Meggi
01.05.2017 - 09:13 Uhr
32
Top Rezension
8Duft 8Haltbarkeit 8Sillage 8Flakon

Siebzehn plus ein halbes Neuntel von achtzehn Kamelen

Die eine oder der andere mag folgende Geschichte kennen, gelegentlich auch als Rechen-Rätsel genutzt: Ein Araber hatte bestimmt, dass der älteste Sohn die Hälfte, der mittlere ein Drittel und der jüngste ein Neuntel erben solle. Bei seinem Ableben bestand das Vermögen leider just aus siebzehn Kamelen und das bescherte den Nachkommen - als Freunde unversehrter Tiere - ein Problem, wenngleich sie selbiges offenbar nicht mit dem Begriff ‚Primzahl‘ zu präzisieren vermochten. Da ritt ein alter, weiser Pilger des Wegs und wusste Rat. Er stellte sein eigenes, betagtes Kamel dazu und forderte die Söhne auf, sich nun jeweils ihren Anteil zu nehmen. Und siehe da: Der älteste nahm neun Tiere, der mittlere sechs und der jüngste zwei. Zusammen siebzehn. Und da natürlich keiner das dürre Kamel des Weisen gewählt hatte, blieb es übrig und der gute Mann ritt darauf fort.

Für alle Mathe-Muggel: Der alte Araber war im Bruchrechnen eine Null und hatte testamentarisch mit den genannten Zahlen statt über sein gesamtes Vermögen lediglich über siebzehn Achtzehntel bzw. gut 94 Prozent verfügt.

Mir fiel die Geschichte ein, weil mir persönlich zur Beschäftigung mit Une Fleur de Cassie etwas Entscheidendes fehlt - ich kenne den Geruch von Kassien nicht. Pah, kein Thema! Da nehme ich flugs einfach mir passend Scheinendes hinzu; und wie der Zufall will, kommen sogar Namens-Ähnlichkeiten ins Spiel. Wer eine derartige Form der Annäherung an den Duft erratisch findet, liegt völlig richtig. Genau so fühle ich mich dabei. Um die Verwirrung komplett zu machen, zeigt mir der Kandidat zudem, je nach Auftragsmenge, zwei recht unterschiedliche Gesichter.

Fangen wir vorne an (Variante „rauf damit“). Ich denke direkt nach dem Aufsprühen an irgendeinen Frühblüher-Gestank, Hyazinthe vielleicht. Außerdem meinetwegen Nelke und von mir aus mimosen-bepilzt. Vor allem freilich spielen wohl die Aldehyde „schwarze Johannisbeere“, und zwar deren Blattgrün bzw. Knospen. Bumm. Einer der obersten Garten-Stinker überhaupt. Hier nicht dermaßen beißend und fast reinigungsmittelhaft eingesetzt wie bei Pierre de Lune von Armani, aber schon nahe dran. Anders gesagt: Animalisch? Nö, plantalisch. Zuerst dachte ich, ich hätte mich vertan und es sei mit der offiziellen Ansage eventuell „Cassis“ gemeint, also eben die Schwarze Johannisbeere. Nein, der Hersteller äußert sich unmissverständlich.

Diesem Geruch ordnet sich zumindest während des Vormittags alles unter. Jasmin, Mimose, Aprikose, Veilchen – auf Wunsch lassen sie sich erahnen, mehr als eine leichte Abmilderung erreichen sie jedoch nicht. Gegen Mittag muss gar Moschus zusätzlich besänftigend eingreifen und endlich, endlich zeigen die Versuche einen gewissen Erfolg und das gleichsam von zwei Seiten. Zum einen verschiebt sich der Duft-Eindruck in Richtung cremig, zum anderen wird es im engeren Sinne floraler. Ich rieche konkret vorrangig die herbe …äh… „Duftigkeit“ von Jasmin, vermutlich nebst heimlichen Helfern aus der Labor-Ecke.

Selbst am Nachmittag, wenn ich den Duft längst als floral-cremig bezeichnen würde und insbesondere der Moschus eine wichtige Rolle eingenommen hat, ist nach wie vor eine ordentliche Portion Garten-Stink an Bord. Ein Schelm, wen das sogar ein ganz kleines bisschen an altes Blumenwasser erinnert. Als ein wenig frischer als solches darf das verbliebene Beißen gelten…

Nee, nee, probieren wir es lieber behutsamer (Variante „suutje“). Dann wird der Duft bereits nach einer halben Stunde relativ mild. Charakterlich üppig und wuchtig, ja, allerdings nicht überfordernd. Zudem liefert er rasch eine verblüffende Frische. Ernsthaft, sicher, aber nicht stinkig. Im Gegensatz zu diversen Weißblüher-Kollegen, die nach strenger Grundschullehrerin anno 1955 riechen, bietet der Malle nämlich eine zwar leise, gleichwohl gut spürbare Prise Süße auf. Beim Schnuppern denke ich – das gibt‘s doch nicht – tatsächlich an Zimt und werfe damit die dritte Cass-usw.-Variante in den Raum, diesmal ‚-ia‘. Na bitte, geht auch mit mehr Contenance.

Nach hinten raus zeigt der Duft keine echten Ermüdungserscheinungen. Deutlich ist der Sauber-Moschus; er wirkt hochwertig und ist weiterhin mit einer bitteren Spur „Plantalik“ versehen. Dazu eine leichte Zedern-Belüftung, kaum bemerkbar.

Fazit: Ein anspruchsvolles Parfüm. Traditionsbewusst und gleichzeitig ins Hier und Heute gehörig, denn bei aller Wucht herrschen Klarheit und Transparenz. Da sich die Präsenz durch entsprechende Dosierung in nach meinem Dafürhalten luxuriöser Spannbreite steuern lässt, haben wir es mit einem Damen-Universal-Duft zu tun. Bange muss davor niefrauden sein, trotzdem: Nix für kleine Mädchen.

Ich bedanke mich bei MisterE für die Probe.
19 Antworten
KovexKovex vor 7 Jahren
Jetzt, wo ich meine untere Antwort lese, stelle ich fest, dass ich meine Ankündigung nicht eingehalten habe. Nun ist er hier bei mir und stelle fest: der (Blumenduft) gefällt sogar mir ! ;) Und Dein Kommentar trifft ihn gut ohne heute abschreckend auf mich zu wirken ;)
MicscentMicscent vor 7 Jahren
Klingt so, als müsste ma bei Frédéric Malle öfter auf die Dosierung achten. Vielen Dank für den super Kommentar.
SmittySmitty vor 8 Jahren
1
Ein Pokal, obwohl ich Mathe hasste dazu so kompliziert auf deutsch serviert ;). Es sind aber meine geliebten Stinkis hier aufgezählt, so muss ich probieren...
Sweetsmell75Sweetsmell75 vor 9 Jahren
der war für mich ein opulenter Oberstinker :)
RivegaucheRivegauche vor 9 Jahren
Den trug ich Ostersonntag zum Essen mit der Familie...wegen Blüten, Frühling, gelb, Eier, Ostern eben. Hat Spaß gemacht, unisex für fortgeschrittene.
ErnstheiterErnstheiter vor 9 Jahren
Ich bin auch eine Null im Bruchrechnen, aber dafuer mag ich Garten-Stink unter der Voraussetzung, er ist gut "eingebettet". Aber Deiner Beschreibung nach ist er das ja.
GschpusiGschpusi vor 9 Jahren
Ich finde, das ist ein sehr anspruchsvoller Duft, der seine Zeit braucht.
JumiJumi vor 9 Jahren
Kamel hin oder her... Den Duft fand ich solide, wenn auch die Begeisterung ausblieb. Wie immer, sehr schön aufgedröselt von dir!
KovexKovex vor 9 Jahren
Na, das ist wohl mal ein Kandidat, den ich von meiner Merkliste streichen kann...
Can777Can777 vor 9 Jahren
Über diesen Malle kann ich überhaupt nichts sagen,...will ich auch nicht. Denke ich! Aber sehr aufschlussreich.
AzaharAzahar vor 9 Jahren
Hihi, und 'nen Extrasatz für mich. ;-) Robs Einschätzung macht mir aber doch ein wenig Angst...
PaloneraPalonera vor 9 Jahren
Schmunzel - allein schon für "plantalisch" verdienst Du eigentlich einen Extra-Pokal!
EtamherEtamher vor 9 Jahren
hatte ihn letztens auch "drauf" und die nase schrie: "kaufen !" - wurde jedoch vorerst nicht erhört...aber bis 95 werde ich nicht warten !!!
SeeroseSeerose vor 9 Jahren
Rob Gorden deutet auch sowas an....???
SeeroseSeerose vor 9 Jahren
Was in meine Notizen steht, lässt vermuten, dass ich entweder eine verdorbene Probe hatte mit "Gammelblutsillage" oder es war ein ganz anderer Geruch in dem Sprayer. Jedenfalls prinzipiell auf der Haut war es ähnlich wie bei Dir, aber etwas aus der Distanz war es nur scheußlich.
MisterEMisterE vor 9 Jahren
In gewohnter Art differenziert dargestellt;) Und gleich noch ein Exkurs in die Mathematik für Einsteiger. Den Duft finde ich klasse und würde den durchaus unisex sehen.
RobGordonRobGordon vor 9 Jahren
Ein wahrer Komplimente-Stopper. Ein Damenduft ab jugendlichen 95 Lenzen ideal fürs eigene Begräbnis, fernab von unisex. Ein Konzeptduft, bei dem man am besten die Sprühvorrichtung devastiert und den Duft in der Frosttiefe von größer 1m unter der Erde einpflegt. Malle hin oder her. :)
TaurusTaurus vor 9 Jahren
Ich glaube der wäre mit etwas zu anstrengend blumig ...
YataganYatagan vor 9 Jahren
Gehört nicht zu meinen Lieblings-Malles, aber natürlich gut und hochwertig!