Strehliwood
Strehliwoods Blog
vor 8 Jahren - 27.07.2016
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Im Namen der Rose

Ich lade den geneigten Leser zu einer kleinen Zeitreise in das Jahr 1989 ein. Ich war damals 18, hatte das Abitur absolviert und befand mich vor dem anstehenden Wehrdienst in einem studiumvorbereitenden Praktikum im VEB Technische Gebäudeausrüstung Dresden. Hier erlebte ich sowohl den desolaten Zustand der DDR als auch die sich damals schon abzeichnenden politischen Veränderungen im Land hautnah. Obwohl es dazu viele interessante Geschichten zu erzählen gäbe, kürze ich dies ab, denn ihr sollt ja den zweiten Protagonisten kennenlernen.

Wir beamen uns unmittelbare in die überaus spannende Zeit kurz nach der sog. Wende. Im Osten stand alles Kopf und Niemand wusste so richtig was da gerade passiert und wie es weitergeht. Aber alle verband das Gefühl, Teil von etwas ganz Großem zu sein. Es herrschte eine uneingeschränkt positive Stimmung und Helmut Kohl versprach 1990, dass es Keinem schlechter gehen wird.

Beim trögen Praktikum in eben jenem VEB hatte ich überdies gänzlich die Lust an dem bevorstehenden Studium verloren.

Da gab es so viel Neues im Westen zu entdecken, die Möglichkeiten schienen unbegrenzt. Und ehe ich mich versah, kam ich zu einem völlig anderen Beruf, den ich noch immer ausübe.

Sicher lag es am Alter und vielleicht auch an den begrenzten Möglichkeiten in der DDR, aber an gute Düfte habe ich keine Erinnerung mehr. Entsinnen kann ich mich an die Pflegeserie "Action" (hier immerhin mit 2,5 bewertet), dessen Produkte quasi nie erhältlich waren - oder nur über Beziehungen, "Action" gehörte zum Sortiment der "Bückware". Wie "Action" roch, ich hatte davon Haargel und einen Deospray, weiß ich nicht mehr. Dann waren da noch die schweren Düfte meiner Mutter, die sie besonders gern auflegte, wenn wir in unserem feuerwehrroten Skoda S100 verreisten. Bedingt durch diese eher bescheidenen Dufterlebnisse konnte sich in diesem Stadium noch keine Duftaffinität entwickeln. Was ich mochte, war der irre gute Geruch im Intershop, so gut roch für mich der Westen. Da wir kein Westgeld hatten, bin ich dort gern zum Staunen und Luft inhalieren hingegangen. Ich habe mich oft gefragt, warum ich diesen tollen Intershop-Luft-Duft schon kurz nach der Wende nirgendwo mehr riechen konnte. Und allen Leuten die ich darauf ansprach ging es ebenso - im vereinigten Deutschland konnten wir den Westen nicht mehr riechen. Das ist doch verrückt - oder? - wie sich unsere Wahrnehmung ändert...

Der Ausbildung wegen kam ich 1991 nach Darmstadt - und dann ist es einfach passiert - mein erstes richtiges Dufterlebnis. Fast wäre ich draufgetreten - auf dem Fußweg lag eine niegelnagelneue Azzaro-Probe "Acteur (Eau de Toilette)". Ich habe den Duft von Beginn an als Geschenk betrachtet (Das zweite nach 100,00 DM Begrüßungsgeld *lach*) - und das erste was mir auffiel war der ähnliche Name zum "Action"-Duft aus der DDR. Das konnte ja gar kein Zufall sein...

Der "Acteur (Eau de Toilette)" war und blieb lange Zeit Zeit die große Duftliebe meines Lebens. Er passte einfach zu mir und in die Zeit. Ich fühlte mich damit selbstbewusst und erntete viel Lob. Wenn man so will, hat er mir olfaktorisch den Weg ins vereinte Deutschland geebnet. Irgendwann probierte ich "Kiton Men" und "Nightflight" und noch einige andere Düfte, fand aber immer wieder den Weg zu meinem "Acteur (Eau de Toilette)" zurück. Bis zu dem Tag, als ich ihn vergebens im Drogerie -Regal suchte und erfuhr, dass er nicht mehr hergestellt würde. Und so endete unsere Lovestory so aprupt, wie sie begonnen hatte. Vor Jahren ersteigerte ich mal eine gekippte Probe bei Ebay - sie hatte nichts mehr gemein mit dem Duft in meiner Erinnerung. Ich beschloss die Jagd danach aufzugeben und so blitzte mein "Acteur (Eau de Toilette)" nur noch manchmal in meinen Erinnerungen auf.

Klingt fast so, als gäbe es kein Happyend. Fehlanzeige! :) Seit kurzem bin ich ja hier bei Euch, in dieser liebenswerten und verrückten Gemeinschaft ;). Aus Leimbacherers Asservatenkammer *zwinker* erhielt ich eine Abfüllung vom "Acteur (Eau de Toilette)". Nach meinem Erlebnis mit der gekippten Probe war ich sehr skeptisch und deshalb sehr zögerlich beim Auftragen. Und BÄMMM, da war ER - ER der liebenswerte vermooste Flaschengeist mit dem Holzbein und der altrosafarbenen Rose im Mund...mein Dschin, der Geist aus dem APO-Zerstäuber... :)) Und so wie ich nicht am Plaste gerieben habe, musste ich mir auch nichts wünschen, denn Dschini und ich verstehen uns blind. Und wieder BÄMMM, da waren sie - die vielen scheinbar verloren gegangenen Erinnerungen an wunderbare Zeiten und meine knackigsten Jahre :). So glücklich kann Parfüm machen.

Überdies finde ich den Duft noch immer wunderschön, unsynthetisch und tragbar. Danke an den Parfümeur Maurice Maurin und Azzaro für die Erschaffung dieses zeitlosen Kunstwerks.

Selbstverständlich habe ich alle später folgenden Düfte von Azzaro getestet und trug eine zeitlang "Visit for Men" und "Now Men", die meisten Düfte, ganz vornweg "Decibel" fand ich jedoch untragbar. Mit dem aktuellen "Wanted" wurde ein neuer Tiefpunkt markiert. Hier muss ich unweigerlich an den Dialog zwischen Waldemar Hartmann und Rudi Völler denken und es stellt sich die Frage, wieviele Tiefpunkte es noch gibt und vorallem, ob auf einen immer tieferen Tiefpunkt denn noch tiefere Tiefpunkte folgen können. Und diese Entwicklung ist die traurige Seite an dieser Geschichte. Ich bin mir sicher, der 2003 verstorbene Loris Azzaro würde sich im Grabe herumdrehen. Bleibt zu hoffen, dass das renommierte Haus irgendwann einmal wieder besseren Zeiten entgegenblickt.

Nachtrag 12.09.2016: Ein Flakon aus Italien ist eingetroffen und ist der Champion meiner Sammlung :)

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