08.06.2010 - 12:40 Uhr
Profumo
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Eine Symphonie in Moll
Cassie - Cassia - Acacia Farnesiana - Süße Akazie. Oder auch: zu den Hülsenfrüchtlern, bzw. deren Unterfamilie, den Mimosengewächsen zählende Akazienart. Also: Une Fleur de Cassie – Blüte der süßen Akazie. Deren Duft wird häufig als schwer zähmbar beschrieben, ähnlich dem Duft der Tuberose, da extrem dominant, mit animalischen bzw. indolischen Facetten.
Der klassische Cassie-Duft ist 'Farnesiana' von Caron – 1947 lanciert und von Michel Morsetti nach Notizen des wenige Jahre zuvor verstorbenen Ernest Daltroff komponiert. Dominique Ropion wird es mit Sicherheit zur Hand gehabt haben als er Une Fleur de Cassie entwickelte, wie er vermutlich ebenso LArtisans ‚Mimosa pour moi’ und de Nicolaïs ‚Mimosaique’ in der Nase gehabt haben dürfte. Auch der von ihm für Givenchy komponierte Tuberosen-Duft ‚Amarige’, vor allem dessen Sonderedition ‚Harvest 2007 Amarige Mimosa’ beinhaltet ‚mimosa absolute’ und stellt es in einen pudrig-floralen, holzigen Kontext. Ropion hatte also schon einige Erfahrung mit den schwer zu handhabenden Tuberosen und Akazienblüten gemacht als er für die Editions de Parfums von Frederic Malle ‚Carnal Flower’ und ‚Une Fleur de Cassie’ schuf – zwei florale Düfte der Extraklasse! Beide scheren sich keinen Deut um momentane Moden, wie das seit Jahren herrschende Diktum von Leichtigkeit und Transparenz, und vor allem immer wieder: Frische. Nein, sie sind nicht frisch und ebenso wenig transparent, und leicht schon gar nicht. Im Gegenteil: sie sind unglaublich voluminös, fast überquellend opulent, geradezu wie Sumo-Ringer in einer Menge von Fliegengewichten. Und ihre direkten Vorfahren heißen im Falle von Carnal Flower: Robert Piguets ‚Fracas’, und im Falle von 'Une Fleur de Cassie': das schon erwähnte 'Farnesiana' von Caron, aber auch in erweitertem Verwandschaftsverhältnis: Guerlains ‚Après l´ondée’. Düfte aus einer Zeit als nicht nur Frauen (auch Knize Ten stammt aus jener Zeit!) sich noch wagten groß-dimensionierte Parfums wie extravagante Pelzmäntel zu tragen.
Wollte man ihr Temperament beschreiben, so wären 'Carnal Flower', wie 'Fracas', Sanguiniker par excellence und Mae West fiele mir als ideale Trägerin ein! 'Une Fleur de Cassie', ebenso wie 'Après l´ondée' hingegen sind Melancholiker durch und durch - eher Greta Garbo und Rudolph Valentino, als Mae West...
Von Jacques Guerlain wird berichtet, er habe mit 'Après l´ondée' das olfaktorische Abbild eines blühendes Gartens nach einem Regenschauer zu kreieren versucht. Mit Erfolg, wie ich meine. 'Une Fleur de Cassie’ erweckt in mir wiederum ein ganz ähnliches Bild: das Bild eines Parks voller blühender Akazien und Rosensträucher nach einem heftigen Gewitter – die Sonne arbeitet sich schon wieder zwischen die Wolken hervor und der feuchte Boden beginnt zu dampfen. Die Blumen im Garten von ‚Après l´ondée’, vor allem die Heliotropen (oder auch Sonnenwenden genannt), sind weit lieblicher, die Blüten zarter. Im großen Park von ‚Une Fleur de Cassie’ dagegen sind die Rosen kräftig, die Akazien riesig und entlang der staubigen, nunmehr feuchten Wege finden sich immer wieder vehement und herausfordernd riechende Jasminsträucher. Alles duftet in einem einzigen, gewaltigen, peinlichst genau aufeinander abgestimmten Crescendo!
Tja, und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum 'Une Fleur de Cassie' nichts für jedermann bzw. jedefrau ist: es ist groß, riesengroß! Für viele, und vor allem jene die sich bisher nur wenig mit Parfums beschäftigt haben, vielleicht ein paar Hausnummern zu groß. Frederic Malle nennt es: ‚Riche et complexe, un parfum de connaisseur.’ Das ist natürlich ein wenig elitär, denn ich denke, dass auch jemand der nicht so bewandert ist mit den großen Kreationen der ‚goldenen Ära’, diesem grandiosen Duft durchaus etwas abgewinnen könnte. Vorausgesetzt er, oder sie, mag Düfte im Allgemeinen, reichhaltige und auch etwas animalische im Besonderen. 'Une Fleur de Cassie' ist aber absolut nichts für jemanden der einfach nur gut riechen möchte, will sagen: frisch. Denn dieser Duft ist wie eine extravagante Robe, wie Haut Couture, wie ein aus edelstem Material perfekt geschneiderter Frack - kein Schlabber-T-Shirt für die Couch. Man braucht Haltung, Körperspannung für diesen Duft und sollte ihn mit Stolz und Selbstbewusstsein tragen. Vielen mag das zu anstrengend sein – man lese die Erfahrungsberichte in den einschlägigen Internet-Foren!
So scheiden sich die Geister an diesem komplexen und schwierigen Duft, und er gilt wie manch anderer als Love/Hate-Fragrance: als einer der entweder große Bewunderung erntet, oder absolute Ablehnung. Gleichgültigkeit scheint er, wie jeder starke Charakter, nicht - oder nur selten - hervorzurufen.
Ein Wort noch zur Verwandtschaft mit ‚Après l´ondée’: dieser wunderbare, viel zu wenig beachtete Duft von Guerlain, der mich immer wieder an unbeschriebenes, frisches Papier erinnert, ist mir persönlich oft etwas zu süß. 'Une Fleur de Cassie' hingegen ist überhaupt nicht süß, ist durch und durch trocken, und entfaltet dabei eine recht ähnliche Papiernote. Etwas nicht gesüßte Vanille und weiches, poliertes Sandelholz im Fond geben dieser Note allerdings größere Wärme und Tiefe. Eine Spur Moschus harmoniert schließlich perfekt mit den indolischen Facetten des Jasmins und gibt dem Duft den nötigen dreckig-animalischen Twist, ohne den ein wirklich großes Parfum nicht auskommt.
Alles in allem ist 'Une Fleur de Cassie' ein trocken-floraler Duft mit satten, eher gedeckt-samtenen als kreischend bunten Blütentönen, von geradezu symphonischem Ausmaß - einer Symphonie in Moll.
Mit 12 % Parfumöl-Anteil fällt dieser Duft in die Kategorie des Eau de Parfums und ist selbst für ein solches extrem langlebig. Im Gegensatz zu Carnal Flower aber ist seine Abstrahlung etwas dezenter und nicht gar so herausfordernd. Man sollte dennoch vorsichtig dosieren – dieser Duft ist, wie gesagt, ein Schwergewicht!
Der klassische Cassie-Duft ist 'Farnesiana' von Caron – 1947 lanciert und von Michel Morsetti nach Notizen des wenige Jahre zuvor verstorbenen Ernest Daltroff komponiert. Dominique Ropion wird es mit Sicherheit zur Hand gehabt haben als er Une Fleur de Cassie entwickelte, wie er vermutlich ebenso LArtisans ‚Mimosa pour moi’ und de Nicolaïs ‚Mimosaique’ in der Nase gehabt haben dürfte. Auch der von ihm für Givenchy komponierte Tuberosen-Duft ‚Amarige’, vor allem dessen Sonderedition ‚Harvest 2007 Amarige Mimosa’ beinhaltet ‚mimosa absolute’ und stellt es in einen pudrig-floralen, holzigen Kontext. Ropion hatte also schon einige Erfahrung mit den schwer zu handhabenden Tuberosen und Akazienblüten gemacht als er für die Editions de Parfums von Frederic Malle ‚Carnal Flower’ und ‚Une Fleur de Cassie’ schuf – zwei florale Düfte der Extraklasse! Beide scheren sich keinen Deut um momentane Moden, wie das seit Jahren herrschende Diktum von Leichtigkeit und Transparenz, und vor allem immer wieder: Frische. Nein, sie sind nicht frisch und ebenso wenig transparent, und leicht schon gar nicht. Im Gegenteil: sie sind unglaublich voluminös, fast überquellend opulent, geradezu wie Sumo-Ringer in einer Menge von Fliegengewichten. Und ihre direkten Vorfahren heißen im Falle von Carnal Flower: Robert Piguets ‚Fracas’, und im Falle von 'Une Fleur de Cassie': das schon erwähnte 'Farnesiana' von Caron, aber auch in erweitertem Verwandschaftsverhältnis: Guerlains ‚Après l´ondée’. Düfte aus einer Zeit als nicht nur Frauen (auch Knize Ten stammt aus jener Zeit!) sich noch wagten groß-dimensionierte Parfums wie extravagante Pelzmäntel zu tragen.
Wollte man ihr Temperament beschreiben, so wären 'Carnal Flower', wie 'Fracas', Sanguiniker par excellence und Mae West fiele mir als ideale Trägerin ein! 'Une Fleur de Cassie', ebenso wie 'Après l´ondée' hingegen sind Melancholiker durch und durch - eher Greta Garbo und Rudolph Valentino, als Mae West...
Von Jacques Guerlain wird berichtet, er habe mit 'Après l´ondée' das olfaktorische Abbild eines blühendes Gartens nach einem Regenschauer zu kreieren versucht. Mit Erfolg, wie ich meine. 'Une Fleur de Cassie’ erweckt in mir wiederum ein ganz ähnliches Bild: das Bild eines Parks voller blühender Akazien und Rosensträucher nach einem heftigen Gewitter – die Sonne arbeitet sich schon wieder zwischen die Wolken hervor und der feuchte Boden beginnt zu dampfen. Die Blumen im Garten von ‚Après l´ondée’, vor allem die Heliotropen (oder auch Sonnenwenden genannt), sind weit lieblicher, die Blüten zarter. Im großen Park von ‚Une Fleur de Cassie’ dagegen sind die Rosen kräftig, die Akazien riesig und entlang der staubigen, nunmehr feuchten Wege finden sich immer wieder vehement und herausfordernd riechende Jasminsträucher. Alles duftet in einem einzigen, gewaltigen, peinlichst genau aufeinander abgestimmten Crescendo!
Tja, und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum 'Une Fleur de Cassie' nichts für jedermann bzw. jedefrau ist: es ist groß, riesengroß! Für viele, und vor allem jene die sich bisher nur wenig mit Parfums beschäftigt haben, vielleicht ein paar Hausnummern zu groß. Frederic Malle nennt es: ‚Riche et complexe, un parfum de connaisseur.’ Das ist natürlich ein wenig elitär, denn ich denke, dass auch jemand der nicht so bewandert ist mit den großen Kreationen der ‚goldenen Ära’, diesem grandiosen Duft durchaus etwas abgewinnen könnte. Vorausgesetzt er, oder sie, mag Düfte im Allgemeinen, reichhaltige und auch etwas animalische im Besonderen. 'Une Fleur de Cassie' ist aber absolut nichts für jemanden der einfach nur gut riechen möchte, will sagen: frisch. Denn dieser Duft ist wie eine extravagante Robe, wie Haut Couture, wie ein aus edelstem Material perfekt geschneiderter Frack - kein Schlabber-T-Shirt für die Couch. Man braucht Haltung, Körperspannung für diesen Duft und sollte ihn mit Stolz und Selbstbewusstsein tragen. Vielen mag das zu anstrengend sein – man lese die Erfahrungsberichte in den einschlägigen Internet-Foren!
So scheiden sich die Geister an diesem komplexen und schwierigen Duft, und er gilt wie manch anderer als Love/Hate-Fragrance: als einer der entweder große Bewunderung erntet, oder absolute Ablehnung. Gleichgültigkeit scheint er, wie jeder starke Charakter, nicht - oder nur selten - hervorzurufen.
Ein Wort noch zur Verwandtschaft mit ‚Après l´ondée’: dieser wunderbare, viel zu wenig beachtete Duft von Guerlain, der mich immer wieder an unbeschriebenes, frisches Papier erinnert, ist mir persönlich oft etwas zu süß. 'Une Fleur de Cassie' hingegen ist überhaupt nicht süß, ist durch und durch trocken, und entfaltet dabei eine recht ähnliche Papiernote. Etwas nicht gesüßte Vanille und weiches, poliertes Sandelholz im Fond geben dieser Note allerdings größere Wärme und Tiefe. Eine Spur Moschus harmoniert schließlich perfekt mit den indolischen Facetten des Jasmins und gibt dem Duft den nötigen dreckig-animalischen Twist, ohne den ein wirklich großes Parfum nicht auskommt.
Alles in allem ist 'Une Fleur de Cassie' ein trocken-floraler Duft mit satten, eher gedeckt-samtenen als kreischend bunten Blütentönen, von geradezu symphonischem Ausmaß - einer Symphonie in Moll.
Mit 12 % Parfumöl-Anteil fällt dieser Duft in die Kategorie des Eau de Parfums und ist selbst für ein solches extrem langlebig. Im Gegensatz zu Carnal Flower aber ist seine Abstrahlung etwas dezenter und nicht gar so herausfordernd. Man sollte dennoch vorsichtig dosieren – dieser Duft ist, wie gesagt, ein Schwergewicht!
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