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vor 5 Jahren - 07.11.2018
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Olfaktorische Poetik Teil 2: Eichenmoos und Shalimar

Einschub: Zu den Antworten auf Teil 1

Liebe Mitparfumos, vielen Dank für die zahlreichen freundlichen Rückmeldungen zu Teil 1. Bevor es mit dem dritten und vierten Versmaß weitergeht, einige kurze Repliken darauf:

Lieber Schoork, du bist eine dichterische Klasse für sich, von dir lese ich auch gerne Knittel. Wenn du dich aber doch in klassischerer Lyrik versuchen willst, hast du ja jetzt das Handwerkszeug parat! PicaNasi, danke dafür, den Lesern auch einen Einblick in Dada-Dichtung gegeben zu haben. Diese Poetik hier ist zwar zu kurz, als dass ich mich ausführlich damit befassen könnte, aber so konnten wir wenigstens mal reinschnuppern. Aolani, Poetry-Slam hört sich gut an. Danke für die Nominierung. Anarlan und andere: I am so sorry, aber Limericks, Haikus, lateinische Hexameter stehen ebenso wenig auf dem Programm wie die englische und italienische Sonettform oder Spiralverse, die ich übrigens noch gar nicht kenne. Ich bin ja keine Jukebox! Aber ich würde mich sehr freuen, wenn ich mit meinem Blog hier eine Duftlyrik-Bewegung angestoßen hätte und wir künftig von anderen Autoren Limericks (die würden vielleicht sogar ins Statement-Format-passen) und Sonette lesen könnte, vielleicht mit kleiner theoretischer Einführung?! Borgia, danke für die klasse Korrektur. Bei Jicky gebe ich nach, wird im französischen auf der zweiten Silbe betont und ist daher kein Chypre. Bei den anderen Worten bleibe trotzdem dabei, dass es sich um unbetont-betont-Wörter, also um Chypres (Trochäen) handelt: „Chypre“ wird als („deutsches“) Wort mit der Bedeutung „eine Art von Parfum“ laut Duden auf der ersten Silbe betont; Kouros ist altgriechisch und wird dort auf der ersten Silbe betont, wie die Franzosen das betonen ist für mich selbst dann nachrangig, wenn Yves Saint Laurent das Ding herstellt, und Poison spreche ich deshalb englisch „Péu-son“ und nicht französisch „Poa-sóooooh“ aus, weil fast alle Flanker mit englischen Zusätzen versehen sind (Hypnotic Poison, Midnight Poison, Poison Girl, Pure Poison, Poison Girl Unexpected). Ich gebe zu, es gibt auch Tendre Poison, aber das ist klar in der Minderheit ;-). Kann man natürlich in jedem Fall auch anders sehen… Alle nicht namentlich erwähnten, großen Dank fürs Mitspielen!

II.3. Drittes Versmaß: Der Eichenmoos

Nachdem die beiden ersten behandelten Versmaße nach dem Muster unbetont-betont und betont-unbetont aufgebaut waren, wird es nun komplexer. Wir kommen nämlich zu einem Versmaß, das nicht aus zwei, sondern aus drei Silben gebildet wird. Es wird von Duftbanausen „Daktylus“ genannt und geht so: betont-unbetont-unbetont, also TAM-ta-ta, TAM-ta-ta, TAM-ta-ta.

Es fällt sehr schwer, Parfümnamen zu finden, die diesem Metrum folgen. Ich habe mir die 300 Düfte angeschaut, die bei Parfumo in den Kategorien männlich, weiblich und unisex als die „Top 100“ bewerteten Düfte geführt werden und fast keinen gefunden. Die meisten dreisilbigen Parfümnamen werden (jedenfalls bei „deutscher“ Aussprache) auf der mittleren Silbe betont und entsprechen daher überhaupt keinem Versmaß, z.B. a-VEN-tus, mit-SOU-ko, sam-SA-ra, e-NIG-ma, e-LY-sium usw. Was eventuell gehen würde, wäre NA-po-li von Kiton. Aber das ist mir zu unbekannt, um als Name für dieses Versmaß zu taugen.

Dafür sind, wie mir scheint, fast alle deutschen dreisilbigen Namen von Duftnoten im Eichenmoos-Versmaß gehalten (witziger Zufall, oder?). ich sage nur: EI-chen-moos, TEE-baum-öl, BI-ber-geil, AAA-na-nas, PFEFF-er-minz, KAM-pfer-baum, STERN-a-nis, KAR-da-mom, SAN-del-holz, BIE-nen-wachs. Daher will ich dieses Versmaß „Eichemoos“ nennen, zu Ehren dieser aus allergischen Gründen vom Aussterben bedrohten Duftnote.

Der „Eichenmoos“ ist in der deutschen Dichtung sehr verbreitet, etwa genauso weit wie der „Guerlain“. Kein Wunder, wenn man deutsche dreisilbige Worte so schön eichenmoosig reihen kann:

O Sándelholz-Stérnanis-Móschusduft!
Viel bésser du ríechst als die Mórgenluft!

Geht doch wie von selbst, da muss man nicht sehr angestrengt dichten, oder? Dass vor dem ersten Eichenmoos in jeder der beiden Zeilen noch eine unbetonte „Einstiegssilbe“ („O“ bzw. „viel“) vorgeschaltet ist, ist wiederum eine erlaubte dichterische Variation.

Was übrigens – wie Duftzutaten – ebenfalls oft Eichenmoos-Wörter sind, sind dreisilbige Zigarettenmarken. Das hat sich seit vielen, vielen Jahrzehnten die spontane Volksdichtung zugute gemacht, die in immer neuen Varianten die Zigaretten-Toten-Reime fortgesetzt hat, und zwar schon zu Zeiten, als es noch keine Warnhinweise gab und in jeder Fernsehserie noch ordentlich gequarzt wurde. Wahrscheinlich kennt jeder irgendwelche Verse dieser Art:

Síehst du die Tóten im Únterholz?
Dás sind die Ráucher von Óverstolz.
Síehst du die Tóten am Méeresstrand?
Dás sind die Ráucher von Stúyvesant.
Síehst du die Tóten im Stréichelzoo?
Dás sind die Ráucher von Márlboro.

Dass diese Art von Volkspoetik ziemlich alt ist, kann man daran sehen, dass es die Marke Overstolz schon ein paar Jahre gar nicht mehr gibt. Die Verspaare 1-4 sind dabei „traditionell“, man findet sie auch mancherorts im Internet. Den Marlboro-Vers hab ich selbst gerade dazugedichtet. Formal sind das perfekte Eichenmoos-Verse. Nicht nur wird das Versmaß 100% korrekt eingehalten, die Betonungen fallen auch immer auf die sinntragenden Kern-Worte: „Raucher“, „Tote“, die Zigarettenmarken und das Verb „sehen“. Formal geht es nicht besser. Inhaltlich wird es nur halt irgendwann langweilig. Dass auch in der Volkspoetik Leute unterwegs sind, die bloß reimen, aber die Regeln der Metrik nicht beherrschen (oder das für nicht so wichtig halten), sieht man daran, dass es neben diesen sauberen Eichenmoosern auch ein paar Knittelverse dieses Stils gibt:

Síehst du die Tóten áuf der H´öh?
Dás sind die Ráucher vón HaBé.

Immerhin sind die beiden Verse gleich aufgebaut und hören sich nicht allzu geholpert an, sie sind aber nicht sauber konstruiert. Man könnte sagen, dass jeder Vers nach dem Muster Chypre, Guerlain, Guerlain (oder Eichenmoos und dann anderthalb Chypres) aufgebaut ist. Außerdem fällt eine starke Betonung auf „von“, wo sie nach natürlichem Sprechrhythmus nicht hinfallen würde. Aber das nur als Fußnote.

Wären die klassischen Duftnamen ebenfalls Eichenmoose, könnte man damit ebenfalls prima Seriendichtung betreiben. Etwa so:

Wer weint ganz einsam im Omnibus?
Das ist ein Träger von Aventus.
Wer weint ganz einsam in Lissabon?
Das ist ein Träger von One-Million.

Geht aber leider nicht. Denn im obigen Beispiel müsste man AAA-ven-tus und WONN-mill-jon aussprechen, was aber der deutschen Sprache zuwiderläuft. Schade eigentlich.

II.4 Viertes Versmaß: Der Shalimar

Das letzte der hier vorzustellenden Versmaße heißt außerhalb der olfaktorischen Poetik „Anapäst“ und ist das genaue Gegenteil des Eichenmoos-Versmaßes. Es funktioniert nämlich nach dem Dreier-Rhythmus: unbetont, unbetont, betont, also ta-ta-TAM, ta-ta-TAM.

Es ist (ähnlich wie beim Eichenmoos-Versmaß) gar nicht so einfach, Parfümnamen zu finden, die diesem Versmaß folgen, obwohl, wie Borgia mitgeteilt hat, französische dreisilbige Worte quasi immer auf der dritten Silbe betont werden. Manchmal ist es auch knifflig, denn jedenfalls im Deutschen wird „Vetiver“ zum Beispiel wohl auf der ersten Silbe betont (jedenfalls hab ich dafür Quellen gefunden).

Ganz eindeutig ist es meiner Meinung nach bei Shalimár und Heritáge. Nun ist zwar „Heritáge“ von Guerlain einer meiner Lieblingsdüfte (heißer Kandidat für den „Signaturduft“ des FvSpee), aber ich denke, manche sprechen das Wort englisch aus, also auf der ersten Silbe betont „Hérrititsch“ statt französisch „Erietáaasch“ aus, sodass ich das Versmaß lieber „Shalimar“ nennen will.

Der Shalimar ist in der deutschen Lyrik ziemlich unüblich, weil er nicht so gut zum natürlichen Fluss unserer Sprache passt. Daher gibt es sehr wenig Gedichte in diesem Metrum, und also will auch ich mich hier kurz fassen und nur ein einziges Beispiel anführen - das (sehr sehr lose) an einige Verse aus Schillers Ballade „Der Taucher“ angelehnt ist:

Und man w´ürget und r´öchelt; es m´üffelt und stínkt,
als ob wéicher Asphált neben F´äulnis sich gíeßt.
Und bevór man dann vóllends in Óhnmacht versínkt,
auf dem Lábel das Wórt „Encre Nóir“ man noch líest.

Gut, oder? Könnte fast von Georg Trakl oder jedenfalls von Gottfried Benn sein! Applaus wird gerne entgegengenommen, ebenso auch Nominierungen zum Literatur-Nobelpreis. Ok, ich geb’s zu, „Encre Noir“ ist eigentlich nicht ein Wort, sondern zwei, aber hätte ich im letzten Vers „die Worte“ geschrieben, wäre es eine Silbe zu viel für den Shalimar gewesen.

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