Wer sich heutzutage als Parfümeur einem der großen Klassiker aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nähert in der Absicht, ihn zu modernisieren oder gar zu neuem Leben zu erwecken, braucht neben Herzblut, Sachverstand und Fingerspitzengefühl vor allem eines: Mut.
Denn groß ist die Schar der Anhänger, die in der Urversion eines Parfums ihren Heiligen Gral, ihr olfaktorisches Nonplusultra gefunden haben, für die jede Veränderung, jedes Hinfortnehmen oder Hinzufügen einem Frevel gleichkommt, wie behutsam eine Reformulierung im Einzelfall auch erfolgen mag – gnädigstenfalls wird eine Verwässerung beklagt, schlimmstenfalls eine Kastration.
Auch ich habe mich schon böse über's Ohr respektive die Nase gehauen gefühlt, wenn mir ein Parfum, das mir vor vielen Jahren in all seiner Pracht begegnet war, nur noch als Schatten seiner selbst präsentiert wurde, begleitet von einem im Brustton der Überzeugung gesprochenen: "Aber natürlich ist der Duft seit seinem Entstehungsjahr unverändert!"
Denn sie wissen nicht...
Wer auch immer im Hause Worth verantwortlich war für "Je Reviens Couture": Neuen Wein in alten Schläuchen hat man nicht zu kredenzen versucht.
Keine versteckte Reformulierung (einer vermutlich ohnehin bereits reformulierten Legende), allenfalls eine Art Flanker ist entstanden bei diesem Brückenschlag aus der Zeit zwischen den Weltkriegen in ein neues Jahrtausend, dessen Bewohner trotz aller Schnellebigkeit, allem atemlosen Konsum doch (noch?) nicht vollständig den Bezug zu allen Werten, allen Wurzeln, allem Wunderbaren der Vergangenheit verloren haben, die noch zwischen Qualität und Quantität zu differenzieren vermögen und sich mitunter ganz bewußt für ein Innehalten, Sichumwenden und Zurückgreifen entscheiden.
Ohne sich einen Deut darum zu scheren, ob das nun "cool" ist oder nicht.
Es hatte lange gedauert, bis ich "Je Reviens" für mich entdeckt und mich verliebt hatte in diesen unterkühlten, ultrasauberen Blütenchypre mit seiner raumgreifenden, doch niemals erdrückenden, erwürgenden Präsenz, der so eigenwillig ist und so tiefgründig, der seine Erotik nicht zu Markte trägt und doch alle Köpfe in eine Richtung dreht.
Der gar nicht daran denkt, etwas zu versprechen, und umso mehr hält.
Der Persönlichkeit erfordert und Reife, einen Mann oder eine Frau, entspannt und sicher, die das Spiel und seine Regeln kennen – und mit einem Lächeln brechen.
Würde "Je Reviens Couture" diesem übergroßen Vorbild das Wasser reichen können?
Ein starker Auftritt: Kraftvoll-seifige Aldehyde erheben sich aus einem Wirbel grün-blumiger Akkorde, sehr kühl, sehr sauber – so prickelnd klar wie ein Morgen am Beginn des Frühlings, zartes Grün und erste Blüten noch kristallisiert vom Rauhreif der Nacht.
Vom ersten Augenblick an nennt "Je Reviens Couture" Mutter und Vater, Stammhaus und Siegel, läßt keinerlei Zweifel an seiner Herkunft – um alsbald überraschend leise Töne anzuschlagen, alle Wucht zurückzunehmen, ohne dabei an Körper zu verlieren.
Wie eine Melodie, die nach stürmischem Auftakt sanftere, weichere, zärtlichere Töne hervorbringt, schmiegt und schmeichelt sich "Je Reviens Couture" nun an meine Haut und in meine Nase, kitzelt mit zitrischen Akzenten und irritiert für einen Moment mit synthetischen Spitzen, die ich auf den Plastiksprüher meiner Abfüllung zurückführe.
Eingelullt in diese fedriglichten Schleier, bin ich nicht vorbereitet auf das erneute "Forte, fortissimo!" aus opulent-trockenem Flieder, silberpudriger Iriswurzel und feinsticheliger Narzisse, das eichenmoosumkränzt von meiner Haut zu perlen beginnt.
Berauschend ist dieses Zusammenspiel aus kühlen und klaren, sanften und herben Nuancen, trocken und pudrig und metallisch fast, präsent in meiner Nähe, ohne den gesamten Raum zu fluten, sich aufwärmend, zarter und transparenter werdend mit der Zeit, doch niemals wässrig, niemals schwachbrüstig, niemals seine Wurzeln verleugnend.
Ein Sproß aus bestem Hause, Kind seiner Eltern und Kind seiner Zeit, Traditionen bewahrend mit Zugeständnissen an das Heute, das Morgen – das Charakter besitzt und jenes unaussprechliche, unerklärliche Etwas, das so sehr anzieht.
Cool eben.
PS: Cristalle - danke!