12.06.2016 - 13:30 Uhr
Meggi
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32
Deep and crisp and even
Überraschend „fresh and crisp“ sei der Duft geraten, heißt es in der englischen Fassung der Web-Präsenz von Frederic Malle. Bei „crisp“ denke ich an die ersten beiden Zeilen des alten englischen Weihnachtslieds vom guten König Wenzel:
Good King Wenceslas looked out on the Feast of Stephen,
When the snow lay round about, deep and crisp and even.
Das Stück hatten wir mit dem Chor Ende 1990 vor unserer Russland-Reise einstudiert. Der Chorleiter hatte auf die Artikulation des Wortes „crisp“ großen Wert gelegt, man sollte den Schnee förmlich hören können. Diese Details sind fraglos immer toll - für uns waren sie gesanglich freilich geradezu existentiell. Wer russische Chöre kennt, weiß, dass dort interpretatorische Feinheiten zugunsten eines gewaltigen Klanges gelegentlich – ähem – untergewichtet werden.
Tatsächlich traten wir im Rachmaninow-Saal des Moskauer Konservatoriums im Anschluss an ein echt russisches Ensemble auf. Der erste Bass hatte die Optik eines schlaksig-gutmütigen Oberstudienrats vielleicht für Latein und Geschichte. Die Stimme ähnelte eher dem Signalhorn eines Supertankers. Der Solo-Tenor, asiatischer Typ, schmächtig, etwas längeres Haar, dünner Schnurrbart, sah aus, als sein ein Mitglied der Goldenen Horde vom Pferd gezerrt und in einen Anzug mit Fliege gesteckt worden. Sein Organ hätte jede Kreissäge (und jedes Kriegsgeheul) übertönt.
Mit solcher Vokal-Athletik können halbe Kinder ohnehin niemals mithalten, also lieber direkt einen Gegenentwurf bieten: Klare Artikulation, Noblesse eines gepflegten Piano, ab und zu ein geschmackvoll dosiertes Forte. Und – o Wunder – das kam an.
Zurück zu „crisp“. Den Duft derart zu beschreiben, ergibt vornean durchaus Sinn: Wenn sofort nach dem Aufsprühen Vetiver heranflutet, fast gummihaft-metallisch-bitter, von der Bergamotte gestützt, kommt mir spontan das Vetiver-Cologne von Goutal in den Sinn. Das hat einen ähnlichen Dreh, der – mit Erfolg – an Gischt erinnern soll, derlei wäre mithin hier ebenfalls eine treffende Assoziation.
Wir bleiben beim Lied, denn jetzt darf „deep“ ran. Bald fächert sich der Hauptdarsteller nämlich auf und zeigt neben der metallischen Note zusätzlich nussige und erdige Aromen. Die angeblich außerordentlich hohe Konzentration von Vetiver hat zwar nicht dazu geführt, dass es laut wird, doch dürfte sie verantwortlich sein für den symphonisch-voluminösen Auftritt des Süßgrases. Der wahre Vorzug von watt-mäßig kräftigen Boxen besteht (meines Wissens) schließlich auch nicht primär darin, dass ich sie lauter aufdrehen kann, sondern dass sich der Klang im Raum öffnet.
Die Orange ist demgegenüber kaum spürbar, sie ist eine schwebende, ferne Ahnung. Dafür verdient sie wirklich den Zusatz „Bitter-“. Selbiges ist übrigens ein zentraler Punkt. Auf der Haut ist und bleibt der Malle recht krautig und bitter. Im Laufe des Vormittags unterstreicht eine Spur herber Seifigkeit womöglich eine maskuline Tendenz.
Ungefähr ab der Mittagszeit rückt ein Beitrag von Patchouli ins Vorstellbare. Zunächst winke ich ab und weise mich darauf hin, dass das wohl weiterhin Vetiver ist, das sich inzwischen nur noch wenig verändert - es bleibt dunkel-würzig, auf der Haut kratzig bis ins Bittere. Aber abends finde ich Patchouli verblüffend präsent. Am letzten Ende ließe sich der Duft sehr boshaft als Patchouli Ordinaire bezeichnen, das wäre jedoch angesichts der mehr als ordinairen Haltbarkeit des Hauptteils unangemessen gemein.
Fazit: Ich finde das Malle-Vétiver gelungen, bin indes nicht hinreichend angemacht, um die eine kostspielige Bembel-Anschaffung in Erwägung zu ziehen. Mir fallen aus dem Stand Vettiveru von CdG, das Lubin-Vetiver und natürlich die Guerlains als – jeder auf seine Weise – schöne Alternativen zum (teils deutlich) kleineren Preis ein; siehe außerdem mein „PS“. Mir genügt vom heutigen Kandidaten meine Abfüllung. Vielen Dank an Woodpecker für das Sharing!
PS: Ich breche ja stets bereitwillig eine Lanze für das Goutal-Vetiver-Cologne, das offenbar für manche im Schatten des eingestellten „alten“ Goutal-Vetivers steht. Da ich den Altvater nicht kenne, darf ich das neue gänzlich unbelastet einfach mögen. Deshalb der folgende Hinweis: Den speziellen, metallisch-salzigen Vetiver-Dreh des Auftakts von Vetiver Extraordinaire mag ich besonders gern – finde ihn allerdings im Goutal einen Zacken besser umgesetzt. Wem der vorliegende Geselle also nach dem Start eh komplett zu finster ist, probiere den Goutal.
Good King Wenceslas looked out on the Feast of Stephen,
When the snow lay round about, deep and crisp and even.
Das Stück hatten wir mit dem Chor Ende 1990 vor unserer Russland-Reise einstudiert. Der Chorleiter hatte auf die Artikulation des Wortes „crisp“ großen Wert gelegt, man sollte den Schnee förmlich hören können. Diese Details sind fraglos immer toll - für uns waren sie gesanglich freilich geradezu existentiell. Wer russische Chöre kennt, weiß, dass dort interpretatorische Feinheiten zugunsten eines gewaltigen Klanges gelegentlich – ähem – untergewichtet werden.
Tatsächlich traten wir im Rachmaninow-Saal des Moskauer Konservatoriums im Anschluss an ein echt russisches Ensemble auf. Der erste Bass hatte die Optik eines schlaksig-gutmütigen Oberstudienrats vielleicht für Latein und Geschichte. Die Stimme ähnelte eher dem Signalhorn eines Supertankers. Der Solo-Tenor, asiatischer Typ, schmächtig, etwas längeres Haar, dünner Schnurrbart, sah aus, als sein ein Mitglied der Goldenen Horde vom Pferd gezerrt und in einen Anzug mit Fliege gesteckt worden. Sein Organ hätte jede Kreissäge (und jedes Kriegsgeheul) übertönt.
Mit solcher Vokal-Athletik können halbe Kinder ohnehin niemals mithalten, also lieber direkt einen Gegenentwurf bieten: Klare Artikulation, Noblesse eines gepflegten Piano, ab und zu ein geschmackvoll dosiertes Forte. Und – o Wunder – das kam an.
Zurück zu „crisp“. Den Duft derart zu beschreiben, ergibt vornean durchaus Sinn: Wenn sofort nach dem Aufsprühen Vetiver heranflutet, fast gummihaft-metallisch-bitter, von der Bergamotte gestützt, kommt mir spontan das Vetiver-Cologne von Goutal in den Sinn. Das hat einen ähnlichen Dreh, der – mit Erfolg – an Gischt erinnern soll, derlei wäre mithin hier ebenfalls eine treffende Assoziation.
Wir bleiben beim Lied, denn jetzt darf „deep“ ran. Bald fächert sich der Hauptdarsteller nämlich auf und zeigt neben der metallischen Note zusätzlich nussige und erdige Aromen. Die angeblich außerordentlich hohe Konzentration von Vetiver hat zwar nicht dazu geführt, dass es laut wird, doch dürfte sie verantwortlich sein für den symphonisch-voluminösen Auftritt des Süßgrases. Der wahre Vorzug von watt-mäßig kräftigen Boxen besteht (meines Wissens) schließlich auch nicht primär darin, dass ich sie lauter aufdrehen kann, sondern dass sich der Klang im Raum öffnet.
Die Orange ist demgegenüber kaum spürbar, sie ist eine schwebende, ferne Ahnung. Dafür verdient sie wirklich den Zusatz „Bitter-“. Selbiges ist übrigens ein zentraler Punkt. Auf der Haut ist und bleibt der Malle recht krautig und bitter. Im Laufe des Vormittags unterstreicht eine Spur herber Seifigkeit womöglich eine maskuline Tendenz.
Ungefähr ab der Mittagszeit rückt ein Beitrag von Patchouli ins Vorstellbare. Zunächst winke ich ab und weise mich darauf hin, dass das wohl weiterhin Vetiver ist, das sich inzwischen nur noch wenig verändert - es bleibt dunkel-würzig, auf der Haut kratzig bis ins Bittere. Aber abends finde ich Patchouli verblüffend präsent. Am letzten Ende ließe sich der Duft sehr boshaft als Patchouli Ordinaire bezeichnen, das wäre jedoch angesichts der mehr als ordinairen Haltbarkeit des Hauptteils unangemessen gemein.
Fazit: Ich finde das Malle-Vétiver gelungen, bin indes nicht hinreichend angemacht, um die eine kostspielige Bembel-Anschaffung in Erwägung zu ziehen. Mir fallen aus dem Stand Vettiveru von CdG, das Lubin-Vetiver und natürlich die Guerlains als – jeder auf seine Weise – schöne Alternativen zum (teils deutlich) kleineren Preis ein; siehe außerdem mein „PS“. Mir genügt vom heutigen Kandidaten meine Abfüllung. Vielen Dank an Woodpecker für das Sharing!
PS: Ich breche ja stets bereitwillig eine Lanze für das Goutal-Vetiver-Cologne, das offenbar für manche im Schatten des eingestellten „alten“ Goutal-Vetivers steht. Da ich den Altvater nicht kenne, darf ich das neue gänzlich unbelastet einfach mögen. Deshalb der folgende Hinweis: Den speziellen, metallisch-salzigen Vetiver-Dreh des Auftakts von Vetiver Extraordinaire mag ich besonders gern – finde ihn allerdings im Goutal einen Zacken besser umgesetzt. Wem der vorliegende Geselle also nach dem Start eh komplett zu finster ist, probiere den Goutal.
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