4 Jahre Parfumo
Geburtstage sind Tage der Erinnerung an die Veränderung. Die Erinnerung selbst ist imstande die Vergangenheit anzupassen. Wir schmücken Sie aus, dichten ihr Bedeutung zu, verpoesieren die Vergangenheit regelrecht. Der Gedanke selbst wird zum Organon der Fetischisierung einer Illusion. Die idealisierte Vergangenheit kann aber auch zu einem fruchtbringenden Unterbau für die gedachte Wirklichkeit werden. Die Bilder meiner Vergangenheit sind seit jeher mit Düften verwoben.
Seit 4 Jahren bewege ich mich in dieser Matrix, die fast täglich jegliche Grenzen meiner Vernunft tilgt. Meine Nase dominiert mich fast und schafft stets neue Anreize. In Mittelpunkt dieser „Sucht“ stehen oft nicht mehr die Werke, sondern ihre Autoren. Demzufolge wird das olfaktorische Erlebnis oft weniger wichtig, als der Wunsch nach Erkenntnis oder einer Form von Verständnis. Natürlich werden oft Düfte in Auftrag gegeben. Diese Deals bringen keine Juwelen hervor. Ich spreche nicht von Profit initialisierten Kreationen. Was mich persönlich umtreibt, ist zu verstehen, warum ein Parfumeur „dazu getrieben wird“ den Duft genauso zu erschaffen, wie das Werk, am Ende des Tages, in diese Welt geboren wird. Es ist daher gar nicht so verwunderlich, wenn diese Duftpoeten von ihren Babys sprechen.
Ich habe bereits über Nikolay Eremin geschrieben, der für mich ein Duftpoet par excellence ist. Er leidet, kämpft, fällt, steht wieder auf. Er kann nicht anders. Er hat nie etwas anderes gelernt. Wenn er von Düften spricht, spricht er von Geistern. Nikolay Eremin wird für immer einen besonderen Platz in meiner Duftwelt haben. Seine vielen und vielschichtigen Werke haben mir eine neue Welt eröffnet.
Viele Düfte haben in letzten vier Jahren ihren Platz in meinem Duftschrank gefunden. Ganz wenige haben einen festen Platz erhalten. Die, die blieben haben das gewisse Etwas, das mich berührt und beim Auftragen regelrecht aufwühlt.
Die vergangenen zwölf Monate ließen mich jedoch ziemlich kalt. Die neuen Werke haben mich nicht erreicht. Als ich bereits die Hoffnung aufgegeben habe, dass tatsächlich etwas Neus kommen könnte, lernte ich durch einen Zufall die Werke von Erika Gualtieri kennen. Natürlich war meine erste Assoziation, dass Erika irgendwie etwas mit Alessandro zu tun haben muss. Nein, der charismatische Allesandro und Erika kennen sich nur flüchtig, sind aber „weder verwandt noch verschwägert“.
Es hat ein bisschen gedauert bis die Atomizer, aufgrund von Covid19-Chaos, in meiner schönen Barockstadt ankamen. Bei neuen Düften befolge ich immer den Rat von Nikolay Eremin, die Düfte erst ein paar Tage ruhen zu lassen. Erst nach 10 – 14 Tagen haben diese die Duftintensität und ihren Charakter wieder inne. Während diese Wartezeit entwickelten die Atomizer eine Form von Eigenleben. Der Duft war neu, fremd, aber anziehend. Ich verkürze jetzt, ich habe den Düften ihre Karenzzeit nicht gegeben, ich konnte nicht anders. Bereits nach drei Tagen habe ich sie getestet.
Die Werke von Erika Gualtieri möchte ich als Kunst bezeichnen, die ich nicht tragen möchte – es ist eine Form der Parfumkunst, die ich tragen WILL. Jeder ihrer drei Düfte ist so besonders und neu. In allen drei Kreationen kehrt sie zu ihrer Vergangenheit zurück und baut die Stationen ihrer Kindheit neu auf. Als junge Fraue wollte Erika nur weg und keine Wurzeln haben. Heute, als Mutter und gestandene Frau, sät sie die Saat ihrer eigenen Wurzeln selbst. Ihre Düfte riechen nach Salzluft und imposanten italienischen Steinhäusern, nach Erde und Pinienwäldern. Erikas malerische Vergangenheit ist zum Fundament ihrer gelebten Wirklichkeit geworden. Wie Nikolay, ringt auch Erika oft mit sich selbst. Aus diesen Kämpfen wird Kunst geboren.
Viel mehr möchte ich über Erikas Düfte nicht schreiben. Vielleicht werde ich bald ein Kommentar zu einem ihrer Düfte verfassen, vielleicht nicht. Sie ist, nach Nikolay, eine neue Station hier. Erneut dürfte ich staunen. Vielleicht wird sich das ändern. Nichts ist so beständig wie die Veränderung.
Hier und jetzt möchte ich mich bei vielen lieben Menschen bedanken, die ich hier getroffen habe. Natürlich, es gab auch Konflikte und Unhöflichkeiten. So was gibt es überall. Das vergesse ich schnell. Es hat für mich keine Bedeutung. Was wichtig ist; was bleibt, sind die wunderbaren Erfahrungen und eine neue Welt voller Duftzauber. Danke dafür.


Dein Zugang, sich stark auf die Schöpfer-Konzepte oder Kreateursideen zu fokussieren, nicht einfach von den eigenen Dufteindrücken oder von der erahnten Stoff-Textur auszugehen, ist besonders - und allemal interessant.
So rückst Du die Parfumkunst näher an die etablierteren Kunstformen und zu den Diskursen über deren Schöpfer und ihre Konzepte oder Wirk-Absichten.
Das gefällt mir.
Die Zukunft wird allemal interessant...
Danke für die lieben Wünsche.
Ja, oft ist es, wie Du es beschrieben hast, nur ein Handwerk. Nicht immer. Es passiert den einen oder anderen Parfumeur auch, dass er/sie ein Akkord oder "Geruchfetzen" aufschnappt, der ihn/sie nicht mehr loslässt.
Genau hier sehe ich den Unterschied zwischen Kunst und Handwerk.
Du hast Recht, oft werden Dinge zu schnell idealisiert.
Ich sehe in der Parfümbranche jedoch sowohl handwerklichen wie auch künstlerischen Zugang.
Das stelle ich mir eher so vor, dass sich der Parfumeur hinsetzt und mit verschiedenen Stoffen experimentiert, bis sich plötzlich ein Akkord ergibt, aus dem er etwas machen kann und will. Also vielleicht weniger eine konkrete Duftidee, als "try and error".
Jedenfalls Happy Birthday, liebe Kollegin :-)
Und das sich man ganz schön vertiefen kann ...
Viel Spaß dabei Du Liebe ...♥╣[-_-]╠♥
Wenn Eremin von Düften spricht, spricht er von Geistern? Cool!
Du weißt ja, wie sehr ich mich freue, dass Du hier bist.
LG
Interessant, dass du mittlerweile eher die Macher verfolgst, mich faszinieren bisher immer noch eher einzelne Werke. Was ich aber auch feststelle, ist dass es immer weniger bisher unbekannte Parfums gibt, die das gewisse Etwas inne haben.
Viele Grüße!