Natürlich stellt man sich im Laufe der eigenen, bescheidenen Parfumo-Existenz irgendwann die Frage der Fragen: "Was wäre, wenn ich Parfümeur*in wäre ... wie würde der ideale Duft riechen, wenn ich ihn allein nach meinen Vorlieben und für meine Nase kreieren dürfte?"
Ich habe diese Frage vor Jahren für mich folgendermaßen beantwortet: Vanille, Iris, Leder.
Und natürlich habe ich in der Folgezeit zahlreiche Düfte getestet, die sich diesen Präferenzen annähern.
Das Duftbild in meinem Kopf ist ziemlich konkret: Etwas Süße, einer satten, sämig anmutenden Vanille geschuldet, jedoch weit entfernt von jeglicher Klebrigkeit, feiner Irispuder, gerne einen Hauch karottig, aber keinesfalls staubig. Und zu guter Letzt ein samtweiches Veloursleder von makelloser Textur, das die beiden Erstgenannten elegant verblendet, ohne den Gesamteindruck zu dominieren.
Am nächsten kam diesem inneren Wunschbild "Le Vestiaire - Velours | Yves Saint Laurent", bei dem allerdings der Weihrauch eine Facette hinzufügte, die mir auf Dauer zu dominant wurde und meinen Wunsch nach vanilliger Harmonie sabotierte. Bei
Violet Ida war ich im Karotten-Iris-Himmel und fühlte mich rundum wohl und geborgen. Pudersüße Unbeschwertheit - aber hier fehlte mir der ledrige Antagonist, der dem Ganzen ein wenig Kante hätte verleihen können. Zu viel der Nettigkeit ist eben auf Dauer auch keine praktikable Lösung.
Umso mehr war meine Neugier geweckt, als mir
La Baguette vor die Flinte lief. Ganze drei Duftnoten. Vanille, Iris, Leder. Excusez-moi!? Hatte da eine gewisse Frau Flippo meine nächtlichen Stoßgebete erhört?
Heute hat mich das französische Klischeegebäck, das in Wahrheit nichts anderes als eine sündhaft teure Handtasche repräsentieren soll, dann endlich auf dem Postweg erreicht.
Hohe Erwartungen. Der Postbote kam natürlich just in dem Moment, in dem ich gänzlich unbeduftet das Haus verlassen und in Richtung Arbeit starten wollte. Also blieb nur eine Option: Auf's Ganze gehen.
Im Auto ein schneller Sprühstoß auf den linken Handrücken. Joa. Nicht verkehrt. Ein zweiter Sprühstoß auf den rechten Handrücken. Immer noch keine Gegenwehr vonseiten meines Großhirns. Was kostet die Welt? Pfft, pfft, links und rechts an den Hals.
Nach etwa fünf Minuten bereue ich meine Entscheidung. Hat Fendi da etwa auch mit dem derzeit allseits beliebten Ambrocenide herumgesaut? Was ich mir als Veloursleder gewünscht hätte, erscheint mir plötzlich als Kunstholz. Aber da ist auch eine herrlich herbe Vanille, zuckertechnisch perfekt austariert. Und diese Karotteniris - hachja. Wundervoll.
Mit diesem Zwiespalt im Gepäck erreiche ich meinen Arbeitsplatz. Der übliche Wahnsinn ergreift Besitz von mir und es bleibt keine Zeit, um über Düfte im Allgemeinen und
La Baguette im Besonderen zu sinnieren.
Eine halbe Stunde später betrete ich eine Kinderarztpraxis und werde nach fünf Minuten von der nicht besonders zugänglichen Tresendame gefragt, ob ich es sei, die hier so gut rieche.
Ernsthaft? Das letzte Kompliment für einen Duft bekam ich vor drei Jahren von unserem dörflichen Dönermann. Damals trug ich übrigens
Violet Ida.
Ja, ich roch wirklich gut. Der erste Synthetikeindruck hat sich glücklicherweise als nicht von Dauer erwiesen. Feine Vanille, angenehme Süße, eine karottig-saftige Iris und ein elegantes Leder mischen sich zu einem harmonischen Ganzen, das erwachsen und distinguiert wirkt, ohne in unnahbare Ernsthaftigkeit abzudriften. Lange nicht so staubig-pudrig wie
Comète , der für mich trotz seiner narkotisch-einnehmenden Pudrigkeit zu den schönsten Neuentdeckungen des Jahres zählt.
Wenn ich an Frau Flippos Stelle meinen kühnen Dufttraum hätte ausleben dürfen, hätte ich dennoch den Vanilleregler etwas weiter aufgedreht und das Leder vorsichtig gedimmt.
Nichtsdestotrotz ein wunderschöner Duft. Kein Girlie-Gourmand, sondern ein ruhiger und eleganter Duft für Damen und gestandene Weibsbilder (eher meine Kategorie), ohne Hang zu artifizieller Verstellung und Effekthascherei.
Ich hab noch gar nicht geschaut, was der Flakon kostet, aber mir schwant Böses ...