Hannah
Sehr hilfreiche Rezension
8
Mademoiselles stillere Schwester
Samstagmorgen, Parfümerie Liebe in Hannover. Üblicherweise führt mein Weg direkt zu den Neuerscheinungen, die auf einem Tablett sprühbereit zusammengestellt sind. Doch noch bevor ich sie erreiche, ziehen drei Schönheiten, die wie Schmuckstücke in ihren Kartonagen präsentiert sind, meine ganze Aufmerksamkeit auf sich: Edle Glasflakons als angedeutete Oktogons geschliffen, die Seitenwände sanft gerundet, ein feines Seidenbändchen zwischen dem Flakon und der schweren goldenen Verschlußkappe (es ist nicht der Flakon, der auf dem Parfumobild gezeigt wird), auf der Rückseite ein kalligraphisches H. Wer so aufwendig gestaltete Flakons wählt, muß doch auch etwas Wunderbares einfüllen. Die Duftflüssigkeiten in rosé, zartgold und in einem hellen Honigton perfektionieren das hübsche Äußere.
Auch auf dem Duftstreifen geben sie sich alle drei ansprechend, aber Broderie bringt mir letztlich doch zu viel Weißblühendes in Form von Gardenien und Lilien in die Nase und Goldie ist ein süsslicher, warmer Schmeichler für die kühle Jahreszeit. Only for Her ist mein Favorit, darf auf's Handgelenk und nun wird den ganzen Tag durch die Stadt geführt, immer wieder in verschiedenen Situationen (in der Holländischen Kakaostube, bei Mäntelhaus Kaiser, draußen vor'm Kröpcke) erschnuppert und taxiert, bevor der 100 ml-Flakon am Nachmittag für 150,- Euro mit nach Hause darf.
Zuhause dusche ich die Stadt ab und es folgt der spannende Moment, meinen neuen Duft aus der Verpackung zu nehmen, den Flakon noch einmal bewundernd anzuschauen, um vorsichtig den Sprühkopf das erste Mal zu drücken - begleitet von etwas bangen Zweifeln, sich doch hoffentlich nicht getäuscht zu haben. Entwarnung - Only for her ist auch zuhause noch schön. Das ist auch der Punkt, wo ein Kritiker einhaken könnte: Hier erschnuppert man keine überraschenden Verbindungen und keine gewagte und innovative Lancierung, sondern nur einen schönen Duft. Das ist für meine Nase allerdings heute und meistens durchaus genug.
Only for her lädt mich mit einer kräftigen, fruchtig-blumigen Kopfnote aus sonnenverwöhnter Grapefruit und Freesie ein. Die anfänglich etwas herbe Frische wird schnell durch Blumiges (Jasmin, Magnolie, Pfingstrose, Kardamon) zu einem herrlich schimmernden Bouquet gebunden. Tatsächlich - der Duft schimmert und strahlt in einem zarten Apricot. Fein ausbalanciertes Sandelholz, Patchouli und Vanille geben ihm Tiefe und machen Only for her zu einem charmanten Florientalen. Modern-elegant, harmonisch, sinnlich, mit hohem Wiedererkennungswert. Doch halt: Diesen selbstbewußten Auftritt kenne ich doch und muß auch gar nicht lange überlegen: Die einprägsame und schillernde Coco Mademoiselle vergisst man nicht so leicht!
In den ersten 20 Minuten nach dem Aufsprühen ist Only for her eine Duftschwester, aber es gibt Unterschiede, wenn auch nicht grundsätzlicher, sondern eher gradueller Art. Während die strahlende Mademoiselle den gesamten Raum und den ganzen Abend für sich einnimmt, mit ihrem freizügigen Dekolleté keineswegs geizt, immer ein klein wenig zu laut lacht und und keck ihre Patchouli-Vanille-Komponente zur Schau trägt, bis manch zarte Seele sich stirnrunzelnd lieber anderen zuwendet, ist Only for her dezenter. Auch sie strahlt, wenn sie den Raum betritt und sie sprüht vor Lebensfreude, doch wenn sie ihren Auftritt hatte, kann sie sich auch zurücknehmen. Ihre Patchouli-Vanille ist weniger dominant und durch anschmiegsames Sandelholz gezügelt. Allerdings wird sie schneller müde als Ihre Schwester. Während die sich bis spät in die Morgenstunden nahezu ohne Ermüdungserscheinungen vergnügt, läßt die Schwester den Abend ruhig ausklingen und verlässt die Party bereits um Mitternacht.
Will sagen: Der Auftakt ist ähnlich strahlend, umwerfend und raumgreifend. Coco Mademoiselle hält dieses Niveau ohne große Veränderungen aber über viele Stunden aufrecht, was für die Mitmenschen mitunter anstrengend sein kann, während Only for her sich mit einem selbstbewußten Auftritt begnügt und nach ca. einer Stunde zum schmeichelnden, aber nicht mehr so auffälligen Skinduft wird. Das muß nicht nachteilig sein, denn dadurch ist Only for her durchaus als Büroduft tauglich. Coco Mademoiselle mag glamouröser sein, die stillere Schwester ist deshalb keineswegs langweilig, nur eben ein bißchen weniger plakativ.