12.04.2020 - 15:55 Uhr
DN1982
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DN1982
Top Rezension
23
Tonis Frisierstube
Es ist schon lange her als Mutti meinte, nicht mehr selbst die Schere an meinen Kopf anlegen zu wollen und mich das erste Mal in Tonis Frisierstube schleppte. Die Ladentür öffnete nur schwer und es ertönte das Klingeln, dass man von vielen Ladentüren kannte. Auf 13 Uhr stand der Tresen, hinter dem der Meister im typischen Kittel gerade einem Kunden das Geld abnahm. Auf 9 Uhr die Damen, auf 3 Uhr die Herren. Die Scheren schnippelten, die Föhns dröhnten und die Luft war geschwängert mit Fluorchlorkohlenwasserstoffen, denen eine klebrige Substanz namens Haarspray beigemischt war.
Doch da lag noch etwas anderes in der Luft. Etwas, das weitaus prägnanter war als der Haarspraydunst. Etwas, was man heute in keinen Friseursalon im ganzen Land mehr riecht: Rasierwasser!
Ja, damals fraß der Bauer noch nicht, was er nicht kannte, und ein elektrischer Rasierer wurde von den Älteren unter den Alten noch mit Gejohle und unter Zuhilfenahme von Fackeln, Pfählen, Mistgabeln und Knoblauch aus dem Kuhdorf gejagt. Ja, die alten Männer gönnten sich den Luxus, alle paar Tage, wenn wieder ein paar Flaschen des guten Selbstgebrannten zu Geld gemacht waren, einen kleinen Teil davon zu Toni zu tragen und sich mit dem frisch abgezogenen Stahl die Stoppeln vom sonnengegerbten, faltigen Gesichtsleder schaben zu lassen. War es doch ne tolle Sache, nach getaner Entstoppelung einen Schwall feinstes Duftwasser auf Wangen und Hals getatscht zu bekommen - sparte dank des starken Alkoholdunstes nen Kurzen, vertrieb den sich in der Nase festgesetzten Duft des Misthaufens auf eigenem Hof und den des Plumpsklos dahinter und sparte ebenso eine Dusche, die wegen ihres Nichtvorhandenseins nur aus ein paar Litern Wasser in der Waschschüssel bestand.
Damals, anno 1980, wusste ich instinktiv, dass so die 1960er rochen, obwohl es mich in den 60ern noch lange nicht gab. Nun, das Kaff war schon immer mit Allem um 20 Jahre hinter den Mond, so war das eine ganz simple Rechnung. Nicht mehr und nicht weniger.
Das aus aktueller Produktion stammende Red for Men haut dir gleich beim ersten Atemzug den Old Schooler Barbershop auf die 12!
Auch wenn 1991, als dieser Duft erschienen ist, die typischen Barbershop-Düfte noch weit verbreitet waren, komme ich nicht umhin zu sagen, dass Giorgio Beverly Hills mit dieser Kreation zu dieser Zeit um die weiter oben genannten 2 Dekaden hinter dem Mond agierte - er hätte wohl gut in unser Kaff gepasst, der gute Jung!
Ich möchte den Duft an dieser Stelle gar nicht ausführlich beschreiben, denn jeder, der sich altertechnisch in den gehobenen 30ern befindet, besser noch die 4 an erster Stelle hat, kennt dieses Duftgenre! Ob Mann sich ein Pitralon oder Hattrick oder sonstwas vom Aldi oder Edeka ins Gesicht gesplasht hat: es gab da keine nenneswerten Unterschiede: zitrisch angekümmelter Auftakt, blumige Mitte, im Abgang eine ledrig-waldige Walcholder(beere), die in diesem Fall über ein klein wenig Weihrauch getrocknet wurde, obwohl jener gar nicht in der Liste steht. Sillage zu Anfang kräftig, flacht aber recht schnell auf durchschnittliches Niveau ab.
Sollte es etwas angenehmer sein, griff man auch in Muehlhens Sortiment. Und man konnte als vorletzten Mohikaner seiner Art auch zu Red for Men greifen, denn diesen würde ich als einen der besseren Barbershop-Vertreter bezeichnen, zumal er an den richtigen Stellen runder geschliffen und nicht ganz so harsch und eckig wirkt. Nicht mehr und nicht weniger.
So sehr man gewissen Düften und Duftrichtungen nachtrauern mag: diese Kategorie hat ihre besten Zeiten schon lange lange hinter sich. Vieles, was heute als Duschgelduft bezeichnet und somit oft als billig gebranntmarkt wird, war in der Kernseifen- oder auch Prä-Duschgel-Ära genannt, der Barbershop - nicht mehr und nicht weniger.
Dann vielleicht doch lieber richtig tief in Memories bohren und State of the Art nen Quorum drauf. Aber nicht wundern, wenn sich die alten Schachteln im Altenheim reihenweise die Köpfe nach einem verdrehen; die hübsche, junge Altenpflegerin, auf die man schon lange ein Auge geworfen hat, jedoch schleunigst Reißaus nimmt.
Ok, in unserem Kaff dauert das immer ein bisschen länger, ehe gewisse Dinge ihre besten Zeiten hinter sich gebracht haben. Hatte ich schon erwähnt, dass im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt es so um die 20 Jahre dauert? Ach so, ja, weiter vorne...
Ja, ganz bestimmt hätte man solche Wässerchen in Tonis Frisierstube kurz vor dessen Ruhestand auch noch um die Jahrtausendwende schnuppern können. Doch es kam anders! Ich kann es nicht mehr genau sagen und die Älteren der Alten, die noch Näheres wussten, weilen heute nicht mehr unter uns. Wenn ich es noch einigermaßen in Erinnerung habe, ging unser Meister der Frisuren und Bärte bzw dessen Geschäft aufgrund familieninterner Querelen und dem damit zusammenhängenden Salon zugrunde. Auch damals gab es Leute, die den Hals nicht vollbekommen konnten und gerne am süßen Nektar namens Pacht naschten. Was gut ging, warf guten Gewinn ab und so wollte jemand noch mehr vom süßen Pachtnektar naschen. Und noch mehr. Und noch mehr. Doch irgendwann hatte es sich ausgenektart. Der Laden, der damals dank seines recht jungen, sympathischen und in gewissem Sinne coolen Betreibers und dessen Team so ein bisschen was von Kultstatus hatte, war völlig ausgelaugt und der Meister musste nunmehr weniger haarigem Handwerk in irgendeiner Fabrik nachgehen, um über die Runden zu kommen. Der Pizzabäcker, der sich später in dem Ladengeschäft breit machte, dürfte ziemlich lange gelüftet haben, um den damaligen Zeitgeist aus den Wänden zu bekommen...
Doch da lag noch etwas anderes in der Luft. Etwas, das weitaus prägnanter war als der Haarspraydunst. Etwas, was man heute in keinen Friseursalon im ganzen Land mehr riecht: Rasierwasser!
Ja, damals fraß der Bauer noch nicht, was er nicht kannte, und ein elektrischer Rasierer wurde von den Älteren unter den Alten noch mit Gejohle und unter Zuhilfenahme von Fackeln, Pfählen, Mistgabeln und Knoblauch aus dem Kuhdorf gejagt. Ja, die alten Männer gönnten sich den Luxus, alle paar Tage, wenn wieder ein paar Flaschen des guten Selbstgebrannten zu Geld gemacht waren, einen kleinen Teil davon zu Toni zu tragen und sich mit dem frisch abgezogenen Stahl die Stoppeln vom sonnengegerbten, faltigen Gesichtsleder schaben zu lassen. War es doch ne tolle Sache, nach getaner Entstoppelung einen Schwall feinstes Duftwasser auf Wangen und Hals getatscht zu bekommen - sparte dank des starken Alkoholdunstes nen Kurzen, vertrieb den sich in der Nase festgesetzten Duft des Misthaufens auf eigenem Hof und den des Plumpsklos dahinter und sparte ebenso eine Dusche, die wegen ihres Nichtvorhandenseins nur aus ein paar Litern Wasser in der Waschschüssel bestand.
Damals, anno 1980, wusste ich instinktiv, dass so die 1960er rochen, obwohl es mich in den 60ern noch lange nicht gab. Nun, das Kaff war schon immer mit Allem um 20 Jahre hinter den Mond, so war das eine ganz simple Rechnung. Nicht mehr und nicht weniger.
Das aus aktueller Produktion stammende Red for Men haut dir gleich beim ersten Atemzug den Old Schooler Barbershop auf die 12!
Auch wenn 1991, als dieser Duft erschienen ist, die typischen Barbershop-Düfte noch weit verbreitet waren, komme ich nicht umhin zu sagen, dass Giorgio Beverly Hills mit dieser Kreation zu dieser Zeit um die weiter oben genannten 2 Dekaden hinter dem Mond agierte - er hätte wohl gut in unser Kaff gepasst, der gute Jung!
Ich möchte den Duft an dieser Stelle gar nicht ausführlich beschreiben, denn jeder, der sich altertechnisch in den gehobenen 30ern befindet, besser noch die 4 an erster Stelle hat, kennt dieses Duftgenre! Ob Mann sich ein Pitralon oder Hattrick oder sonstwas vom Aldi oder Edeka ins Gesicht gesplasht hat: es gab da keine nenneswerten Unterschiede: zitrisch angekümmelter Auftakt, blumige Mitte, im Abgang eine ledrig-waldige Walcholder(beere), die in diesem Fall über ein klein wenig Weihrauch getrocknet wurde, obwohl jener gar nicht in der Liste steht. Sillage zu Anfang kräftig, flacht aber recht schnell auf durchschnittliches Niveau ab.
Sollte es etwas angenehmer sein, griff man auch in Muehlhens Sortiment. Und man konnte als vorletzten Mohikaner seiner Art auch zu Red for Men greifen, denn diesen würde ich als einen der besseren Barbershop-Vertreter bezeichnen, zumal er an den richtigen Stellen runder geschliffen und nicht ganz so harsch und eckig wirkt. Nicht mehr und nicht weniger.
So sehr man gewissen Düften und Duftrichtungen nachtrauern mag: diese Kategorie hat ihre besten Zeiten schon lange lange hinter sich. Vieles, was heute als Duschgelduft bezeichnet und somit oft als billig gebranntmarkt wird, war in der Kernseifen- oder auch Prä-Duschgel-Ära genannt, der Barbershop - nicht mehr und nicht weniger.
Dann vielleicht doch lieber richtig tief in Memories bohren und State of the Art nen Quorum drauf. Aber nicht wundern, wenn sich die alten Schachteln im Altenheim reihenweise die Köpfe nach einem verdrehen; die hübsche, junge Altenpflegerin, auf die man schon lange ein Auge geworfen hat, jedoch schleunigst Reißaus nimmt.
Ok, in unserem Kaff dauert das immer ein bisschen länger, ehe gewisse Dinge ihre besten Zeiten hinter sich gebracht haben. Hatte ich schon erwähnt, dass im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt es so um die 20 Jahre dauert? Ach so, ja, weiter vorne...
Ja, ganz bestimmt hätte man solche Wässerchen in Tonis Frisierstube kurz vor dessen Ruhestand auch noch um die Jahrtausendwende schnuppern können. Doch es kam anders! Ich kann es nicht mehr genau sagen und die Älteren der Alten, die noch Näheres wussten, weilen heute nicht mehr unter uns. Wenn ich es noch einigermaßen in Erinnerung habe, ging unser Meister der Frisuren und Bärte bzw dessen Geschäft aufgrund familieninterner Querelen und dem damit zusammenhängenden Salon zugrunde. Auch damals gab es Leute, die den Hals nicht vollbekommen konnten und gerne am süßen Nektar namens Pacht naschten. Was gut ging, warf guten Gewinn ab und so wollte jemand noch mehr vom süßen Pachtnektar naschen. Und noch mehr. Und noch mehr. Doch irgendwann hatte es sich ausgenektart. Der Laden, der damals dank seines recht jungen, sympathischen und in gewissem Sinne coolen Betreibers und dessen Team so ein bisschen was von Kultstatus hatte, war völlig ausgelaugt und der Meister musste nunmehr weniger haarigem Handwerk in irgendeiner Fabrik nachgehen, um über die Runden zu kommen. Der Pizzabäcker, der sich später in dem Ladengeschäft breit machte, dürfte ziemlich lange gelüftet haben, um den damaligen Zeitgeist aus den Wänden zu bekommen...
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