JacSi9
JacSi9s Blog
vor 6 Jahren - 20.03.2018
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Die Jagd nach der Vorfreude

Sind es wirklich die Düfte, die faszinieren oder ist es die Vorfreude auf das erhoffte Unbekannte? Ist das Ziel, im nunmehr Bekannten die olfaktorische Genugtuung zu finden oder ist die immer neu aufflammende Vorfreude in Wirklichkeit das wahre Extrait, der Lockstoff für die Duftverrückten? Es mag bei jedem anders sein. Aber vielleicht steht hinter dem Einzelfall mehr als der Einzelne. Um es anders auszudrücken: Was treibt einen hier eigentlich wirklich an, verdammte Scheiße nochmal?

Eine Horde Parfumzombies auf der Suche nach dem nächsten Kick wie Kokainabhängige? Gegenseitig angestachelt von ermunternden Kommentaren? Sekten-Flair für Menschen, die vor geruchsloser Frischluft Angst haben und den Stoff suchen, der die Seele endgültig zum Frieden bringt? Ich lehne mich mal ganz weit aus dem Fenster, indem ich sage: Das wäre ziemlicher Bullshit.

Aber einmal Aventus schnuppern, Account löschen, zehn Flakons bestellen und bis zum Lebensende durch eine Flut aus Unterwäsche schwimmen - das passiert eben auch selten. Unterscheidet sich das Hobby Parfum also zum Beispiel vom Surfen? Auf der Suche nach der nächsten Welle? Ich nehme es gleich vorweg: Dieser Text wird kaum Fragen beantworten. Wenn ihr wollt, dass ich Fragen beantworte, müsst ihr mir jeweils 20 Euro via Paypal schicken (unter Freunde, ohne Bemerkung versteht sich, dann geht die Antwort raus). Dann werde ich Euch den Sinn des Lebens verraten. Spoiler: Er könnte was mit Düften zutun haben. Oder doch nicht?

Ich wollte einfach einen neuen Duft, der zu mir passt und nicht so riecht wie die ganzen anderen Kids. Ich wollte einfach nur kurz googlen, Bestellbutton klicken und neu duften. Jetzt bin ich immer noch hier. Monate später. Ich bin wie ein Familienvater, der nur mal kurz Zigaretten holen gehen wollte - mit dem Unterschied, dass ich wirklich nur mal eben Zigaretten holen gehen wollte. Und ich rauch nicht mal.

Tagelang lese ich die Bewertungen, auch in englischsprachigen Foren (ja, es gibt eine Welt außerhalb Parfumo). Ein Ideal braut sich zusammen inmitten der Vorstellungskraft. Ich sehe mich in fantastischen Situationen, ungeahnte Charaktereigenschaften werden hervorgehoben, Frauen wollen Kinder von mir, obwohl sie wissen, dass ich nach zwei Wochen weiterziehe. Romantisch. Romantisch. Romantisch.

Geld verlässt das Konto. Sind ja nur 12 Euro. So wie die letzten zehn Male. Oh, bald Feierabend. Im Briefkasten wartet die Erlösung. Die Bestätigung der Fantasie. Dieses Mal wird es eintreffen. Der Umschlag wird zerrissen als sei er auf Minenfelder gefallen. Die Proben gleiten in die Hände. Der Sprühkopf wird gedrückt wie der Lauf einer Schusswaffe. Doch wo wird das Einschussloch klaffen? Im Herzen des Ideals oder im Vorhaben, einen Duft zu finden, da man angekommen ist? Pff pff. Pfff Pfff. Moleküle treffen Haut. Wird die Welt wirklich bunter werden? Wie wird sich alles verändern? Wird der Dalai Lama erscheinen?

"Oh, ja interessant. Bisschen oldschool. Aber schön frisch. Hm joa, bin ich irgendwie nicht. Kommt in die No-Go-Tüte. Oh Mensch, was ist das denn für ein 8,0er-Duft, den alle so abfeiern? Klingt ja richtig geil. Gibt's den im Souk?"

Ich hatte die ganze Zeit mein Smartphone in der Hand. Ich war auf parfumo.de. Auf der Seite eines anderen Duftes. Was bin ich eigentlich für ein Mensch.

In meinen bisherigen Duftkommentaren lässt sich nachlesen, dass ich durchaus angekommen war. Diese Düfte feiere ich nach wie vor. Ich wollte wirklich aufhören. Und es ging weiter. Da stellte ich mir die Frage, ob ich das Hobby Duft also einfach austauschen könnte, wenn die Vorfreude, das vom Alltag Abweichende auch woanders zu finden wäre.

Ich denke nicht, dass es so ist. Parfums zu mögen und sich dadurch auch mit seinen eigenem Geschmack und Charakter auseinanderzusetzen ist immer noch besser als Terrortourist nach Syrien zu fahren. Muss man einfach mal so sagen. Aber ich muss mir schon eingestehen, dass ich zwar finden will, mir die Suche und die Vorfreude aber am meisten Spaß machen. Daran ist nichts Verwerfliches. Aber die Einsicht hilft, den Ball einfach auch mal flach zu halten.

Seitdem ich aufgehört habe, ernsthaft zu glauben, dass ich einfach nur finden will, bin ich ein neuer Mensch. Ich finde mich wieder in fantastischen Situationen, habe ungeahnte Charaktereigenschaften entdeckt und Frauen wollen Kinder von mir, obwohl sie wissen, das ich nach 1,5 Wochen weiterziehe. Okay, Spaß.

Verantwortungsvolles Duftsuchten. Sich selbst nicht bescheißen. Kann jeder machen, wie er oder sie will. Ich habe gerne Klarheit im Handeln. Und ich weiß jetzt, welcher Duft mir besonders zusagt: Der vom Eau de Vorfreude. Auch wenn die Haltbarkeit zu wünschen übrig lässt. Man muss ganz schön oft nachlegen.

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