13.11.2012 - 17:28 Uhr

Duftbetty
14 Rezensionen

Duftbetty
Top Rezension
57
Berlin - Symphonie einer Großstadt
Mit „1A-33“ verbindet mich eine Geschichte, genauer gesagt, ein wenig Familiengeschichte.
Sie ist (mir) wichtig für die Besprechung des Duftes. Wen es nicht interessiert, der gehe am besten gleich zum sechsten Absatz über. Für die anderen geht es hier los:
Mein Vater, Jahrgang 1916, war das, was man heute mit wissender Miene businessman nennt. Zu seiner Zeit sagte man, wenn man es gut meinte: Er ist ein Kaufmann. Das steht auch in meiner Geburtsurkunde. „Tochter des Kaufmanns Hans-Werner H.“ Meinte man es hingegen schlecht, sagte man: Der macht Geschäfte. Das traf wohl eher auf meinen Vater zu. Im Jahr 1946 war er wohl nicht der einzige, der Geschäfte machte. Am Berliner Reichstagsgebäude, am Nollendorfplatz, unter den Bahnbögen. Mein Vater hatte dazu ein außerordentliches Talent. Schon früh war er in das Galanteriewaren-Kaufhaus seiner Mutter (meiner Oma) eingestiegen. Das Geschäft florierte selbst in schweren Zeiten und konnte auch während des Krieges auf seine Kundschaft zählen. Einen Treffer hatte es kassiert, das war noch wenig. Es blieb genug, was sich zu Geld machen oder tauschen ließ. Man könnte glauben, dass die Leute andere Nöte hatten, als bei meinen Vater Lebensmittel gegen Handschuhe und Seidenkrawatten einzutauschen. Aber da sollte man das kaufmännische Geschick meines Vaters nicht unterschätzen. Und man sollte auch die Sehnsucht der Menschen nach Luxus nicht unterschätzen (das lehrte mich mein Vater). Und so brachte er mit den paar Kisten Ware, die von Feuer, Phosphorbomben, Schutt und Löschwasser verschont geblieben waren, seine eigene kleine Familie, seine Mutter und Geschwister durch.
Als größter Schatz erwies sich dabei ein Karton mit „1A-33“. Besonders bei den Amerikanern erfreute es sich großer Beliebtheit, denn es war das Lieblingsparfum von Emma G.*. Jeder wusste davon, jeder wollte es riechen, jeder wollte es haben. Mancher GI brüstete sich sogar damit, es seinem Liebchen zu Hause mitbringen zu wollen. Vielleicht aber hat man damit auch die Fräuleins hierzulande geneigt gemacht. Ein bisschen Schauer, ein bisschen Nervenkitzel. Die Blume des Bösen - daran wollte man mal schnuppern. Vielleicht um zu begreifen? Zu verstehen? Meinem Vater jedenfalls brachte genau die Emmy-Information sehr bald höhere Preise ein. Das Parfum gegen Schinken, Speck und Schnaps. Er musste seine letzten Duft Vorräte tatsächlich sogar teilen (sharen!), so groß war die Nachfrage. Er kam ihr nach. Ihm war es gleich. Zu Hause saßen Frau und Kinder (meine Halbgeschwister). Die hatten Hunger. Ich sagte ja: Mein Vater war ein businessman.
Ihr könnte Euch vorstellen: Ich war erstaunt und neugierig zugleich, als mir zu Ohren kam, dass der Duft neu aufgelegt wurde. (Es ist leider nicht die alte Formel). Kennt denn keiner die Geschichte dieses Parfums? Nun, man kann ja die Produzenten eines Parfüms nicht dafür verantwortlich machen, wer ihn trägt. Aber ein wenig Aufklärung hätte doch gut getan.
Aber auch ich habe diese Geschichte, die mir ja sehr nah ist, ausgeblendet. Spätestens dann nämlich, als ich im Fenster von Harald Lubner zwei Originalflakons aus den 1930er Jahren erblickte (siehe Parfumfoto): Aerodynamisches Art-Deco-Design, das mich sofort auf eine Reise durch die Zeit schickte.
Juli in Berlin 1929. Ein Spaziergang auf dem Boulevard Unter den Linden. In der Luft liegt ein feiner Blütenduft, süßlich, klebrig, weich. Ein Junge mit Strohhut schält eine Orange. Ein Blumenmädchen verkauft Sträuße voller zarter weißer Blüten. Im nahegelegenen Mon-Bijou-Park macht man Rast. Man legt sich ins Gras und genießt, wie einen die Sonne liebkost. Die Augen fallen zu, man lässt sich treiben – die Gedanken sind frei. Der Liebste im rechten Arm neckt mich mit seinem Zweig Jasmin, die Liebste, die gerade noch an der Herzensseite gelegen hat, hat sich aufgerichtet. Mit einem Span aus Zederholz versucht sie sich eine Zigarre anzuzünden. Sie überlegt es sich anders. Pudert sich stattdessen die Nase und zwinkert mir zu. Das warme Holz verströmt seinen würzig-harzigen Duft. In der Ferne hört man das Knattern einer Zündapp. Am Weg parkt ein Mercedes-Benz. Ein schwäbisches Auto mit dem Berliner Kennzeichen: „1A-33“. 1A – das wollen sie alle. Denn das sind wir alle hier: 1-A! Beste Güteklasse. Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Das ist die große Weite Welt, das ist die Moderne, das ist der Fortschritt, und der dreht sich auch in unseren Herzen. Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt. Ach, wir drei. Wir sind so frei. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
November in Hamburg 2012.
Am Handgelenk immer noch ein glatter Blütenduft. Modern, frisch-zitrisch, blumig; intensiv, ohne aufdringlich zu sein. Ein Stadtparfum. Für Mann und Frau und alle dazwischen, frisch und fortschrittlich. Blumig ohne Süße. Ich kann den Glamour dieses Parfums verstehen. Auch ohne Emma G.*
* Name ist der Redaktion bekannt.
Sie ist (mir) wichtig für die Besprechung des Duftes. Wen es nicht interessiert, der gehe am besten gleich zum sechsten Absatz über. Für die anderen geht es hier los:
Mein Vater, Jahrgang 1916, war das, was man heute mit wissender Miene businessman nennt. Zu seiner Zeit sagte man, wenn man es gut meinte: Er ist ein Kaufmann. Das steht auch in meiner Geburtsurkunde. „Tochter des Kaufmanns Hans-Werner H.“ Meinte man es hingegen schlecht, sagte man: Der macht Geschäfte. Das traf wohl eher auf meinen Vater zu. Im Jahr 1946 war er wohl nicht der einzige, der Geschäfte machte. Am Berliner Reichstagsgebäude, am Nollendorfplatz, unter den Bahnbögen. Mein Vater hatte dazu ein außerordentliches Talent. Schon früh war er in das Galanteriewaren-Kaufhaus seiner Mutter (meiner Oma) eingestiegen. Das Geschäft florierte selbst in schweren Zeiten und konnte auch während des Krieges auf seine Kundschaft zählen. Einen Treffer hatte es kassiert, das war noch wenig. Es blieb genug, was sich zu Geld machen oder tauschen ließ. Man könnte glauben, dass die Leute andere Nöte hatten, als bei meinen Vater Lebensmittel gegen Handschuhe und Seidenkrawatten einzutauschen. Aber da sollte man das kaufmännische Geschick meines Vaters nicht unterschätzen. Und man sollte auch die Sehnsucht der Menschen nach Luxus nicht unterschätzen (das lehrte mich mein Vater). Und so brachte er mit den paar Kisten Ware, die von Feuer, Phosphorbomben, Schutt und Löschwasser verschont geblieben waren, seine eigene kleine Familie, seine Mutter und Geschwister durch.
Als größter Schatz erwies sich dabei ein Karton mit „1A-33“. Besonders bei den Amerikanern erfreute es sich großer Beliebtheit, denn es war das Lieblingsparfum von Emma G.*. Jeder wusste davon, jeder wollte es riechen, jeder wollte es haben. Mancher GI brüstete sich sogar damit, es seinem Liebchen zu Hause mitbringen zu wollen. Vielleicht aber hat man damit auch die Fräuleins hierzulande geneigt gemacht. Ein bisschen Schauer, ein bisschen Nervenkitzel. Die Blume des Bösen - daran wollte man mal schnuppern. Vielleicht um zu begreifen? Zu verstehen? Meinem Vater jedenfalls brachte genau die Emmy-Information sehr bald höhere Preise ein. Das Parfum gegen Schinken, Speck und Schnaps. Er musste seine letzten Duft Vorräte tatsächlich sogar teilen (sharen!), so groß war die Nachfrage. Er kam ihr nach. Ihm war es gleich. Zu Hause saßen Frau und Kinder (meine Halbgeschwister). Die hatten Hunger. Ich sagte ja: Mein Vater war ein businessman.
Ihr könnte Euch vorstellen: Ich war erstaunt und neugierig zugleich, als mir zu Ohren kam, dass der Duft neu aufgelegt wurde. (Es ist leider nicht die alte Formel). Kennt denn keiner die Geschichte dieses Parfums? Nun, man kann ja die Produzenten eines Parfüms nicht dafür verantwortlich machen, wer ihn trägt. Aber ein wenig Aufklärung hätte doch gut getan.
Aber auch ich habe diese Geschichte, die mir ja sehr nah ist, ausgeblendet. Spätestens dann nämlich, als ich im Fenster von Harald Lubner zwei Originalflakons aus den 1930er Jahren erblickte (siehe Parfumfoto): Aerodynamisches Art-Deco-Design, das mich sofort auf eine Reise durch die Zeit schickte.
Juli in Berlin 1929. Ein Spaziergang auf dem Boulevard Unter den Linden. In der Luft liegt ein feiner Blütenduft, süßlich, klebrig, weich. Ein Junge mit Strohhut schält eine Orange. Ein Blumenmädchen verkauft Sträuße voller zarter weißer Blüten. Im nahegelegenen Mon-Bijou-Park macht man Rast. Man legt sich ins Gras und genießt, wie einen die Sonne liebkost. Die Augen fallen zu, man lässt sich treiben – die Gedanken sind frei. Der Liebste im rechten Arm neckt mich mit seinem Zweig Jasmin, die Liebste, die gerade noch an der Herzensseite gelegen hat, hat sich aufgerichtet. Mit einem Span aus Zederholz versucht sie sich eine Zigarre anzuzünden. Sie überlegt es sich anders. Pudert sich stattdessen die Nase und zwinkert mir zu. Das warme Holz verströmt seinen würzig-harzigen Duft. In der Ferne hört man das Knattern einer Zündapp. Am Weg parkt ein Mercedes-Benz. Ein schwäbisches Auto mit dem Berliner Kennzeichen: „1A-33“. 1A – das wollen sie alle. Denn das sind wir alle hier: 1-A! Beste Güteklasse. Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Das ist die große Weite Welt, das ist die Moderne, das ist der Fortschritt, und der dreht sich auch in unseren Herzen. Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt. Ach, wir drei. Wir sind so frei. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
November in Hamburg 2012.
Am Handgelenk immer noch ein glatter Blütenduft. Modern, frisch-zitrisch, blumig; intensiv, ohne aufdringlich zu sein. Ein Stadtparfum. Für Mann und Frau und alle dazwischen, frisch und fortschrittlich. Blumig ohne Süße. Ich kann den Glamour dieses Parfums verstehen. Auch ohne Emma G.*
* Name ist der Redaktion bekannt.
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