Frost St. Clair Scents 2018
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Top Rezension
a sadde andde biutiful worlde
Immer wieder denkst Du daran, im Angesicht der ersten Frühsommerblumen, dann zittert Dein Atem, und Dein Herz schlägt mit den Flügeln. Alles neu, und gänzlich strahlend und unzerstörbar fühlt es sich an, diese Frühsommerverheißung ist wie eine neue Liebe. Dieses Hochgefühl, dass Dir nichts passieren kann. It’s been a long cold lonely winter… here comes the sun… Alles war neu, endlich, die weiche Zitronensonne küsste Deine Tränen fort. Jede kleinste Berührung ließ Dich erbeben, Du hattest das Gefühl, von Luft und Sonne leben zu können, und allein von jener Süße, die die Luft Dir zuträgt. Wie die Geißblattblüten, die ihren Nektartau so zart und doch fast schmerzhaft fühlbar auf Deine Finger sprühen. Alles, aber auch alles antwortete auf Deine Liebe.
Aber ach, die Blüten wurden zu Liebeswundenblumen, nur noch rauchige Spuren von allzu viel Liebe, die Süße nur noch von bitteren Rinden und brennender Nelke. Du sehnst Dich danach, überhaupt noch etwas zu spüren, so wund und vernarbt sind Deine Hände und Dein Herz. Nicht einmal der Schmerz lässt Dich noch Intensitäten fühlen wie früher die Hochgefühle, Du sehnst Dich manchmal danach, unter der Erde und den Graswurzeln zu liegen und ihr Gewicht und ihre erdige Rauheit und Kraft auf Dir zu spüren.
Jenseits dessen aber, oder darunter, und das ist das eigentliche Wunder, wartet eine neue Süße, eine neue feine Leichtigkeit, ein Glück wie pudrige Vanille und zartbebende atmende Labdanumharze. Nicht harmlos, sondern in tiefster Kenntnis der durchlebten Schwere, und im Vertrauen darauf, dass noch etwas auf Dich wartet.
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"Ids a sadde andde biutiful worlde" wird Roberto Benigni in Rolf Aurichs und Stephan Reineckes Buch über Jim Jarmusch phonetisch zitiert. Das stammt aus dem Film "Down by Law" (1986). Benigni spielt darin den Italiener Roberto, der in einer Dreierzelle eines amerikanischen Gefängnisses in den Südstaaten auf die beiden wortkargen Zack (Tom Waits) und Jack (John Lurie) trifft. Er kann kaum Englisch, hat aber ein Notizbuch, in dem er unter anderem Verse von Robert Frost niedergeschrieben hat, die er den beiden immer wieder vorliest, urkomisch und sehr berührend.
Marieposa und Gandix haben schon in den Erläuterungen zu ihren Statements darauf hingewiesen, dass es beim Namen des Duftes um Robert Frost geht. Auf der Homepage von St. Clair Scents heißt es, der Duft folge der Geschichte von Frosts Gedicht „To Earthward“, das die Verwandlung der neuen Liebe von „süß wie die Blütenblätter“ und „Geißblatt“ zu schmerzhafter Liebe beschreibt, die wie „bittere Rinde“, „brennende Nelke“ und „raue Erde“ sticht. Einige Statements schreiben hier aber auch von frostigen Nächten, blauem Licht, ankommender oder vergehender frostiger Kälte, Morgenkühle. Das Gute ist: Das muss sich ja nicht ausschließen. Genial, dass der Duft auch diese Eindrücke zu vermitteln vermag!
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Bei mir startet der Duft mit vielfältiger herbsüßer Zitrik, vor allem grüner Mandarine und frischem Blattkoriander. „Meyer-Zitrone“ musste ich erst nachsehen: Das ist eine natürliche Kreuzung aus Zitrone und Orange oder Mandarine, die wegen ihres besonderen und weniger sauren Aromas geschätzt wird, was hier gut hinkommt. Hinzu tritt recht schnell eine blumige Nektarsüße von Holunderblüte und authentischem Geißblatt. Keine Honigsüße, sondern wirklich frische Nektarsüße, wie er aus Geißblattblüten tropft, oder ganz frisch von Bienen eingesammelt. Hier ist es wirklich, als scheint die Sonne auf diese glitzernden Nektartropfen. Hinzu tritt zarte Rosengeranie, dann wird das Ganze zunehmend würziger mit recht gemäßigter Gewürznelke, - und jetzt kommt für mich eine Sensation, denn es tritt zarter Rauch hinzu. Das ist ganz einzigartig, dieser blumig-zitrische Duft zusammen mit der hintergründig lauernden Rauchnote, oder wie geräucherte Blütenblätter (ganz ohne das Grünzeug). Schließlich wird der Duft immer bitterer, erdiger, schwerer, obwohl das Blumige erhalten bleibt. Das Gedicht wäre hier mit der Erdenschwere und Todeswünschen zu Ende, aber im Duft geht es zum Glück noch weiter: Nach 7-8 Stunden gibt es einen wunderschön feinvanillig-ambrierten Drydown, der das Ganze doch noch wieder ins verheißungsvoll-Melancholische wendet.
Mit liebstem Dank an Can777 für die ursprüngliche Probe und an BeJot, dass ich einen Flakon bekommen konnte!
Robert Frost: To Earthward, in: New Hampshire, 1923
Jim Jarmusch: Down by Law (USA 1986)
Aurich/Reinecke (Hg.): Jim Jarmusch. Dieter Bertz Verlag, Berlin 2001.
Aber ach, die Blüten wurden zu Liebeswundenblumen, nur noch rauchige Spuren von allzu viel Liebe, die Süße nur noch von bitteren Rinden und brennender Nelke. Du sehnst Dich danach, überhaupt noch etwas zu spüren, so wund und vernarbt sind Deine Hände und Dein Herz. Nicht einmal der Schmerz lässt Dich noch Intensitäten fühlen wie früher die Hochgefühle, Du sehnst Dich manchmal danach, unter der Erde und den Graswurzeln zu liegen und ihr Gewicht und ihre erdige Rauheit und Kraft auf Dir zu spüren.
Jenseits dessen aber, oder darunter, und das ist das eigentliche Wunder, wartet eine neue Süße, eine neue feine Leichtigkeit, ein Glück wie pudrige Vanille und zartbebende atmende Labdanumharze. Nicht harmlos, sondern in tiefster Kenntnis der durchlebten Schwere, und im Vertrauen darauf, dass noch etwas auf Dich wartet.
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"Ids a sadde andde biutiful worlde" wird Roberto Benigni in Rolf Aurichs und Stephan Reineckes Buch über Jim Jarmusch phonetisch zitiert. Das stammt aus dem Film "Down by Law" (1986). Benigni spielt darin den Italiener Roberto, der in einer Dreierzelle eines amerikanischen Gefängnisses in den Südstaaten auf die beiden wortkargen Zack (Tom Waits) und Jack (John Lurie) trifft. Er kann kaum Englisch, hat aber ein Notizbuch, in dem er unter anderem Verse von Robert Frost niedergeschrieben hat, die er den beiden immer wieder vorliest, urkomisch und sehr berührend.
Marieposa und Gandix haben schon in den Erläuterungen zu ihren Statements darauf hingewiesen, dass es beim Namen des Duftes um Robert Frost geht. Auf der Homepage von St. Clair Scents heißt es, der Duft folge der Geschichte von Frosts Gedicht „To Earthward“, das die Verwandlung der neuen Liebe von „süß wie die Blütenblätter“ und „Geißblatt“ zu schmerzhafter Liebe beschreibt, die wie „bittere Rinde“, „brennende Nelke“ und „raue Erde“ sticht. Einige Statements schreiben hier aber auch von frostigen Nächten, blauem Licht, ankommender oder vergehender frostiger Kälte, Morgenkühle. Das Gute ist: Das muss sich ja nicht ausschließen. Genial, dass der Duft auch diese Eindrücke zu vermitteln vermag!
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Bei mir startet der Duft mit vielfältiger herbsüßer Zitrik, vor allem grüner Mandarine und frischem Blattkoriander. „Meyer-Zitrone“ musste ich erst nachsehen: Das ist eine natürliche Kreuzung aus Zitrone und Orange oder Mandarine, die wegen ihres besonderen und weniger sauren Aromas geschätzt wird, was hier gut hinkommt. Hinzu tritt recht schnell eine blumige Nektarsüße von Holunderblüte und authentischem Geißblatt. Keine Honigsüße, sondern wirklich frische Nektarsüße, wie er aus Geißblattblüten tropft, oder ganz frisch von Bienen eingesammelt. Hier ist es wirklich, als scheint die Sonne auf diese glitzernden Nektartropfen. Hinzu tritt zarte Rosengeranie, dann wird das Ganze zunehmend würziger mit recht gemäßigter Gewürznelke, - und jetzt kommt für mich eine Sensation, denn es tritt zarter Rauch hinzu. Das ist ganz einzigartig, dieser blumig-zitrische Duft zusammen mit der hintergründig lauernden Rauchnote, oder wie geräucherte Blütenblätter (ganz ohne das Grünzeug). Schließlich wird der Duft immer bitterer, erdiger, schwerer, obwohl das Blumige erhalten bleibt. Das Gedicht wäre hier mit der Erdenschwere und Todeswünschen zu Ende, aber im Duft geht es zum Glück noch weiter: Nach 7-8 Stunden gibt es einen wunderschön feinvanillig-ambrierten Drydown, der das Ganze doch noch wieder ins verheißungsvoll-Melancholische wendet.
Mit liebstem Dank an Can777 für die ursprüngliche Probe und an BeJot, dass ich einen Flakon bekommen konnte!
Robert Frost: To Earthward, in: New Hampshire, 1923
Jim Jarmusch: Down by Law (USA 1986)
Aurich/Reinecke (Hg.): Jim Jarmusch. Dieter Bertz Verlag, Berlin 2001.
30 Antworten
Deine Rezension ebenfalls & wieder sehr gerne gelesen! Duft bleibt definitiv auf der ML..
Und die tolle,informative Rezension.
Danke auch dafür, dass Du mich daran erinnerst, DOWN BY LAW wieder einmal zu schauen. Und Robert Frost habe ich bisher anscheinend zu wenig beachtet…
Trotzdem ist da ganz viel Leichtigkeit im Spiel ohne das Frost ein Leichtgewicht wäre…
Ich habe es wie immer gerne durchgelesen. 🥂🙏
und wie es scheint, zeigt der Duft vielfältige Facetten, die hier alle ihre Berechtigung haben, es lebe das Sowohl-AlsAuch!...
--> Neuzugang für ML
schön umgesetzt
Eine wunderbare Rezension ist das. Du findest so wunderbare Wege, Assoziationen mit Fakten zu einem spannenden Erzählstrang zu verdichten, dass ich gebannt an Deinen Worten klebe. Der Duft wird dabei (fast) zur Nebensache. In diesem Fall haben wir es m. E. mit einem wunderschönen Sonderling zu tun, der Unvereinbares miteinander vereint Und ich gehöre tatsächlich zu der Fraktion, die zu Beginn das Eis knacken hört. Wunderschön beschrieben von Dir! ✨
Bei Robert Frost denke ich natürlich an Stopping by woods on a snowy evening (und damit endet auch schon meine angetäuschte Literaturkenntnis, aber ich glaube, ich habe einen Gedichtband im Regal)… und mit Down by Law erinnerst Du mich an eine Filmvorführung im Englischunterricht und Benignis „My mother told me how to kill a rabbit“ (auch hier ebenfalls Beflissenheit antäuschend, denn an mehr kann ich mich nicht mehr erinnern…).
Ach, Du wieder.
im ersten moment musste ich an sylvia plath denken, aber robert frost passt auch..
Ich will jetzt sofort Frühling haben... Geißblatt.... yummy 😊
Eins von Dianes Zauberwerken.
Leben ist traurig und schön und unbeschreiblich.
Danke für Deine schönen Bilder.🪷