Mourant
bouquet mourant
vor 16 Tagen - 16.04.2024
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Die tiefen Töne der Klaviatur

(Es gab vor einer Weile einen ähnlichen Blog, ich kann mich leider weder an den genauen Zeitraum noch an das verfassende Mitglied erinnern. Auch @AndRup schneidet das Thema in seinem aktuellen Blog an.)

Es geht um die Punktbewertung auf Parfumo. Und dass sie mir oftmals viel zu wohlwollend stattzufinden scheint. Was ich hier schon alles in Statements gelesen habe... Da wird ein Duft als „Katastrophe“ bezeichnet, als „stechend“, „furchtbar“, "grauenhaft, „ungenießbar“, sogar als „böswillig“, etc.

Und bekommt dafür eine 5 oder 6.
Mitunter sogar noch eine 7. Noch drei Punkte und wir sind bei der
Höchstwertung. Für einen Totalausfall.

Wieso?
Was soll denn da noch Schlimmeres als eine böswillige Katastrophe kommen, damit man in der Bewertung weiter runter greift? Das ist doch überhaupt nicht verhältnismäßig.

Auf einer Skala von 0-10 kann die Mitte ja nur Mittelmaß bedeuten. Durchschnitt. Weder allzu gut noch allzu schlecht. Ich lese aber immer wieder Statements, die förmlich nach der niedrigen Hälfte der Skala SCHREIEN. Alternativ wird auch gerne gar nicht bewertet, wenn man in der Skala theoretisch tiefer greifen müsste. Da werden gewisse Parfums täglich und inflationär mit 10ern und oberflächlichen, immer gleichen Statements zugeballert und die abweichenden Meinungen, die das Ganze etwas gerader und zumindest hier und da mal in ein anderes Licht rücken, ein annäherndes Gleichgewicht schaffen könnten, machen sich durch fehlende Punktwertung gar nicht erst geltend/bemerkbar.

Gründe für diese Diskrepanz scheinen mir:
1. Höflichkeit, falsch verstandene. Weniger euphemistisch ausgedrückt könnte man auch von Harmoniesucht oder sogar Feigheit sprechen. Man möchte bloß niemanden vor den Kopf stoßen und mit seiner mehr oder weniger abweichenden Meinung „triggern“, bloß nicht anecken, nicht auffallen.
2. Gnade. Man will wohlwollend bewerten. Aber wieso dann überhaupt noch bewerten, wenn es nichts bedeutet und gar nicht die ehrliche Wahrnehmung repräsentiert?
Die Parfumeure werden wohl nicht auf der Straße landen, nur weil irgendwem auf Parfumo ihr Werk nicht zusagt. Jeder, der etwas von sich in die Öffentlichkeit setzt, muss mit Rückmeldung rechnen und zwar nicht nur mit positiver. (Wink mit dem Zaunpfahl, wir sehen uns in den Kommentaren. 😉)
3. Die Mär von der „Objektivität“. Wir sind Subjekte, keine Objekte. Alles ist subjektiv, davon kann sich niemand freimachen. Jeder sieht die Welt durch die Filter seiner eigenen Wahrnehmungen, Prägungen, Erinnerungen, Neigungen. Objektivität existiert meiner Meinung nach nicht.
Wenn dann Leute besser bewerten als sie offenbar empfinden, mit Verweis darauf, nicht nur ihre persönliche Meinung einfließen lassen zu wollen, erscheint mir das absurd. Welche Meinung denn sonst, die unpersönliche? Fragen wir dazu diesen Stein. 🎤🪨

Diesen Punkten gegenüber steht meines Erachtens die ehrliche, eigene Meinung und Wahrnehmung.

Wieso schreibe ich das? Ich will (und davon abgesehen kann) niemandem vorschreiben, wie und nach welchen Kriterien man zu bewerten hat, lediglich einen Denkanstoß liefern und dazu ermutigen, sich selbst mehr zu vertrauen, mehr zu sich selbst zu stehen. Ich habe schon öfters unter Statements, die negativer klangen als ihre Bewertung, gefragt, wie dieser (in meinen Augen) Widerspruch zustande kommt. So gut wie immer wurde die Wertung daraufhin nochmal nach
unten korrigiert. Grund dafür schien mir nicht meine unglaublich furchteinflößende, nötigende Art zu sein. Auch habe ich niemandem die Pistole auf die Brust gesetzt oder einen abgesägten Pferdekopf ins Bett gelegt. Sondern es gab Verständnis für meine Verwunderung. Das zeigt für mich, dass durchaus Bereitschaft vorhanden ist, zu kontroversen Meinungen zu stehen, diese Option in den Köpfen vieler User aber womöglich gar nicht erst zur Debatte steht. Vielleicht, weil man den Kumbaya-Kuschel-Kurs gewohnt ist? Das muss doch nicht sein.

Ich begrüße es, negative Bewertungen zu sehen, solange sie begründet sind! Weil ich es schätze, wenn Menschen im wahrsten Sinne des Wortes ein Statement setzen, selbst bzw. vor allem, wenn es gegen den Strom schwimmt (solange dies nicht auf forcierte, persönlich angreifende, ignorante, intolerante Art geschieht, selbstverständlich). Harmonie ist schön und gut, solang sie nicht falsch ist. Steht doch zu euch und überlasst das Feld nicht der Harmoniesucht, der Gefälligkeit und dem Geschleim. Die Klaviatur besitzt nicht umsonst auch die tiefen Töne, die dürfen auch gespielt werden. Es wird doch gerade interessant, wenn es kontrovers und pikant zugeht.
Ich will es gar nicht so darstellen, als würden sich hier alle duckmäuserisch verhalten, ganz und gar nicht. Hier wird zum Glück auch ordentlich und ehrlich verrissen. Aber ich sehe da insgesamt
noch mehr Potential nach unten. 😜
Ich sage: Mehr Negativität wagen! 

Letztlich geht es nur um Parfum.
(Hier die berechtigte Frage einsetzen, warum man sich dann die Mühe macht, einen Blog über die Bewertungskriterien auf einer Community zu Parfum zu verfassen. Ich versuch doch nur, mich vom Putzen abzuhalten... 🥴)
Worauf ich damit aber genauer hinaus will: Wenn gewisse Mitglieder sich hier persönlich angegriffen und ausfallend in den Kommentaren echauffieren, nur weil der eigene Lieblingsduft nicht bei allen Menschen dieser Welt die gleiche Euphorie hervorruft und es für nötig halten, ihre auf Parfum projizierte Ehre zu retten, indem sie anderen die eigene Wahrnehmung/Meinung/Kompetenz absprechen, haben jene sich anzupassen und müssen eben lernen, dass sie nicht das Maß aller Dinge sind. Aber doch bitte nicht noch in Watte packen und ihnen entgegenkommen, indem man sich quasi selbst zensiert.

Also haut in die Tasten!

Aktualisiert am 16.04.2024 - 10:04 Uhr
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