Killer Vavoom von Azman

Killer Vavoom 2022

Profumo
07.06.2023 - 07:12 Uhr
32
Top Rezension
9Duft 10Haltbarkeit

Pin-Up Girls und Heckflosser

Ja, Matos nervt.
Ständig kommt er mit neuem schrillen Zeug daher, kombiniert Banane mit Plastik, Erdbeer-Kaugummi mit Soda, oder Jasmin mit Chlor. Aber damit nicht genug, meist suhlen sich diese geruchlichen Mesalliancen auch noch, wie Schweine im Koben, in einer derben, überbordenden Animalik, am liebsten in fäkalem Zibet, gerne auch stinkig-dreckigem Moschus, wälzen sich anschließend in körperlichen Costus-Feuchtgebieten, um sich zu guter Letzt mit einer Puderquaste voll schweißigem Kreuzkümmel zu deodorieren.
Mehr Igitt vereint kaum ein Parfümeur in seinen Kreationen, ein selbsternannter, by the way, denn die, die es von der Pieke auf gelernt haben, womöglich gar ISIPCA diplomiert, die anschließend auf den Galeeren der großen Aromen- und Duftstoffherstellern anheuerten, die würden den Teufel tun, ihre handwerklichen Fähigkeiten derart bloßzustellen.

Nein, mit einem Jean-Claude Ellena oder Bertrand Duchaufour, einer Mathilde Laurent oder Christine Nagel kann sich ein Miguel Matos natürlich nicht messen. Vermutlich will er das aber auch nicht. Seine Funktion ist vielmehr die eines Enfant Terribles, eines Störenfriedes in der selbstgefällig dahindümpelnden Parfumbranche, in der zwar jeder nach einem neuen Hit giert, keiner sich aber zu weit aus dem Fenster lehnen mag. Da kommen so Dreistlinge wie Matos gerade recht, die übermütig dilettierend auf der Duftorgel herum hacken, dass den Granden und Grandinnen der Zunft die Sinne schwinden – aber, erhöhte Obacht: vielleicht springt ja etwas heraus!
Explosiv wie das kreative Potential des Portugiesen nämlich ist, könnte es der gebannt einander beäugenden Karawane tatsächlich als Impulsgeber dienen, den einen verheißungsvollen Schritt zu tun, der Verharrung endlich zu entkommen.
Sollen andere sich doch die Finger verbrennen!

Nun ist es aber nicht so, dass Matos nur Schrilles, sich selbst Gegnügendes fabriziert, sondern, dass er mit seinen Kreationen zur Haute Parfumerie hin und wieder sogar aufzuschließen vermag, ohne sich dabei über Gebühr zu verbiegen. „Killer Vavoom“ ist nun so ein Duft, der tatsächlich einem der renommierten Häuser entstammen könnte. Im Grunde verbirgt sich hinter dessen vordergründig plakativem Gourmand-Konzept nämlich das klassische mit Pflaumen aromatisierte Chypre-Konstrukt eines „Femme de Rochas“, eines „Diorama“ oder eines „Parfum de Thérèse“ – allesamt vom vielleicht größten Parfümeur entwickelt, der jemals gelebt hat: Edmond Roudnitska.

So kann man „Killer Vavoom“ auch als eine Art Verbeugung vor dem Altmeister der Chypre-Kunst lesen, auf Matos-Art natürlich. Dem schlanken, sehnigen Franzosen tritt er in vollem Divo-Ornat, auf großer Fregatte, mit geblähten Segeln entgegen. Alles, was Roudnitska im Laufe seines Lebens an Überflüssigem über Board warf, um so die kleineren, wendigeren Schiffe, mit den eleganteren Linien steuern zu können, packt Matos auf seinen überreich beladenen Dreimaster. Im Grunde ist „Killer Vavoom“ das duftgewordene Sinnbild für genau jene Opulenz, die Roudnitska zu überwinden versuchte, während Matos hemmungslos in ihr schwelgt. Aber, ich finde das Schwelgen in ihr hat durchaus seine Berechtigung, so wie man in der Opulenz Bruckner’scher Symphonien schwelgen, zugleich aber auch die filigrane Brillanz Schubert'scher Streichquartette bewundern kann.

Und Killer Vavoom ist opulent, aber hallo!
Aus den zu Wespentaillen verschnürten, Haute Couture tragenden Damen der Nachkriegszeit, wurde ein Curvy Model im Schokoladen-Delirium, mit Vollbart und in Leder-Chaps.
Klingt skurril, ist es auch.
‚Vavoom’ (auch ‚Va-Va-Voom’, wenn der Motor beim Anlassen stotterte, oder in heutigen Kinderzimmern: ‚Wrumm-Wrumm’) ist ein amerikanischer Slang- bzw. Comic-Strip-Ausdruck aus den 50ern, der das Aufheulen kurvenreicher Straßenkreuzer imitiert, und die nicht minder kurvenreichen Pin-Up-Girls der damaligen Zeit gleichermaßen bewundernd bedenkt. So wurden die ausladenden Heckflossen eines Cadillac ebenso mit „vavoooom!!“ quittiert, wie der Atombusen (noch so ein früher gängiger, heute skurril anmutender Begriff) von Jayne Mansfield.
Das „Killer“ davor steigert die libidinöse Lust am Kurvenreichtum ins Groteske, ins karikierend Übertriebene, nicht mehr Steigerbare, „Tödliche“ – die berühmte Dragqueen Divine und Tom of Finland lassen grüßen: Vavooooom!!!!

„Vavoom“ ist hier tatsächlich viel: die saftig ledrige Osmanthus-Blüte, die reichhaltige Pflaumen-Süße, der voluminös-erdige Eichenmoos-Patchouli-Fond, der lüstern-animalische Moschus-Hauch. Und über allem, der „Killer“: eine Fontäne zähfließender, herber Schokolade, die sich gleich einer Kaskade von den Kopf- über die Herz-Noten bis hinunter zur Basis ergießt. Sie durchdringt alles, ohne es zu ersticken, sie rahmt alles, ohne es zu überdecken. Ihre Präsenz ist wirklich enorm, oder mit anderen Worten: „Vavoooom!!“. Wer den Geruch von Schokolade nicht mag – Finger weg! Wer ihn aber mag, noch dazu die guten alten Pflaumen-Chypres, nebst einem kernigen Drall ins Ledrige schätzt, der, oder die, könnte mit „Killer Vavoom“ glücklich werden.
Süß ist der natürlich schon, ziemlich süß, aber auf eine Art, die ich mag: dunkel, Melasse-artig, fruchtig, herb. Keine Zuckerwatten-Süße, keine Flieder- oder Freesien-Süße, überhaupt nichts hell Süßes. Vielmehr ist alles dunkel, fast schwarz: das Leder, die Schokolade, die Pflaume, das Patchouli – voluminöse dunkle Opulenz!

Für mich ist der Duft eine gelungene Symbiose aus Vintage-Vibes (Matos liebt ja die alten fruchtigen Damen-Chypres!), moderner Gourmand-Allüre und zeitgemäßer Gender-Fluidität, denn mithilfe der ledrig-animalischen Beimischungen ist der Femme de Rochas doch tatsächlich ein Bart gewachsen, und was für einer!

Ein reifer Matos, ein erwachsener gewissermaßen, der die jugendlichen Überspanntheiten hinter sich lässt, der – immer noch wild! – versammelter rüberkommt, in sich ruhender.

Mich nervt der keine Sekunde!
20 Antworten
SirLancelotSirLancelot vor 2 Jahren
Deine Meinung zu Matos teile ich eins zu eins, aber irgendwie traut er sich im Gegensatz zu anderen auch mal was. Deine Rezension ist wie immer großartig zu lesen und der Duft schmückt erstmal die Merkliste!
MarieposaMarieposa vor 2 Jahren
Überzeugt: Meine Merkliste hat eine neue Nummer 1!
AxiomaticAxiomatic vor 2 Jahren
1
Matos ist das, was JPG Anfang der 1980er war. Doch sie werden auch irgendwann mal älter und erwachsener…
Schriller Duft, die Schokolade klingt extrem fordernd. Und dennoch testwert!
Wieder einmal bestens rezensiert!
(Mein Roudnitska Herz schlägt wieder!)
Vielleicht stellen Divine und Aunt Ida ja Pokale mit hartgekochten Eiern ab, im Auftrag versteht sich.
🏆🏆
KovexKovex vor 2 Jahren
Ich bin froh, dass es so bunte Vögel wie Matos in der Szene gibt. Das ist das Salz in der Suppe. Und ich freue mich, dass es so großartige Rezensenten wie Dich gibt, die uns diese Düfte näher bringen!
ExUserExUser vor 2 Jahren
Ich schließe mich da dem Schatzsucher an. Matos seine Kreationen sind mir meist zu überzeichnet und ich wurde bisher auch noch mit keinem seiner Düfte warm. Aber das habe ich auch über Prin Lomros gedacht und wurde zuletzt überrascht. Deine Rezension ist dennoch großartig.
HektorHektor vor 2 Jahren
Sehr gerne gelesen, den mag ich bekanntlich auch.
IntersportIntersport vor 2 Jahren
Ausgesprochen vorzügliche Analyse von Dir, mit Vergnügen gelesen. Dass Matos, wenn auch nicht hier, schon mal gerne Verbindungen vorschlägt, die vielleicht erst in 20 Jahren im Curriculum der grossen Parfum Schulen auftauchen werden, finde ich toll, und ja, gerne mehr davon - nur mit den zum Teil doch sehr retroesquen Profilen komme ich nicht ganz klar...
MonsieurTestMonsieurTest vor 2 Jahren
Wieder eine wundertütenhaftd Grossrezension mit vielen wertvollen und witzigen Querverweisen. Sooo kann man mir Matos tatsächlich schmackhaft machen :-))
FloydFloyd vor 2 Jahren
1
Matos wird immer mehr einer meiner Helden, weil er genau das tut, was Du hier beschreibst ;-)
SeejungfrauSeejungfrau vor 2 Jahren
So sehe ich Matos auch.
BertelBertel vor 2 Jahren
Die Maxi-Version Deines Statements - love it! 👍
ErgoproxyErgoproxy vor 2 Jahren
Solche Rabauken braucht es immer wieder. Nicht alls9was ich bisher von Herrn Matos testen konnte war mir angenehm, aber spannend war es allemal. Danke für den tollen Kommentar, der Neugierde aus den Duft macht.
ProfumoProfumo vor 2 Jahren
Die braucht's unbedingt! Ohne die Matosse, Laudamiels, Ipekçis oder Gardonis wär's doch arg fad...
SchatzSucherSchatzSucher vor 2 Jahren
Hehe, Matos nervt :-D
Er wagt was und das erkenne ich an, auch wenn er kontinuierlich an meinem Geschmack vorbeirührt ähm kreiert...
Aber dran schnuppern reicht ja auch oftmals aus.
Deine Kommentare sind jedenfalls immer ein Fest.
ProfumoProfumo vor 2 Jahren
Meinen Geschmack trifft er meistens ganz gut, wenn er auch manchmal ein bisschen über's Ziel hinaus schießt.
SebastianMSebastianM vor 2 Jahren
Die Auszeichnung ist für den, nun ja, ausgezeichneten Text. Ein Lesevergnügen. Allerdings liest er sich in weiten Teilen wie eine Apologie. Ich nehme ihn als Warnung.
ProfumoProfumo vor 2 Jahren
Gewarnt sein darf man gerne, denn die Schoko-Leder-Moschus-Kombi ist nicht ganz ohne. Muss man mögen. Und da ich weiß, dass der Duft polarisieren wird, sind mein Worte vorausahnend vielleicht ein wenig apologetisch geraten...
YataganYatagan vor 2 Jahren
Ein literarischer Genuss! Mit Humor geschrieben dazu! Ich habe hier eine Abfüllung liegen und nutze deine Analyse nun als Bedienungsanleitung!
ProfumoProfumo vor 2 Jahren
Bin gespannt, ob der dir gefällt. Hab da so meine Zweifel...
PollitaPollita vor 2 Jahren
Bis auf die Schokolade tatsächlich eine recht klassisch anmutende Duftpyramide. Aber Matos ist meist eher nicht mein Fall, deshalb lasse ich einen Test auch hier eher aus.