20.02.2018 - 13:02 Uhr

Yatagan
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Yatagan
Top Rezension
54
Das Aussterben der Aristokraten
Unkommentierte Düfte No. 115
Ich bin einer der wenigen glücklichen Besitzer eines Grundbestandes von Crown-Düften, die nach ihrem Wiederaufleben in den 90ern eine Weile das Rückgrat britisch-aristokratischer Colognes bildeten. Man darf es ja kaum verraten: Noch tauchen immer wieder Chargen originalverpackter und verschweißter Restbestände dieser Marke im Netz auf und wer sich angesprochen fühlt zu fischen, der fische, aber lasse mir die schönsten übrig, insbesondere meinen Signature-Duft (s.d.).
Achtung: Die folgenden Ausführungen sind im Wesentlichen für Sammler aus dem Parallelkosmos traditioneller englischer Düfte interessant und selbst für viele Kenner hier eher ein Randphänomen. Man kann sich also jetzt noch entscheiden, aus der Lektüre auszusteigen. Ich verzeihe das gerne großmütig.
The Crown Perfumery's Town & Country gehörte seinerzeit zu einer kleinen Familie von eigenwillig hell-frischen, fast scharfen Düften, die ein wenig an Franzbranntwein erinnern (Exkurs: Kennt den noch jemand? In den 60ern und 70ern wurden damit fast alle Krankheiten geheilt, und zwar erfolgreich. Das muss vor dem Hype der Homöopathie gewesen sein. Exkurs Ende).
Dazu gehören im Einzelnen:
- Geo F. Trumper Wellington (1876)
- Penhaligon's Blenheim Bouquet (1902)
- The Crown Perfumery Town & Country (1925)
Die weit auseinander liegenden Erscheinungsjahre mögen überraschen. Tatsächlich kramte ich jüngst einen von mir liebevoll archivierten alten Katalog von Lothar Ruff (The English Scent: english-scent.de / Anglia), vielleicht der erste, der in Deutschland wieder englische Düfte in größerem Stil vertrieb, hervor, in dem davon die Rede war, dass diese drei Düfte auf eine gemeinsame, in der Zeit der Jahrhundertwende (oder davor) häufig vertretene Formel zurück gehen könnten. Lothar Ruff schreibt: "Abgekupfert wird überall. Wer letzten Endes als erster diese Kombination aus Zitrone, Bergamotte, Neroli mit herbalen Noten (Rosmarin, Thymian) in die Welt gesetzt hat, weiß ich nicht. Jedenfalls war die Duftrichtung, wie sie von Wellington vertreten wird, ein typischer Duft der Jahrhundertwende. 'Blenheim Bouquet' von Penhaligon's ist nahezu identisch, ebenfalls 'Town & Country' von The Crown Perfumery." (Lothar Ruff in seinem Katalog "The Art of Grooming. The English Scent", Berlin 2003; m.W. der letzte gedruckte Katalog von The English Scent; danach folgte die Homepage). Warum jedoch jeweils Jahrzehnte zwischen der Lancierung der drei oben Genannten liegen, verschweigt auch er. Er verweist nur auf eine vielleicht noch ältere Variante eines andere Herstellers. Wer hierzu Näheres wüsste, möge bitte im Antwortbereich unter dem Kommentar Erhellendes beitragen.
Interessant ist jedoch an diesem Hinweis auch die kurze Liste der Inhaltsstoffe, die m.E. besser trifft als die derzeit beim Duftzwilling Blenheim Bouquet genannten (nämlich Limette, Zitrone, Moschus, Kiefer, schwarzer Pfeffer; diese Noten bilden vielleicht eine Reformulierung ab) und auch besser als die zu kurze Liste oben.
Vergleicht man diese Aufzählungen fällt auf, dass bei Town & Country die Zitrone / Limette fehlt (im Duft jedoch sicherlich enthalten ist), dafür aber zusätzlich Lavendel genannt wird, was ich für völlig zutreffend halte und darum postuliere, dass die schöne blaue Blume (wenigstens ursprünglich) auch in den Schwesterdüften Wellington und Blenheim Bouquet enthalten (gewesen) sein dürfte.
Ein kleiner Sprung zu Wellington von Geo F. Trumper, einer von mir besonders geschätzten Marke: Dort findet sich nun die von Lothar Ruff erwähnte Zitrone, auch Bergamotte, Neroli, Rosmarin, allerdings kein Thymian und kein Lavendel, dafür jedoch Moschus wie bei Blenheim Bouquet und zusätzlich Maiglöckchen, das sich ja gerne in englischen (auch maskulinen) Düften tummelt und... Orange. Diese nun wiederum könnte tatsächlich ein Charakteristikum von Wellington sein, der ein wenig weicher, saftiger, und - ja - orangenfruchtiger erscheint, auch wenn das Marginalien sind, die Novizen im Club englischer Düfte kaum auffallen dürften.
Alles in allem scheint mir plausibel, dass die drei Düfte, die so eng verwandt sind, allesamt die von Lothar Ruff genannten Inhaltsstoffe als Schnittmenge enthielten (von ganz aktuellen, reformulierten Varianten spreche ich mal nicht), und zwar: Zitrone, Bergamotte, Neroli, Rosmarin, Thymian, darüber hinaus vielleicht Moschus, vielleicht Maiglöckchen, vielleicht Lavendel - und dann in ihrer jeweiligen Ausprägung noch andere Akzente (Blenheim: Limette, Wellington: Orange, Town & Country: ?).
Übrigens: Entfernte grüne Verwandte sind Acqua di Selva und Pino Silvestre. Sie enthalten ebenfalls die meisten der angegebenen Inhaltsstoffe.
Was hat uns das jetzt gebracht? Den meisten nichts, den Liebhaber/innen englischer Düfte ein bisschen Ahnenforschung im Bereich aussterbender englischer Duft-Aristokraten, die immer häufiger ihr Tafelsilber bereits zum Teil verscherbelt haben (Penhaligon's), auf dem Weg zum Auktionshaus sind (Floris, Truefitt & Hill, Woods of Windsor) oder sich in Nischen tummeln, die normale Menschen (leider) nur selten betreten (Geo F. Trumper, D.R. Harris, Taylor of Old Bond Street, Czech & Speake, um einen neueren Vertreter zu nennen) oder die bereits ohne männlichen Erben verstarben (The Crown Perfumery; dass die Leiche von einem Snob exhumiert und als "Clive Christian" zu überteuerten Preisen passabel wiedererweckt wurde, zählt ja nicht).
Allen, die Crown nun nachtrauern wollen, sollten ihre Taschentücher stecken lassen und entweder das Netz absuchen oder, das ist leichter, einen Versuch mit Anglia Perfumery (Initiative Lothar Ruff) machen. Dort gibt es zahlreiche alte Crown-Düfte (und manchmal auch erbleichte Duftschönheiten anderer Häuser) als Remake - von denen viele sehr ordentlich gelungen sind. Leider öfters mit anderen Namen, so dass man ein wenig mühsam recherchieren muss, welcher ursprüngliche Duft sich hinter den neuen Bezeichnungen verbirgt. Es lohnt sich!
Ich bin einer der wenigen glücklichen Besitzer eines Grundbestandes von Crown-Düften, die nach ihrem Wiederaufleben in den 90ern eine Weile das Rückgrat britisch-aristokratischer Colognes bildeten. Man darf es ja kaum verraten: Noch tauchen immer wieder Chargen originalverpackter und verschweißter Restbestände dieser Marke im Netz auf und wer sich angesprochen fühlt zu fischen, der fische, aber lasse mir die schönsten übrig, insbesondere meinen Signature-Duft (s.d.).
Achtung: Die folgenden Ausführungen sind im Wesentlichen für Sammler aus dem Parallelkosmos traditioneller englischer Düfte interessant und selbst für viele Kenner hier eher ein Randphänomen. Man kann sich also jetzt noch entscheiden, aus der Lektüre auszusteigen. Ich verzeihe das gerne großmütig.
The Crown Perfumery's Town & Country gehörte seinerzeit zu einer kleinen Familie von eigenwillig hell-frischen, fast scharfen Düften, die ein wenig an Franzbranntwein erinnern (Exkurs: Kennt den noch jemand? In den 60ern und 70ern wurden damit fast alle Krankheiten geheilt, und zwar erfolgreich. Das muss vor dem Hype der Homöopathie gewesen sein. Exkurs Ende).
Dazu gehören im Einzelnen:
- Geo F. Trumper Wellington (1876)
- Penhaligon's Blenheim Bouquet (1902)
- The Crown Perfumery Town & Country (1925)
Die weit auseinander liegenden Erscheinungsjahre mögen überraschen. Tatsächlich kramte ich jüngst einen von mir liebevoll archivierten alten Katalog von Lothar Ruff (The English Scent: english-scent.de / Anglia), vielleicht der erste, der in Deutschland wieder englische Düfte in größerem Stil vertrieb, hervor, in dem davon die Rede war, dass diese drei Düfte auf eine gemeinsame, in der Zeit der Jahrhundertwende (oder davor) häufig vertretene Formel zurück gehen könnten. Lothar Ruff schreibt: "Abgekupfert wird überall. Wer letzten Endes als erster diese Kombination aus Zitrone, Bergamotte, Neroli mit herbalen Noten (Rosmarin, Thymian) in die Welt gesetzt hat, weiß ich nicht. Jedenfalls war die Duftrichtung, wie sie von Wellington vertreten wird, ein typischer Duft der Jahrhundertwende. 'Blenheim Bouquet' von Penhaligon's ist nahezu identisch, ebenfalls 'Town & Country' von The Crown Perfumery." (Lothar Ruff in seinem Katalog "The Art of Grooming. The English Scent", Berlin 2003; m.W. der letzte gedruckte Katalog von The English Scent; danach folgte die Homepage). Warum jedoch jeweils Jahrzehnte zwischen der Lancierung der drei oben Genannten liegen, verschweigt auch er. Er verweist nur auf eine vielleicht noch ältere Variante eines andere Herstellers. Wer hierzu Näheres wüsste, möge bitte im Antwortbereich unter dem Kommentar Erhellendes beitragen.
Interessant ist jedoch an diesem Hinweis auch die kurze Liste der Inhaltsstoffe, die m.E. besser trifft als die derzeit beim Duftzwilling Blenheim Bouquet genannten (nämlich Limette, Zitrone, Moschus, Kiefer, schwarzer Pfeffer; diese Noten bilden vielleicht eine Reformulierung ab) und auch besser als die zu kurze Liste oben.
Vergleicht man diese Aufzählungen fällt auf, dass bei Town & Country die Zitrone / Limette fehlt (im Duft jedoch sicherlich enthalten ist), dafür aber zusätzlich Lavendel genannt wird, was ich für völlig zutreffend halte und darum postuliere, dass die schöne blaue Blume (wenigstens ursprünglich) auch in den Schwesterdüften Wellington und Blenheim Bouquet enthalten (gewesen) sein dürfte.
Ein kleiner Sprung zu Wellington von Geo F. Trumper, einer von mir besonders geschätzten Marke: Dort findet sich nun die von Lothar Ruff erwähnte Zitrone, auch Bergamotte, Neroli, Rosmarin, allerdings kein Thymian und kein Lavendel, dafür jedoch Moschus wie bei Blenheim Bouquet und zusätzlich Maiglöckchen, das sich ja gerne in englischen (auch maskulinen) Düften tummelt und... Orange. Diese nun wiederum könnte tatsächlich ein Charakteristikum von Wellington sein, der ein wenig weicher, saftiger, und - ja - orangenfruchtiger erscheint, auch wenn das Marginalien sind, die Novizen im Club englischer Düfte kaum auffallen dürften.
Alles in allem scheint mir plausibel, dass die drei Düfte, die so eng verwandt sind, allesamt die von Lothar Ruff genannten Inhaltsstoffe als Schnittmenge enthielten (von ganz aktuellen, reformulierten Varianten spreche ich mal nicht), und zwar: Zitrone, Bergamotte, Neroli, Rosmarin, Thymian, darüber hinaus vielleicht Moschus, vielleicht Maiglöckchen, vielleicht Lavendel - und dann in ihrer jeweiligen Ausprägung noch andere Akzente (Blenheim: Limette, Wellington: Orange, Town & Country: ?).
Übrigens: Entfernte grüne Verwandte sind Acqua di Selva und Pino Silvestre. Sie enthalten ebenfalls die meisten der angegebenen Inhaltsstoffe.
Was hat uns das jetzt gebracht? Den meisten nichts, den Liebhaber/innen englischer Düfte ein bisschen Ahnenforschung im Bereich aussterbender englischer Duft-Aristokraten, die immer häufiger ihr Tafelsilber bereits zum Teil verscherbelt haben (Penhaligon's), auf dem Weg zum Auktionshaus sind (Floris, Truefitt & Hill, Woods of Windsor) oder sich in Nischen tummeln, die normale Menschen (leider) nur selten betreten (Geo F. Trumper, D.R. Harris, Taylor of Old Bond Street, Czech & Speake, um einen neueren Vertreter zu nennen) oder die bereits ohne männlichen Erben verstarben (The Crown Perfumery; dass die Leiche von einem Snob exhumiert und als "Clive Christian" zu überteuerten Preisen passabel wiedererweckt wurde, zählt ja nicht).
Allen, die Crown nun nachtrauern wollen, sollten ihre Taschentücher stecken lassen und entweder das Netz absuchen oder, das ist leichter, einen Versuch mit Anglia Perfumery (Initiative Lothar Ruff) machen. Dort gibt es zahlreiche alte Crown-Düfte (und manchmal auch erbleichte Duftschönheiten anderer Häuser) als Remake - von denen viele sehr ordentlich gelungen sind. Leider öfters mit anderen Namen, so dass man ein wenig mühsam recherchieren muss, welcher ursprüngliche Duft sich hinter den neuen Bezeichnungen verbirgt. Es lohnt sich!
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