JacSi9
JacSi9s Blog
vor 4 Jahren - 08.01.2020
18 25

Vom Parfumo der Zukunft und olfaktorischen Raststätten

Es sah alles so gut aus. Der Flakon eine Augen- und deswegen schlussfolgernd natürlich ebenfalls eine Geruchsweide. Der Name eine Mischung aus französischem Fantasiewort und hingebungsvoller Huldigung Hulk-ähnlicher Männlichkeit. Da war er. Der Dufttraum, der auf dem Rücken hunderter Abfüllungen endlich aufblühen wollte. Und es war sicher kein Zufall, dass die dunkle Wolkendecke über dem Norden plötzlich aufriss. Ich musste nur noch mit meinem geübten Daumen auf den virtuell eingereihten Duft drücken, damit sich die erwartete Offenbarung endlich offenbaren konnte.

Stahlharte Maskulinität hielt mühsam meine Freudentränen zurück. Mein Daumen glitt in Zeitlupe auf den bakterienbedeckten Touchscreen meines Smartphones. Würde sich die Welt weiterdrehen? Würden Kriege, die tobten, pausieren? Ich war nur Millisekunden von den Antworten entfernt. Die Duftseite öffnete sich. Das letzte Blinzeln, visuelles Fokussieren. Stocken des Atems.

Der Blick fiel routiniert auf die Bewertungsanzeige.

6,2. 6…Komma…2??? Verfluchte Scheiße. Dafür würde keine Rebellengruppe die Waffen ruhen lassen. Alle lebenswichtigen Organe erhöhten ihre Aktivitäten, als würde das letzte Aufbäumen bevorstehen. Der innere Wutkessel schmiss sich quasi von selbst an. Was sollte ich, Duftaficionado, olfaktorischer Stilbeauftragter, ich kleiner Duftengel – was sollte ich mit einem solch minderbewerteten Duft anfangen? Der Blick ignorierte die Duftpyramide und scannte abschätzig Kommentare. Die paar Lobeshymnen, sie mussten von Anfängern stammen. Ein wenig Nostalgie machte sich breit. Was war ich selbst mal klein. Damals.

Der Flakon hatte nun, wo ich ihn vergrößert sehen konnte, etwas Billiges, etwas Gewolltes. Wäre dieser Flakon ein Mensch, würde er sonnengebräunt im Ed-Hardy-Shirt durch die Gegend laufen. Und ich bin Norddeutscher. Ich mag keine Sonne.

Und dieses gekünstelt Französische im Namen, diese Pseudo-Alphagetue. Bemüht projizierten sich diese Bilder auf meine neuronale Netzhaut. Ich bin mir sicher – selbst wenn ich mir eine Abfüllung bestellt hätte. Meine Haut würde mit Ausschlägen protestieren. Nicht vergleichbar mit geheuchelten Cum-Ex-Aufständen. Nein, richtiger Protest würde da lostreten. Flüchtlinge-nehmen-uns-die-Butter-vom-Brot-esque Entrüstungsstürme.

Wenn die 8er-Liga meinem Geschmack nicht entspricht, dann bereue ich den Probenkauf nicht. Dann wurde mein Horizont erweitert. Bei einer 6,2-Zumutung würde ich direkt auf die Straße gehen und solange betteln, bis ich das Geld wieder drin hab. Gleichzeitig geht es mir darum, ausschließlich auf mich zugeschnitten Düfte auszusuchen. Was interessiert mich die Meinung anderer?

Worte, die klingen, als hätten sie in einem mit Ironie-basierter Flüssigkeit gefüllten Pool Urlaub gemacht. Doch wenn ich ehrlich bin - und ich bin ungern selbstkritisch – dann denke ich doch oft häufiger in der aufgeführten Art. Durchaus in abgeschwächter Form, bin ja gesellschaftstauglich. Aber macht es das besser?

Diese Worte gehen raus an alle Düfte, die als ungenutzte Potentiale in der Datenbank zusammengekauert in dem Schatten der 8er-Riege frieren. Die sich mit meiner Haut verbinden wollten. Die meine Liebe wollten. Die ich wie ungeliebte Hunde an der Raststätte der olfaktorischen Arroganz angeleint habe. Ohne mich mit ihnen beschäftigt zu haben. Ja, ich sehe, ich könnte offener sein. Ich könnte auf neue Entdeckungsreise gehen und ungeplante Ufer erobern. Doch ich halte mich an den Zeitgeist: Öffentlich gebe ich mich reumütig und werde intern alles genau so lassen wie es ist. Vielleicht werde ich hier und da einen Underdog testen, um mir selbst zu beweisen, wie freigeistig ich an die Dinge herangehe.

Dennoch bin ich für ein neues Parfumo-Modell. Wahrscheinlich bin ich 200 Jahre zu früh, aber was will man machen. Das Konzept: Jeder Duft bekommt zwei Gesamtbewertung. Eine wie wir sie jetzt kennen. Die Nutzer haben vor dem Test Zugriff auf Markennamen, Kommentare und Bewertungen. Für die zweite Gesamtnote müsste man es irgendwie schaffen, diese Realität mit einem Paralleluniversum zu verbinden, in dem dieselben Personen vorher nur Zugriff auf die Duftpyramide erhalten und frei vom Herdentrieb und Markenassoziationen bewerten. Dann könnte man einen Index aus den Abweichungen erstellen und müsste sich nicht so zusammenreißen, auch endlich mal ne 6,7 zu testen. Das ist die Welt, von der ich träume. Ich fühle mich mindestens marginal angegriffen, wenn das nicht zumindest in den nächsten drei Monaten umgesetzt wird.

Das Ende vom Lied? Es bleibt alles so wie es ist. Hätte mir den Text also auch sparen können. Aber dieser kleine Funken Hoffnung. Er glimmt noch. Und jetzt muss ich das hier auch schnell beenden. Habe von einem Duft in einem englischsprachigen Forum gelesen, der sich wirklich klasse anhört. Der Flakon – eine Naturschönheit. Der Name – triggert ein wohlig-warmes Gefühl in mir. Jetzt muss ich nur noch die Parfumo-Seite öffnen.

18 Antworten

Weitere Artikel von JacSi9