin gebeten, seine Abreise für zwei spontane, gemeinsame Konzerte um ein paar Tage zu verschieben. Ihn, den ehemaligen Volksfeind und Dissidenten. In den Jahren seines Exils hatte er sich ein solches Erlebnis vage als eine Art triumphaler Rückkehr vorgestellt. Aber nun empfand er nicht so. Er fühlte lediglich Freude und Dankbarkeit, mit großartigen Musikern ein wenig mehr Zeit verbringen zu dürfen.
Nachdem der letzte Ton verklungen war, blickte er auf und sah, dass er eine Zuhörerin gehabt hatte. Eine alte Babuschka saß still auf einem Hocker in der Ecke.
Er lächelte ihr zu und sie lächelte zurück.
„Möchten Sie eine Tasse Tee?“
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Frei nach: Michail Rudij schreibt zu den Aufnahmen von Tschaikowskijs erstem und Rachmaninows zweitem Klavierkonzert mit Mariss Jansons und den (seinerzeit noch) Leningrader Philharmonikern im Dezember 1990 – https://goo.gl/images/JtsWo5.
Ich bedanke mich bei Can777 für die Probe.
Und Rachmaninow hatte sein zweites Klavierkonzert gegeben. In der Künstlerloge stand immer noch dasselbe lackierte Klavier, auf dem er sich eingespielt hatte. Denn natürlich hatte er persönlich am Flügel gesessen - ganz in der Tradition der alten Meister hatten Kompositionskunst, Orchesterleitung und Virtuosentum für ihn eine unauflösliche Einheit gebildet.
Eben jenes Werk hatten sie heute aufgenommen. Vieler Unterbrechungen hatte es nicht bedurft, schließlich kannte Mariss die Leningrader Philharmoniker gut aus seiner Zeit als Assistent von Jewgenij Mrawinskij, der das Orchester fünfzig Jahre geleitet und mit eiserner Disziplin und Strenge zu einem der besten Ensembles der Welt geformt hatte. Und so war die Aufnahme-Sitzung fast zum Konzert geraten, für das der prächtige Saal, auf dessen Schwelle er jetzt stand, der passende Rahmen gewesen war.
Als er eintrat, glaubte er förmlich, die längst vergangenen Feste zu riechen. Eine wächsern-vanillige Süße, ein opulenter, ältlicher, ja morbider Blumengeruch. Selbst das reichlich aufgelegte Make Up der hochwohlgeborenen Damen schien in der Luft zu liegen. Und sogar die Dünste des späteren, in intimen Separées ringsum versteckten Teils des Abends konnte er in seiner Phantasie erahnen. Wo üppige Düfte nicht länger vermochten, allzu menschliche Gerüche erhitzter Körper zu überdecken.
Doch binnen Sekunden war das Bild verflogen. Er schaltete alle Kronleuchter ganz hell, schritt auf den Flügel zu, setzte sich und begann zu spielen. Zunächst versuchte er es mit einigen Takten Chopin, bis seine Finger wie von allein in das köstliche Adagio sostenuto Rachmaninows glitten. Erst zögernd, dann immer kraftvoller strömte der Solo-Part aus seinen Fingern, während der Geist in geübter Musikalität das Orchester beifügte. Leise perlten die schwebenden triolenhaften Wellen, zu denen Flöte und Klarinette die Melodie vortragen durften.
Die Musiker hatten ihn vorhin gebeten, seine Abreise für zwei spontane, gemeinsame Konzerte um ein paar Tage zu verschieben. Ihn, den ehemaligen Volksfeind und Dissidenten. In den Jahren seines Exils hatte er sich ein solches Erlebnis vage als eine Art triumphaler Rückkehr vorgestellt. Aber nun empfand er nicht so. Er fühlte lediglich Freude und Dankbarkeit, mit großartigen Musikern ein wenig mehr Zeit verbringen zu dürfen.
Nachdem der letzte Ton verklungen war, blickte er auf und sah, dass er eine Zuhörerin gehabt hatte. Eine alte Babuschka saß still auf einem Hocker in der Ecke.
Er lächelte ihr zu und sie lächelte zurück.
„Möchten Sie eine Tasse Tee?“
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Frei nach: Michail Rudij schreibt zu den Aufnahmen von Tschaikowskijs erstem und Rachmaninows zweitem Klavierkonzert mit Mariss Jansons und den (seinerzeit noch) Leningrader Philharmonikern im Dezember 1990 – https://goo.gl/images/JtsWo5.
Ich bedanke mich bei Can777 für die Probe.
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