16.04.2017 - 13:51 Uhr
Meggi
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Geschüttelt, nicht gerührt - der Paranuss-Effekt
Den im Titel zitierten, die Bestellung eines (gemeinhin) Wodka-Martini präzisierenden Satz kennt natürlich jeder. Zum tieferen Sinn kommen wir später, erstmal arbeiten wir uns am Naheliegenden ab - es gibt sofort Wermut. Das verwundert freilich nicht, viel eher verblüfft da schon der Lavendel - bitter-ölig, herb-ätherisch, den Eukalyptus streifend und völlig un-nett. Der ist ne echte Ansage. Dazu eine hintergründige Zitrusnote, für die „Mandarine“ allein zu freundlich klingt, „grün“ muss definitiv sein. Das ist trotzdem insgesamt alles zunächst mehr rau als grün und alsbald macht sich folgerichtig deutlich raues, derbes Leder bemerkbar, das eifrig mit einer luftig-lavendelig-angespriteten Wermut-Schnaps-Note kontrastiert. Das ist köstlich-apart, ohne sich (um im Bild zu bleiben) „likörhaft“ anzubiedern.
Nach einer halben Stunde schmunzele ich über eine Zuckererbsenschoten-Note direkt auf der Haut. Das Krautig-Grüne daneben touchiert inzwischen die Barbershop-Reinlichkeit. Eine gewisse stumpf-adstringierende Anmutung, die gut zur Angabe ‚Rhabarber‘ passt, fügt sich fein hinein. Ein Rhabarbershop? Dass der Hersteller den Begriff Fougère erwähnt, ist schlüssig. Eine schaumig-grün-krautige Sauberei ist nunmehr heimliches Rückgrat oder stille Grundlage des Duftes.
Stilbildender Vortänzer bleibt gleichwohl das Kraut. Charakterlich legt es im Laufe des Vormittags sogar nochmal zu. Und wer zu Beginn womöglich den bienbeißigen Lavendel irritierend fand, bekommt sukzessive eine zweite Erklärung geliefert. Die ernsthafte Lavendelnote ergänzt nämlich nicht bloß, wie gesagt, trefflich den Wermut, sondern stellt auch per klassischem Anstrich klar, dass wir es hier mit einem gestandenen Gentleman zu tun haben. Der verspritete Dreh wird zu dessen Augenzwinkern. Gentleman – das ist wichtig. Denn Absinth hin oder her, Herr Boclet zeigt uns keinesfalls einen im Suff abgestürzten Literaten.
Überhaupt ist die spritige Note dezent und auf die unmittelbare Umgebung der Haut beschränkt. Müsste der Alkohol nicht aufsteigen? Stattdessen haben wir obenauf die übrigen Aromen. Hm. Um diesem Mysterium auf den Grund zu gehen, bemühen wir die cineastische Physik von Metin Tolan. Der Professor für Experimentelle Physik an der TU Dortmund war unter anderem der Frage nachgegangen, warum James Bond seinen Martini (o. Ä.) stets „geschüttelt, nicht gerührt“ ordert.
Die Theorie zweier kanadischer Kollegen, denen zufolge das Schütteln für zusätzliche, gesundheitsfördernde Anti-Oxidantien zum Schutz vor freien Radikalen sorgen solle (www.abc.net.au/science/articles/2000/04/14/118518.htm), schien ihm unbefriedigend. Der Agent als Gesundheits-Fanatiker? Dann wäre er abstinent. Und weitaus hilfreicher wäre diesbezüglich ohnehin zweifellos eine Umschulung zum Kataster-Beamten - oder der umweglose Eintritt in den offiziellen Ruhestand.
Tolan schlug eine Lösung vor (youtube.com/watch?v=talpnP46I30 - ab 18:10), die sich am sogenannten Paranuss-Effekt orientiert. Der Begriff - siehe auch Wikipedia - beschreibt das Phänomen, dass in einer Packung Müsli die großen Brocken immer oben liegen. Diese vordergründig erstaunliche Tatsache ist dadurch bedingt, dass beim Schütteln von derlei Mischungen, etwa während des Transports, lediglich solche Lücken im Gekrümel entstehen, in denen zwar kleinere Stücke weiter nach unten rutschen können, allerdings nie genug Platz für die größeren ist. Wird nur hinreichend lange geschüttelt, wandern sogar die schweren Nüsse an die Oberfläche.
Übertragen auf 007 bedeutet das: In seinem geschüttelten Martini befinden sich die großen, Geschmacksstoff-Moleküle alle oben, die kleineren, insbesondere Ethanol und Wasser, sind unten.
Und warum legt Bond auf besagte Verteilung wert? Der Wissenschaftler weiß die Antwort: Keiner hat doch je den Mann sein Getränk zu Ende trinken sehen! Er weiß schlichtweg von vorneherein, dass er das Glas eh nicht wird leeren können, weil gleich irgendwas passiert. Er versucht also, mit den ein, zwei Schlückchen, zu denen er überhaupt Gelegenheit hat, möglichst viel Aroma zu kriegen.
Das wäre geklärt. Zurück zum Duft: Seine Intensität nimmt ab dem frühen Nachmittag zwar bereits spürbar ab, aber seiner grünen Linie hält er durchweg die Treue. Auf einmal erahne ich Vetiver, das sich allmählich aus den Grün-Tönen heran-substituiert hat. Ganz langsam mildert sich das Krautige vermittels eines cremigen Anflugs etwas ab, ehe der Duft abends, im Charakter unverändert, in einem sich entfernenden Hauch vergeht – 007 reitet wieder.
Ich bedanke mich bei Angelliese für die Probe.
Nach einer halben Stunde schmunzele ich über eine Zuckererbsenschoten-Note direkt auf der Haut. Das Krautig-Grüne daneben touchiert inzwischen die Barbershop-Reinlichkeit. Eine gewisse stumpf-adstringierende Anmutung, die gut zur Angabe ‚Rhabarber‘ passt, fügt sich fein hinein. Ein Rhabarbershop? Dass der Hersteller den Begriff Fougère erwähnt, ist schlüssig. Eine schaumig-grün-krautige Sauberei ist nunmehr heimliches Rückgrat oder stille Grundlage des Duftes.
Stilbildender Vortänzer bleibt gleichwohl das Kraut. Charakterlich legt es im Laufe des Vormittags sogar nochmal zu. Und wer zu Beginn womöglich den bienbeißigen Lavendel irritierend fand, bekommt sukzessive eine zweite Erklärung geliefert. Die ernsthafte Lavendelnote ergänzt nämlich nicht bloß, wie gesagt, trefflich den Wermut, sondern stellt auch per klassischem Anstrich klar, dass wir es hier mit einem gestandenen Gentleman zu tun haben. Der verspritete Dreh wird zu dessen Augenzwinkern. Gentleman – das ist wichtig. Denn Absinth hin oder her, Herr Boclet zeigt uns keinesfalls einen im Suff abgestürzten Literaten.
Überhaupt ist die spritige Note dezent und auf die unmittelbare Umgebung der Haut beschränkt. Müsste der Alkohol nicht aufsteigen? Stattdessen haben wir obenauf die übrigen Aromen. Hm. Um diesem Mysterium auf den Grund zu gehen, bemühen wir die cineastische Physik von Metin Tolan. Der Professor für Experimentelle Physik an der TU Dortmund war unter anderem der Frage nachgegangen, warum James Bond seinen Martini (o. Ä.) stets „geschüttelt, nicht gerührt“ ordert.
Die Theorie zweier kanadischer Kollegen, denen zufolge das Schütteln für zusätzliche, gesundheitsfördernde Anti-Oxidantien zum Schutz vor freien Radikalen sorgen solle (www.abc.net.au/science/articles/2000/04/14/118518.htm), schien ihm unbefriedigend. Der Agent als Gesundheits-Fanatiker? Dann wäre er abstinent. Und weitaus hilfreicher wäre diesbezüglich ohnehin zweifellos eine Umschulung zum Kataster-Beamten - oder der umweglose Eintritt in den offiziellen Ruhestand.
Tolan schlug eine Lösung vor (youtube.com/watch?v=talpnP46I30 - ab 18:10), die sich am sogenannten Paranuss-Effekt orientiert. Der Begriff - siehe auch Wikipedia - beschreibt das Phänomen, dass in einer Packung Müsli die großen Brocken immer oben liegen. Diese vordergründig erstaunliche Tatsache ist dadurch bedingt, dass beim Schütteln von derlei Mischungen, etwa während des Transports, lediglich solche Lücken im Gekrümel entstehen, in denen zwar kleinere Stücke weiter nach unten rutschen können, allerdings nie genug Platz für die größeren ist. Wird nur hinreichend lange geschüttelt, wandern sogar die schweren Nüsse an die Oberfläche.
Übertragen auf 007 bedeutet das: In seinem geschüttelten Martini befinden sich die großen, Geschmacksstoff-Moleküle alle oben, die kleineren, insbesondere Ethanol und Wasser, sind unten.
Und warum legt Bond auf besagte Verteilung wert? Der Wissenschaftler weiß die Antwort: Keiner hat doch je den Mann sein Getränk zu Ende trinken sehen! Er weiß schlichtweg von vorneherein, dass er das Glas eh nicht wird leeren können, weil gleich irgendwas passiert. Er versucht also, mit den ein, zwei Schlückchen, zu denen er überhaupt Gelegenheit hat, möglichst viel Aroma zu kriegen.
Das wäre geklärt. Zurück zum Duft: Seine Intensität nimmt ab dem frühen Nachmittag zwar bereits spürbar ab, aber seiner grünen Linie hält er durchweg die Treue. Auf einmal erahne ich Vetiver, das sich allmählich aus den Grün-Tönen heran-substituiert hat. Ganz langsam mildert sich das Krautige vermittels eines cremigen Anflugs etwas ab, ehe der Duft abends, im Charakter unverändert, in einem sich entfernenden Hauch vergeht – 007 reitet wieder.
Ich bedanke mich bei Angelliese für die Probe.
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