IceMachine

IceMachine

Rezensionen
IceMachine vor 1 Monat 7 5
9
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft
You know you‘re always welcome to stay
Ich war noch nie in Island. Überhaupt ist mir das Reisen nicht unbedingt in die Wiege gelegt worden. Als Kind und Jugendliche verreiste ich fast nie. Es war kaum Geld dafür da und aufgrund der Schwerbehinderung meiner Schwester lagen die Prioritäten in unserer Familie verständlicherweise woanders. Als Studentin scheiterte es auch wieder am Geld und heute, längst dem Studentinnenalter entwachsen, gehöre ich noch immer nicht zu den Menschen, die mehrmals im Jahr mit dem Flieger um die Welt „jetten“. Einerseits liegt das daran, dass ich aufgrund des Klimaschutzes nicht allzu oft fliegen möchte, andererseits fehlt mir auch die Leichtigkeit, mit der andere Menschen einfach losreisen. Ich habe es einfach nicht im Blut. Trotzdem habe ich in meinem bisherigen Leben einige schöne Orte in Europa besuchen dürfen, manchmal mit dem Flugzeug, oft mit dem Zug, vor allem in den Nachbarländern Deutschlands. Und in Spanien und Finnland und Irland und Großbritannien. Ich studierte einige Zeit in England. Und vor einigen Jahren bin ich sogar bis nach Kanada gekommen.

In all diesen Jahren stand Island immer ganz oben auf meiner Wunschliste. Trotzdem war ich noch nie dort, immer kam irgendetwas dazwischen, Familie, neue Jobs, Pandemien. Wie es in Island riecht, kann ich also nicht sagen. Vor einigen Wochen jedoch fanden einige Duftproben des isländischen Labels Fischersund den Weg zu mir. Düfte, entwickelt und gestaltet von Jón Þór Birgisson (seines Zeichens Sänger und Gitarrist der isländischen Postrockband Sigur Rós); Düfte, die also zwei meiner liebsten Themen - Musik und Parfum - verbinden. Natürlich war ich sofort fasziniert davon und als ich bei Duft N°8 und dessen Rhabarbernote ankam, war es um mich geschehen. Der Rhabarber steht dabei für mich im Vordergrund, aber auf eine sehr weiche Art, begleitet von sanfter Zitrik und untermalt von einer leicht herben, grünen Note. Das beworbene Motoröl rieche ich nicht direkt heraus; lediglich eine zarte, leicht kaugummiartige und gleichzeitig etwas bittere Note zeigt sich mit der Zeit.
Der Duft erinnert mich an Kindheit, an die 80er Jahre, an einen warmen Sommertag. Die Sonne flirrt über dem Asphalt, irgendwo weiter weg tönt ein Synthesizer aus einem Radio. Ich werfe Geld in einen Kaugummiautomaten, drehe an dem metallischen Griff und bekomme eine kleine rote Kaugummikugel. Sie schmeckt fruchtig und säuerlich und meine Hände riechen nun danach, gemischt mit dem metallischen Geruch des Automatengriffs. Ein leichter Sommerwind weht mir den Duft der Gräser und Bäume des nahegelegenen Wäldchens um die Nase. Es sind Ferien und ich habe noch Zeit, bis ich zum Abendessen zu Hause sein muss. Das Leben ist leicht und frei und unbeschwert. Ob sich Kindheit in Island ähnlich anfühlt? Ich denke schon. Wahrscheinlich unterscheiden sich tatsächlich nur die Landschaften, auf die man blickt.

Im Sommer 2026 werde ich mit einigen meiner Liebsten nach Island fahren. Wir werden uns die wunderschöne Natur ansehen und die Sonnenfinsternis, die dann dort stattfinden wird. Und in Reykjavik werde ich die kleine Fischersund-Parfümerie besuchen. Wenn alles klappt. Wenn die Welt dann noch steht. Vor meinem inneren Auge blicke ich auf die raue isländische Landschaft, die Sonne scheint, der Wind ist kühl und die Luft klar. Kein einziger Baum weit und breit! Wie es dort wohl riecht? Fängt Fischersunds N°8 tatsächlich den Duft des isländischen Sommers ein?
Ich weiß es noch nicht.
Aber ich werde berichten!

You know you‘re always welcome to stay
You, you know at the end of, of the day
We all, we all die anyway
(Sigur Rós - Gold)
5 Antworten
IceMachine vor 6 Monaten 20 5
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
7.5
Duft
Lay back, it's all been done before
Anfang der 2000er zog ich direkt nach dem Abitur in meine erste eigene Wohnung. Sie war klein und weit außerhalb, so dass ich gefühlte Ewigkeiten in der Straßenbahn saß, um in die Innenstadt zur Uni zu kommen. Die Böden waren schief und knarrten bei jedem Schritt und die kleine Einbauküche war noch aus den 70ern und in schon damals fragwürdigen Vintage-Brauntönen gehalten. Geheizt wurde mit in die Jahre gekommenen Gasöfen und bis diese endlich ansprangen, musste man besonders am Anfang der kalten Jahreszeit dutzende Male den kleinen Knopf unter der Abdeckung drücken. Um es kurz zu machen: Diese kleine Wohnung war perfekt. Ich richtete sie ein mit einer Mischung aus den günstigsten Ikea-Möbeln, alten Möbeln meiner Eltern und aus meinem Kinderzimmer und Sachen vom Flohmarkt. Ich kaufte einen kleinen Röhrenfernseher (das sind die, die tiefer sind als breit ;-)) und ließ oft fast den ganzen Tag MTV laufen. Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht: MTV, seines Zeichens Musikfernsehsender, spielte damals, lange vor der Zeit von YouTube und ständig verfügbarem Highspeed-Internet, tatsächlich fast den ganzen Tag Musikvideos. (Und erinnert sich noch jemand an VIVA Zwei?) Ich saß also in dieser kleinen Wohnung mit dem alten, leicht krummen Lindenbaum vor dem einen Fenster und dem hässlichen kleinen 70er-Jahre-Hochhaus - es gibt in der Tat kleine Hochhäuser - vor dem anderen Fenster und wälzte mich leicht überfordert und gleichzeitig fasziniert durch meine Uni-Ordner des ersten Semesters. Im Fernsehen lief MTV, vielleicht Linkin Park oder Avril Lavigne oder eine Folge South Park. Und das Zimmer roch nach "Hugo Deep Red", vanillig und beerig und süß. Das Leben fühlte sich ewig an, im positiven Sinn, schließlich lag alles noch vor mir und die Zukunft war offen und frei.

"Hugo Deep Red" ist kein ausgefallener Duft. Das war er nie und wollte es wohl auch nie sein. Er duftet gefällig nach Vanille und roten Beeren und ein bisschen erinnert er mich an rote Grütze mit Vanillesoße. Früher fand ich ihn sehr süß, aber verglichen mit der Süße manch moderner Parfums ist er das nicht. Mittlerweile wohnt ihm das Besondere eines Duftes inne, den man eben nicht mehr so oft riecht und der den aktuellen Trends nicht mehr entspricht. Heute wirkt er für mich etwas aus der Zeit gefallen, aber nicht im negativen Sinn, nicht altbacken, eher retro (und ein ganz klein wenig sexy), und absolut noch tragbar, auch für junge Menschen.

Das Haus mit meiner kleinen ersten Wohnung wurde mittlerweile abgerissen und durch ein neues, schickeres Wohnhaus ersetzt mit großen Balkonen und bodentiefen Fenstern. Und auch das hässliche kleine Hochhaus gegenüber hat einen neuen Anstrich bekommen. Aber der alte Lindenbaum steht noch, krumm wie eh und je, und trotzt den Jahren, die an ihm vorüberziehen. Und als ich kürzlich meine alte Straße entlang lief, hätte ich schwören können, die Luft roch nach "Hugo Deep Red".
5 Antworten
IceMachine vor 9 Monaten 21 8
7
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft
C‘est comme une gaieté, comme un sourire
Ich bin am Rande einer großen Stadt aufgewachsen, in einer kleinen Mietwohnung in einem Wohnblock inmitten weiterer Wohnblocks in einem typischen Arbeiterviertel, in dem die Menschen nicht viel Geld hatten. Trotzdem war unser Viertel gepflegt, die Balkone waren voller bunter Sonnenschirme und in den Blumenkästen an den Balkongeländern wuchsen Geranien. Da wir uns kaum Urlaub leisten konnten, hatten meine Eltern günstig einen kleinen Schrebergarten am Rand unseres Viertels angemietet. Ein krummer Kirschbaum stand darauf und ein Gartenhäuschen mit einer Veranda aus dunklem Holz. Meine Eltern stellten eine Schaukel auf für meine Schwester und mich und mein Papa pflanzte im hinteren Teil des Gärtchens Gemüse an und im vorderen einige Johannisbeer- und Stachelbeersträucher. In den Sommermonaten saßen wir an den Wochenenden und in den Ferien alle im Gärtchen beisammen, mein Papa sonnte sich, meine Mama blätterte durch Zeitschriften, meine Schwester puzzelte und ich verschlang haufenweise Kinderbücher aus der Stadtbücherei, malte, schaukelte oder stibitzte Beeren. Die Luft roch nach Sommer und Gras und grünen Sträuchern und ein bisschen auch nach der nahen Stadt mit all ihrem von der Sonne aufgeheizten Beton.

„Dance Amongst The Lace“ fängt für mich diesen Geruch ein. Der Duft riecht nach einem Garten am Rande einer Stadt, nach Gräsern, Kräutern, nach Beerensträuchern, holzig und säuerlich. Er riecht minzig, zitrisch, aber ich rieche auch das dunkle Holz des Gartenhäuschens im Schrebergarten meiner Eltern. Der Duft ist dabei herb, frisch, kühl (aber nicht kalt) und trotzdem irgendwie sommerlich und ganz wunderbar zeitlos. Ein bisschen riecht er auch so, wie meine Kinderhände rochen, nachdem ich die Johannisbeeren vom Strauch gerupft hatte; ein bisschen nach dem Holz und den Blättern des Strauchs, vermischt mit dem säuerlichen Aroma der kleinen dunkelroten Beeren.

Mein Papa lebt leider nicht mehr und das Schrebergärtchen musste schon vor Jahren weiteren Wohnblocks weichen. Ich lebe in einer anderen Stadt in einem Wohnviertel, wo die Sonnenschirme an den Balkonen nicht bunt sind, sondern in modernen Grau- und Beigetönen gehalten werden und die meisten Menschen genug Geld für ihren Urlaub haben. Aber wenn ich „Dance Amongst The Lace“ rieche, bin ich wieder sieben Jahre alt, stibitze Johannisbeeren von unseren Sträuchern, mein Papa schnarcht in seinem Liegestuhl in der Sonne und im Radio läuft „Ella, elle l‘a“ von France Gall. Und ich kann mir keinen besseren Ort vorstellen.
8 Antworten
IceMachine vor 10 Monaten 13 4
9
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
It's gonna rain all night, but we'll be alright
1979 New Wave. Was für ein verführerischer Name für ein Parfum! Zumindest, wenn man wie ich Fan des gleichnamigen Musikstils ist. Natürlich musste ich den Duft testen und natürlich landete letztendlich ein Flakon in meiner Sammlung. Ich hatte quasi keine Wahl! Jedoch muss ich gestehen, dass ich die New Wave-Bewegung nicht bewusst mitbekommen habe. Ich wurde erst Anfang der 1980er geboren und war 1979 noch, wie man so schön sagt, Quark im Schaufenster. Trotzdem verbindet mich ein wohliges Gefühl mit den späten 70ern und frühen 80ern, das ich gar nicht so genau erklären kann. Richtig sozialisiert wurde ich in meinen Teenager-Jahren in den 90ern (und DAS ist eine ganz andere Geschichte), aber vielleicht spürt man irgendwie eine Verbindung mit der Zeit, in die man via Geburt hineingeschleudert wurde, wer weiß. Anders kann ich mir die Faszination, die schon der leiseste Klang eines Synthesizers auf mich ausübt, nicht erklären.
Alle Assoziationen, die der Duft bei mir auslöst, sind also nicht in tatsächlichen wilden Jugenderinnerungen begründet, sondern sind ein (womöglich idealisiertes) Kunstprodukt meiner Fantasie. Synthetisch quasi (ach herrje). Tatsächliche Zeugen der New Wave-Ära mögen mir verzeihen!

Meine Anfängerinnennase riecht Minze und eine kühle, herbe Pudrigkeit (wohl die Iris und die Zeder). Aldehyde sorgen für den Retro-Touch und Moschus und Sandelholz halten sich für meine Nase eher zurück. Ich empfinde den Duft als unterkühlt, fast schon eisig kalt, unsüß, irgendwie schräg. Er hat nichts Liebliches an sich, nichts Warmes. Er ist düster, aber nicht auf eine würzige, schwere, dichte Art, sondern durch seine Unterkühltheit. Hier lässt man sich nicht in eine schaurig-wohlige Dunkelheit fallen, sondern man steht in einer metallisch glänzenden dystopischen Landschaft und wundert sich, wie man denn nun ausgerechnet hier gelandet ist. Wenn Samuel Becketts "Endspiel" einen Duft hätte, dann diesen.

Aber zurück ins Jahr 1979! Ich assoziiere einen jungen Menschen aus dieser Zeit mit dem Duft und stelle mir vor, wie ich selbst im
Jahr 1979 in meinem Jugendzimmer stehe, auch wenn es mich damals noch gar nicht gab. Ich stelle mir vor, ich warte auf meinen besten Freund, der mich abholen will und der wirklich nur ein Freund ist, aber ein bisschen bin ich auch verliebt und deswegen aufgeregt und kribbelig, wie man es nur mit 17 ist, wenn alles neu ist und mehr vor einem liegt als hinter einem. Wir haben uns für ein Konzert verabredet. Es ist eine kleine Band in einem kleinen Jugendclub, neu und unbekannt und sie spielen keine "richtigen" Instrumente, sondern diese neuen kleinen Synthesizer von Yamaha oder Moog, und wer weiß, vielleicht werden sie irgendwann einmal berühmt. Ich trage zu viel und zu dunkles Make Up und hoffe, dass mein Vater mich so nicht erwischt, weil er dann darauf besteht, dass ich es wieder abwasche. Mein Blick schweift durch mein Jugendzimmer und denke mir, irgendwie ist so ein Jugendzimmer ein seltsamer Ort; die alte Einrichtung, die Relikte aus der alten Kinderzimmervergangenheit sind noch da, aber trotzdem - weil hier ja mittlerweile ein junger, fast schon erwachsener Mensch wohnt - schreit alles nach Zukunft.
Ich stelle mir vor, es klingelt an der Tür, damals im Jahr 1979, und mein bester Freund holt mich ab. Und bevor ich gehe, trage ich noch etwas Parfum auf: 1979 New Wave.
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