Sarungal
Sarungals Blog
vor 9 Jahren - 28.08.2015
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Kritische Nabelschau: Der Habenwill-Komplex

Ja, liebe Leute, das wird der vermutlich 327te Blog zum Thema; mithin könnte ich mir vermutlich seine Veröffentlichung schenken. Ihn zu schreiben wird (für mich) dennoch hilfreich sein: Schon im Prozess des Formulierens liegt ein subjektiver Erkenntnisgewinn, weil die Verschriftlichung zur gedanklichen Organisation beiträgt.

Meine kleine, an einigen Stellen nicht gar so feine Sammlung ist Gegenstand der Überlegungen – und das Bemühen, die Spreu vom Weizen zu trennen, überhitzte Impulskäufe zu identifizieren und Düfte zu benennen, die ich – bei aller Bewunderung – letztlich doch nicht trage.

Mit einigem Recht könnte man fragen, wie denn diese Fragezeichen überhaupt den Weg in meinen Schrank haben finden können - bin ich doch ansonsten nur bedingt der typische Sammler und miste meistens lieber aus als zu horten. Fakt ist leider aber auch, dass mich bestimmte Faktoren immer wieder mal aufs Glatteis führen; dazu zählt beispielsweise ein absolut oder relativ erfreulicher Preis. Eine weitere Falle stellt mir die letztlich idiotische Attraktivität von Düften, die mich intellektuell fordern, ohne einen nachhaltigen emotionalen Reiz auszuüben. Ganz besonders bescheuert – aber da bessere ich mich langsam – ist der aus dem Plan geborene Kaufimpuls, der Erwerb qua Dekret: Ich will mir heute ein Parfum kaufen. Wenn mir in dieser Hinsicht ausgerechnet diejenigen zur Hilfe eilen, die ein ausgeprägtes Interesse am Umsatz haben dürften (die Verkäufer), dann empfinde ich das beinahe schon als beschämend.

Trotzdem ist es ausgesprochen sympathisch, wenn – wie jüngst geschehen – die Verkäuferin mir angesichts meiner olfaktorischen Unentschlossenheit das Heft aus der Hand nimmt und die drei akut in Frage kommenden Düfte einfach kostenfrei abfüllt. „Prüf’ die noch mal in aller Ruhe zu Hause!", meinte sie – um mich anschließend noch mittels einer Kostenübersicht vor einem aus Frust und Unentschlossenheit geborenen Kauf zu bewahren. Brauche ich tatsächlich Hilfe beim Rechnen? Eher nicht – aber manchmal vielleicht Unterstützung in Form eines Spiegels. Dabei geht es mir am Ende gar nicht ums Geld; es ist die Sinnhaftigkeit der Ausgabe, die mir wichtig ist.

Damit bin ich beim entscheidenden Kriterium angekommen: Ich will meine Düfte nicht intellektuell bewundern und habe keinesfalls den Ehrgeiz, eine enzyklopädische Sammlung aufzubauen. Ich will das Zeug tragen wollen auch jenseits meiner Wohnungstüre und emotional getriggert werden – eine theoretische Bewunderung für einen Duft ist in meinem Fall bestenfalls die Basis für einen Kommentar

Die nachfolgenden Listen stellen kein Ranking dar, die Reihenfolge ist also willkürlich

Die müssen bleiben

  1. Terre d’Hermes EdP: Auch wenn ich das EdT bevorzuge, ist dieser Duft ein guter Vertrauter und in seiner maskulinen Geradlinigkeit der perfekte Immergeher
  2. Vetiver & Vetiver Extreme: Durchaus unterschiedliche Düfte, beide mit einem charmanten Old-School-Einschlag. Seriös, vielleicht etwas steif in der Anmutung, aber ähnlich essentiell für den Duftschrank wie das weiße Hemd für die Herren-Garderobe. Möglicherweise tut's langfristig auch nur einer von beiden...
  3. Infusion d’Homme: Auch irgendwie steifleinern und als Parfumkreation in der Wirkung unfassbar simpel. Dennoch großartig in seiner beinahe sterilen Supersauber-Anmutung
  4. Black Cube: Komplexer Duft mit starker emotionaler Wirkung. Herb und zart gesüßt zugleich, dazu sanft verräuchert – ein vollendeter Nasenschmeichler
  5. 03.April1968: Kein vollendeter Nasenschmeichler, würde man denken, ist aber dennoch für manches Kompliment gut. Verräucherter „Stinker"; dank Litschi und Heliotrop am Ende aber doch eher auf der lieblicheren Seite gebunkert
  6. Kenzo Air Intense: Derzeit selten getragen, bleibt die süßhölzerne Vetiverdichtung garantiert Stammgast – umso mehr, als sie nicht mehr produziert wird
  7. Encre Noire: Kenzos dunklerer Bruder, der mit zunehmender Erfahrung seine Sperrigkeit völlig verliert. Alternativ: eine basslastige Version von Guerlains „Vetiver" und insofern gleichermaßen seriös, wenn auch etwas ungehöriger aufgrund seiner wurzeligen Vibes.
  8. Memoir Man: Ein wenig Lakritz, als Absinth getarnt, ein dunkler olfaktorischer Tintenklecks in einer erhabenen Weihrauchkuppel, dazu eine Spur erotisierender Vanille – nah an der Perfektion
  9. Cedrat Boise: Ob nun Aventus-Klon oder nicht – der geht immer. Verspielte Maskulinität, sehr anständige Haltbarkeit und nebenbei jederzeit gut für ein Kompliment
  10. Grey Flannel: Die männliche Blütenbombe. Ein Klassiker, noch fernab der überladenen 80er-Kreationen, aber ganz gewiss das Gegenteil eines Leisetreters. Für mein Empfinden (und ungeachtet des Namens) gerade zum Casual-Look die perfekte Ergänzung.
  11. Cedre Blanc: Hell, freundlich, charmant – eine feine Lichtgestalt mit hellhölzernem Charme; mein „Elbenduft"
  12. Assenzio: Kaum mehr käuflich zu erwerben. Sehr schade, weil Borsari da wirklich eine originelle Weihrauchkombo abgefüllt hat, in der besoffene Birnen Tango tanzen
  13. Bois Noir: Bislang der einzige Duft, der aufgrund seiner Süße ein negatives Feedback provoziert hat. Hölzerne Kuscheligkeit und harzig-rauchige Gemütlichkeit.

Geschätzt, aber nicht geliebt

  1. Infusion d’Vetiver: Schöner Duft mit einem interessanten Techno-Vetiver-Vibe, manchmal aber seltsam stumpf in der Wirkung - wie ein Streichorchester ohne Geigen. Theoretisch reizvoller als praktisch.
  2. Encre Noire Sport: Ein Geschenk, das ich wertschätze, nicht zuletzt, weil die Basis des Flankers beim Original landet. Im Sommer eine Option, ansonsten vielleicht etwas zu sehr auf Gefälligkeit getrimmt.
  3. Verveine d’Eugene: Originell in der Säuremaximierung, fast pudrig weich im (allerdings extrem leisen) Drydown. Perfekt, wenn es draußen glüht, ansonsten aber eher eindimensional, wenn auch sehr authentisch
  4. Escentric01: Hochspannender Synthetikkracher, der vielleicht nur derzeit ein Tief in meiner Wertschätzung erfährt
  5. Fille en Aiguilles: Eigentlich ein ganz wunderbarer Duft für die Dauerverkostung daheim – wie Knabbereien am besten vor der Glotze zu genießen
  6. Egoiste: Sicher kein Nachkaufkandidat trotz unbestreitbarer Qualitäten; die Pfütze unten im Flakon wird gehütet
  7. Au masculine: Ein der Jahreszeit geschuldetes Fragezeichen tut sich hier auf, denn der ist wirklich nix für Außentemperaturen oberhalb von 10°. Fragt mich noch mal im Winter

Da war wohl das Navi kaputt

  1. Lalique White: Duftet angenehm, wirkt aber dennoch etwas monochrom. Bei höheren Temperaturen keine falsche Wahl; der Reiz nutzt sich allerdings ab.
  2. Wind Wood: Schon irgendwie fein, aber die Fahrenheit-Vibes werden in meiner subjektiven Wahrnehmung immer massiver, ohne dass der Duft sich gleichermaßen differenziert entfaltet. Auf Dauer etwas anstrengend
  3. Sel de Vetiver: In jeder Hinsicht ein grandioser Duft mit dem richtigen Maß an salzigen Vibes, den ich so gut wie nie trage – insofern bei mir falsch
  4. Aedes de Venustas: Sehr edel, witzig in der Kopfnote, erhaben im Drydown – ich kann nicht einmal genau benennen, wieso er mich langweilt
  5. Mister Marvelous: Gut gemacht, wenn auch bescheiden in der Haltbarkeit. Die Zitrusschalennote gefällt meinem Intellekt allerdings weitaus besser als meinem limbischen System, das zunehmend eigenartige Assoziationen entwickelt
  6. Lillipur: Auch ein Duft für mein Hirn; das Herz bzw. meine Nase findet die Komposition irgendwann zu süß. Immerhin – die Kopfnote ist spektakulär
  7. Hascish Homme: Pure Nostalgie besorgte meinem ersten (erinnerlichen) Duft einen Platz in meinem Schrank. Absolut entbehrlich: too much 80s und am Ende too much von allem

Auf der akuten Merkliste:

  1. 5elements: Eine hochkomplexe, grün blühende florale Aromenverblendung mit überrumpelnd individueller Kopfnote und interessanter Entwicklung ins Frischholzige. Überschaubar maskulin, aber eindrucksvoll; die Kompatibilität konnte trotz verschiedener Test noch nicht nachgewiesen werden. Hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen und ist mit keinem Duft vergleichbar, den ich besitze
  2. Sanctum Perfume: Weihrauch as Weihrauch can – beinahe harsch und unfreundlich im Opening und dazu seltsam grün statt harzig, im weiteren Verlauf konsequent thementreu und erst nach und nach von einer zurückhaltenden Lieblichkeit abgefedert. Teuer, aber beinahe perfekt im Beuteraster, dazu verschiedentlich getestet.
  3. Casbah: die angelesene, bislang noch unbekannte Alternative zu „Sanctum Perfume"; potentiell interessant, preiswerter dazu – aber noch terra incognita.
  4. Rien Intense Incense: Schwarz, streng, giftig, wenn auch nur zu Beginn – so ist der Weihrauchkracher aus der Schmiede der olfaktorischen Absonderlichkeiten von Etat Libre. Nach wiederholten Begegnungen stehen hier allerdings die Chancen gut, dass er am Ende mehr mein Hirn denn mein Herz erobert hat – insofern ist das Fragezeichen bereits vorsichtig eingepreist. Dennoch äußerst spannend.

Und wo bleibt der Erkenntnisgewinn für Euch?

Gute Frage… Ich begreife die Blogoption vor allem als Chance, miteinander ins schriftliche Gespräch – ins Geschrift – zu kommen, und schätze den Erfahrungsaustausch auch dann, wenn sich Redundanzen zeigen. Die Chance auf Mehrwert besteht in der Subjektivität; das gilt für Blogs wie Kommentare. Am Ende ist’s wohl nicht der Ratschlag, um den es geht – denn auch der ist ein Schlag und weitet die Gültigkeit persönlicher Erkenntnisse auf das Gegenüber aus. Interessanter ist die Frage, wie Ihr das handhabt - ob es Überschneidungen im Erleben gibt oder signifikante Unterschiede.

Dass es daneben nicht ganz einfach ist, Sachverhalte wie diesen zu diskutieren, liegt auf der Hand: Außerhalb von Parfumo kenne ich niemanden, der ein relevantes Duftinteresse pflegt – bestenfalls ein paar Wenige, die sich immerhin grundsätzlich gerne eindieseln, ohne den Vorgang in den Rang einer Freizeitbeschäftigung zu erheben.

Fürs „Zuhören" bedanke ich mich deshalb – und schiebe noch ein letztes Thema nach, das gestern auf etwas schräge Weise hier Niederschlag fand. Die mit unzureichender detektivischer Expertise durchgeführte Plagiatsforschung überspringe ich, zumal sie ohnehin bereits gelöscht wurde. Rätselnd stehe ich aber noch immer vor der dezidiert artikulierten Abwehr gegenüber Kommentaren, die stilistisch nicht den eigenen Erwartungshaltungen genügen. Zufälligerweise ist gleichzeitig im Forum die Frage nach Dialekten in Rezensionen aufgewärmt worden. Letzteres ist ohnehin nur eine Randerscheinung – aber eine, der immerhin Unterhaltungspotential innewohnt.

Grundsätzlich ist mir bei Kommentaren vornehmlich die seriöse Beschäftigung mit dem Gegenstand wichtig; ob die Inhalte dann humorvoll, gereimt, metaphorisch blühend oder sachorientiert pragmatisch dargestellt werden, ob die Geschichte zum Duft erzählt oder analytisch-streng sein Aufbau skizziert wird, ist mir weniger wichtig. Letztlich ist’s doch gerade diese Vielfalt, die zum Reichtum der Seite beiträgt; abgesehen davon muss ja niemand alles lesen, das hier veröffentlicht wird. Das mach’ ich eingestandenermaßen ja auch nicht – und breche die Lektüre eines Kommentars fallweise schon mal ab, wenn mich der Text nicht anspricht oder ich aktuell nicht in der Stimmung bin - beispielsweise für einen literarisch ambitionierten Exkurs. Allein: Das ist eine subjektive, manchmal auch stimmungsabhängige Entscheidung; mein (durchaus volatiler) Kommentargeschmack ist weder maßgeblich noch eine Monstranz, die ich vor mir hertrage, um dann noch ein ceterum censeo in der gleichen Tonart anzustimmen. In diesem (wie in manch’ anderem) Zusammenhang wäre ein bisschen mehr „Leben und leben lassen!" wünschenswert, denn „Jeder Jeck ist anders!". Das bedeutet nicht den Verzicht auf persönliche Vorlieben und Abneigungen, aber es könnte die Zahl der „Missverständnisse" reduzieren.

Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende!

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