ElAttarine
10.02.2025 - 13:03 Uhr
34
Top Rezension
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft

a sadde andde biutiful worlde

Immer wieder denkst Du daran, im Angesicht der ersten Frühsommerblumen, dann zittert Dein Atem, und Dein Herz schlägt mit den Flügeln. Alles neu, und gänzlich strahlend und unzerstörbar fühlt es sich an, diese Frühsommerverheißung ist wie eine neue Liebe. Dieses Hochgefühl, dass Dir nichts passieren kann. It’s been a long cold lonely winter… here comes the sun… Alles war neu, endlich, die weiche Zitronensonne küsste Deine Tränen fort. Jede kleinste Berührung ließ Dich erbeben, Du hattest das Gefühl, von Luft und Sonne leben zu können, und allein von jener Süße, die die Luft Dir zuträgt. Wie die Geißblattblüten, die ihren Nektartau so zart und doch fast schmerzhaft fühlbar auf Deine Finger sprühen. Alles, aber auch alles antwortete auf Deine Liebe.
Aber ach, die Blüten wurden zu Liebeswundenblumen, nur noch rauchige Spuren von allzu viel Liebe, die Süße nur noch von bitteren Rinden und brennender Nelke. Du sehnst Dich danach, überhaupt noch etwas zu spüren, so wund und vernarbt sind Deine Hände und Dein Herz. Nicht einmal der Schmerz lässt Dich noch Intensitäten fühlen wie früher die Hochgefühle, Du sehnst Dich manchmal danach, unter der Erde und den Graswurzeln zu liegen und ihr Gewicht und ihre erdige Rauheit und Kraft auf Dir zu spüren.
Jenseits dessen aber, oder darunter, und das ist das eigentliche Wunder, wartet eine neue Süße, eine neue feine Leichtigkeit, ein Glück wie pudrige Vanille und zartbebende atmende Labdanumharze. Nicht harmlos, sondern in tiefster Kenntnis der durchlebten Schwere, und im Vertrauen darauf, dass noch etwas auf Dich wartet.
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"Ids a sadde andde biutiful worlde" wird Roberto Benigni in Rolf Aurichs und Stephan Reineckes Buch über Jim Jarmusch phonetisch zitiert. Das stammt aus dem Film "Down by Law" (1986). Benigni spielt darin den Italiener Roberto, der in einer Dreierzelle eines amerikanischen Gefängnisses in den Südstaaten auf die beiden wortkargen Zack (Tom Waits) und Jack (John Lurie) trifft. Er kann kaum Englisch, hat aber ein Notizbuch, in dem er unter anderem Verse von Robert Frost niedergeschrieben hat, die er den beiden immer wieder vorliest, urkomisch und sehr berührend.
Marieposa und Gandix haben schon in den Erläuterungen zu ihren Statements darauf hingewiesen, dass es beim Namen des Duftes um Robert Frost geht. Auf der Homepage von St. Clair Scents heißt es, der Duft folge der Geschichte von Frosts Gedicht „To Earthward“, das die Verwandlung der neuen Liebe von „süß wie die Blütenblätter“ und „Geißblatt“ zu schmerzhafter Liebe beschreibt, die wie „bittere Rinde“, „brennende Nelke“ und „raue Erde“ sticht. Einige Statements schreiben hier aber auch von frostigen Nächten, blauem Licht, ankommender oder vergehender frostiger Kälte, Morgenkühle. Das Gute ist: Das muss sich ja nicht ausschließen. Genial, dass der Duft auch diese Eindrücke zu vermitteln vermag!
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Bei mir startet der Duft mit vielfältiger herbsüßer Zitrik, vor allem grüner Mandarine und frischem Blattkoriander. „Meyer-Zitrone“ musste ich erst nachsehen: Das ist eine natürliche Kreuzung aus Zitrone und Orange oder Mandarine, die wegen ihres besonderen und weniger sauren Aromas geschätzt wird, was hier gut hinkommt. Hinzu tritt recht schnell eine blumige Nektarsüße von Holunderblüte und authentischem Geißblatt. Keine Honigsüße, sondern wirklich frische Nektarsüße, wie er aus Geißblattblüten tropft, oder ganz frisch von Bienen eingesammelt. Hier ist es wirklich, als scheint die Sonne auf diese glitzernden Nektartropfen. Hinzu tritt zarte Rosengeranie, dann wird das Ganze zunehmend würziger mit recht gemäßigter Gewürznelke, - und jetzt kommt für mich eine Sensation, denn es tritt zarter Rauch hinzu. Das ist ganz einzigartig, dieser blumig-zitrische Duft zusammen mit der hintergründig lauernden Rauchnote, oder wie geräucherte Blütenblätter (ganz ohne das Grünzeug). Schließlich wird der Duft immer bitterer, erdiger, schwerer, obwohl das Blumige erhalten bleibt. Das Gedicht wäre hier mit der Erdenschwere und Todeswünschen zu Ende, aber im Duft geht es zum Glück noch weiter: Nach 7-8 Stunden gibt es einen wunderschön feinvanillig-ambrierten Drydown, der das Ganze doch noch wieder ins verheißungsvoll-Melancholische wendet.

Mit liebstem Dank an Can777 für die ursprüngliche Probe und an BeJot, dass ich einen Flakon bekommen konnte!
Robert Frost: To Earthward, in: New Hampshire, 1923
Jim Jarmusch: Down by Law (USA 1986)
Aurich/Reinecke (Hg.): Jim Jarmusch. Dieter Bertz Verlag, Berlin 2001.
30 Antworten
Flakon11eFlakon11e vor 5 Monaten
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Mit „Down by law“ verwoben zu sein, ist schon hohe Kunst!
Deine Rezension ebenfalls & wieder sehr gerne gelesen! Duft bleibt definitiv auf der ML..
Can777Can777 vor 5 Monaten
1
So schön beschrieben von Dir!🥰
IntersportIntersport vor 5 Monaten
1
Sehr angebrachte Huldigung zu einem wirklich tollen Duft - ich hab vor Zeiten mal dazu notiert 'ob Robert Frost, dem der Duft gewidmet ist, ganz spät im Leben eine Flasche Chanel pour Monsieur in seinem writing cabinet bunkerte? '
WisivcWisivc vor 5 Monaten
1
Ach, wie schön, das zu lesen 😍 danke für deine Rezension. Der ist eh schon lamg auf der Merkliste 😅
SeejungfrauSeejungfrau vor 5 Monaten
1
Herzlichen Glückwunsch zum Flacon. 😊
Und die tolle,informative Rezension.
MarieposaMarieposa vor 5 Monaten
1
Huch, fast verpasst. Aber zum Glück nur fast! Das ist so zauberhaft, das werde ich wieder und wieder und wieder lesen. Aber - Himmel! - warum kenne ich diesen Film nicht?!
GoldGold vor 5 Monaten
1
Ich bewundere Deine Art, über Düfte zu schreiben und Persönliches mit Informationen zum Duft so zu verbinden, dass ein textliches Gesamtkunstwerk entsteht. Danke für Deine Mühe und Zeit. Du bist eine echte Duftliebhaberin - wundervoll, dass Du hier bist!
LiLu77LiLu77 vor 5 Monaten
2
Um es kurz zu machen: Eine Rezension zum Niederknien!
Danke auch dafür, dass Du mich daran erinnerst, DOWN BY LAW wieder einmal zu schauen. Und Robert Frost habe ich bisher anscheinend zu wenig beachtet…
ScentwolfScentwolf vor 5 Monaten
1
Gerade dieses bittere tut Frost so gut.
Trotzdem ist da ganz viel Leichtigkeit im Spiel ohne das Frost ein Leichtgewicht wäre…
GelisGelis vor 5 Monaten
1
Macht auf jeden Fall neugierig. Nur die zwischenzeitliche Bitterkeit, die Du ansprichst, gibt mir ein bisschen zu denken.
Medusa00Medusa00 vor 5 Monaten
1
Das klingt auf jeden Fall interessant. Den duft kenne ich noch nicht.
Gera1997Gera1997 vor 5 Monaten
1
Da haben wir mal wieder eine schön geschriebene Buchvorlage, mit einer ganz tollen Beschreibung.
Ich habe es wie immer gerne durchgelesen. 🥂🙏
Skydiver19Skydiver19 vor 5 Monaten
1
große Erzählkunst mit Fakten raffiniert verwoben, bin sehr beeindruckt und berührt...
und wie es scheint, zeigt der Duft vielfältige Facetten, die hier alle ihre Berechtigung haben, es lebe das Sowohl-AlsAuch!...
--> Neuzugang für ML
CfrCfr vor 5 Monaten
1
Ich hab doch keine Flügel 😉
schön umgesetzt
BosworthBosworth vor 5 Monaten
1
Ich überlege gerade, ob ich mich heute nicht auch danach sehne, unter der Erde und den Graswurzeln zu liegen. Sehr gerne gelesen.
ErgoproxyErgoproxy vor 5 Monaten
1
Der war schon schön. Den Film hatte ich damals gesehen, aber so wirklich daran erinnern kann ich mich nicht mehr.
BridaBrida vor 5 Monaten
1
Endlich eine wunderschöne Rezension zu diesem ganz besonderen Duft ! Der ist für mich, wie eine in Duft geschriebene Liebeserklärung a die Erde. Danke für deine wunderbaren Worte 😊
MidnightsMidnights vor 5 Monaten
2
„ Alles, aber auch alles antwortete auf Deine Liebe.“ Wie schön ist das denn eigentlich?!
Eine wunderbare Rezension ist das. Du findest so wunderbare Wege, Assoziationen mit Fakten zu einem spannenden Erzählstrang zu verdichten, dass ich gebannt an Deinen Worten klebe. Der Duft wird dabei (fast) zur Nebensache. In diesem Fall haben wir es m. E. mit einem wunderschönen Sonderling zu tun, der Unvereinbares miteinander vereint Und ich gehöre tatsächlich zu der Fraktion, die zu Beginn das Eis knacken hört. Wunderschön beschrieben von Dir! ✨
PonticusPonticus vor 5 Monaten
2
Das ist eine sehr schöne Rezension voll Gefühl und Poesie, ergänzt durch eine detailierte Duftbeschreibung! Es war eine Freude sie zu lesen und auch der Duft selbst scheint gut tragbar zu sein! Klasse!
UntermWertUntermWert vor 5 Monaten
3
Wow, was für eine Rezension wieder! Es scheint ein wundervoller Duft zu sein, das Label reizt mich sehr, die Unerreichbarkeit läßt mich (innerlich schmollend) eher Abstand davon nehmen, damit ich mich nicht unglücklich in einen der Düfte verliebe… 😉
Bei Robert Frost denke ich natürlich an Stopping by woods on a snowy evening (und damit endet auch schon meine angetäuschte Literaturkenntnis, aber ich glaube, ich habe einen Gedichtband im Regal)… und mit Down by Law erinnerst Du mich an eine Filmvorführung im Englischunterricht und Benignis „My mother told me how to kill a rabbit“ (auch hier ebenfalls Beflissenheit antäuschend, denn an mehr kann ich mich nicht mehr erinnern…).
Ach, Du wieder.
MairuwaMairuwa vor 5 Monaten
2
Schon wieder großes Kino! Den würde ich nun natürlich gerne mal im alten Programmkino testen. Und anschließend zur Lyriklesung. Wenn Frost seine Versprechen hält, wird er das ja vermutlich beides durchhalten: miles to go before I sleep... ;)
DuftgroupieDuftgroupie vor 5 Monaten
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So schön berührend 🥹🥹✨✨✨🏆
KrapnekKrapnek vor 5 Monaten
2
gewohnt zauberhafte beschreibung von dir, das scheint ein wirklich schöner zu sein!
im ersten moment musste ich an sylvia plath denken, aber robert frost passt auch..
SchatzSucherSchatzSucher vor 5 Monaten
2
Wieder einmal sehr bildreich, anschaulich andde biutiful vorgestellt 👍
Ich will jetzt sofort Frühling haben... Geißblatt.... yummy 😊
PollitaPollita vor 5 Monaten
2
Frühsommerblumen. Ich hatte hier Frühling. War nicht ganz meiner, aber zauberhaft ist er trotzdem.
FloydFloyd vor 5 Monaten
2
Einer meiner am häufigsten gesehenen Filme ist Down by Law. Tom Waits, John Lurie und Roberto Beningi in Hochform.. dazu die Bilder von Jarmush und die grandiose Musik.. Der Duft passt mit diesem Hintergrund natürlich phantastisch dazu.. Tolle Querverbindungen.. "Iiis ita ai luuk at da windo or is it ai luuk auta da windo?" - "well in this case it's at the window, I'm afraid!"
MairuwaMairuwa vor 5 Monaten
3
@Floyd: Und jetzt alle: Ai skrima, ju skrima, wi ol skrima for ais krima
PETPET vor 5 Monaten
2
St. Clairs ist momentan eines der besten Artisan-Häuser die es gibt und Jarmusch liebe ich sowieso!
GandixGandix vor 5 Monaten
2
Du hast vollkommen Recht : Der Duft birgt beides in sich....
Eins von Dianes Zauberwerken.
RogauxRogaux vor 5 Monaten
2
Ein Duft der Versatzstücke von Robert Frost, Jim Jarmush, Roberto Benigni, Tom Waits und John Lurie zur Beschreibung braucht, muss nahe am Grund liegen.
Leben ist traurig und schön und unbeschreiblich.
Danke für Deine schönen Bilder.🪷