Meggi
10.04.2016 - 13:40 Uhr
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Top Rezension
7Duft 9Haltbarkeit 8Sillage 8Flakon

Für Tote zahlst Du mir Zoll

Wut als Duft. Aha. Das ist neu für mich und bedarf des Herantastens. Nähern wir uns dem Thema daher von vertrauterem Terrain aus:

Wenn es eine Skala der Intensität von Wut in der Musik gibt, so markiert vielleicht Beethovens „Wut über den verlorenen Groschen“ - eine augenzwinkernde Bezeichnung, die nicht einmal vom Meister persönlich stammt – deren eines Ende. Das andere sind womöglich die von Alexander Kipnis in der Rolle des Hunding gesungenen Sätze „Verhasst ist es allen und mir.“ und „Für Tote zahlst Du mir Zoll.“, mit denen der grimmige Germane Blutrache gelobt. Zu hören im ersten Aufzug der „Walküre“ von Richard Wagner (Metropolitan Opera, Dezember 1941, Erich Leinsdorf; youtube.com/watch?v=S9W-REUSzH8 – bei 27:34 und 28:44 min.).

Kipnis blieb in beiden Phrasen knapp unterhalb des Schreiens, derlei hatte er nicht nötig. Denn trotzdem wird die kaum bezähmbare Wut Hundings deutlich. Einzig das Gastrecht hält ihn davon ab, den im eigenen Haus angetroffenen Feind auf der Stelle anzugreifen.

Ich komme darauf, weil mich auch Askew keineswegs anschreit. Ich hatte anderes erwartet. Schließlich sprechen die Hersteller selbst von der durch Zerstörung freigesetzten Energie, aus der Neues entsteht. Das erinnert mich übrigens verdächtig an die Schöpferische Zerstörung nach Joseph Schumpeter, mithin an mein Studium der Wirtschafts-„Wissenschaften“ – fraglos einer meiner zäheren Lebensabschnitte. Letzteres nur nebenbei.

Möglicherweise brauche ich mehr Geduld und später schreit was? Der Auftakt ist jedenfalls recht ruhig. Er hat etwas Pilzhaftes („z“, nicht „s“). Nebst bitterer Zitrusfrucht. Dazu mit Fußbodenreiniger getränkter Wischmopp. Und Moder. Als Klammer darum bietet sich mir gezähmter Birkenteer, dem nichts Kratzig-Finsteres anhaftet. Ja, er ist dermaßen wenig finster, dass ich ohne Ansage eine Weile daran herumgeraten hätte. Das hindert ihn freilich nicht, vernehmlich jene bereits diagnostizierte Muffigkeit zu entfalten. Meine Kollegin meinte beim Betreten meines Büros: „Riecht wie Moder. Vermoderndes Laub; Waldboden oder so.“ Na super - genau so wollte ich riechen.

Ein Neubeginn ist dringend erforderlich, das steht fest. Hoffentlich schreit (oder komplimentiert meinetwegen) der den Moder weg. Immerhin findet der Konflikt Hunding-Siegmund im zweiten Aufzug der Walküre in einer donnernden Katastrophe sein tragisches Ende. Ich warte. Und da Herr Wuchsa in Sachen Veränderung schon den metaphorischen Phönix aus der Asche bemüht, warte ich halt stattdessen sinnbildlich auf die Tonika nach der bachschen Modulation oder die Glocke zum Abschluss der Religions-Stunde. Aber was letztlich geschieht, fügt sich nicht in das verbale Waffen-Arsenal des Marketings.

Es kommt schlichtweg zu einem raschen Schwenk: Eine Rest-Säuerlichkeit, die mich wegen ihrer stumpf-seifigen Art mehr an ein Überbleibsel von Bergamotte als von Grapefruit erinnert, hebt eine Frisch-Sauber-Note aus der Taufe, die vom Teer bloß noch geerdet wird. Im Laufe des Nachmittags dreht sie allmählich weiter ins Wässrig-Frisch-Seifige, der verbliebene Teer hellt auf und Askew könnte im Stil fast als klassisch angehaucht gelten. Charaktervoll-herb, sogar edel! Tadellos zum Anzug, wer hätte das gedacht? Ich bin sehr angetan von der apart-originellen Noblesse, die Askew jetzt ausstrahlt.

Das darf nun definitiv tatsächlich den Anspruch erheben, neu entstanden zu sein. Allein: Will ich für einen flinken Halbzeit-Schwenk hin zu einem wunderbar tragbaren Duft den Vormittag über vor mich hin modern? Na ja, besser als andersherum, so hat man was, worauf man sich freuen kann.

Fazit: Duft vorne irgendwo zwischen Puh und anstrengend (davon hätten mir ein bis zwei Stunden gereicht), hinten echt prima (da hättet Ihr die gesparten Stunden draufschlagen dürfen); per saldo in Ordnung und zweifellos ganz spannend. Das Thema bleibt mir indes eher ein Rätsel. Und für einen derart experimentellen Duft finde ich eine 100ml-Bembel-Größe völlig ungeeignet.

Ich bedanke mich bei Ergoproxy für die Probe – ähem: Einen Vorteil haben 100ml dann natürlich doch...
16 Antworten
ErgreifendErgreifend vor 10 Jahren
Na da freuen sich all die Mitmenschen :D
Danke für die wunderbaren Zeilen :)
GaukeleyaGaukeleya vor 10 Jahren
Offenbar haben die bei H&G eine abweichende Emotionschemie ^^ Beim nächsten Lubi-Besuch halte ich mal meine Nase ran, auch wenn "Pilz", "Moder", "säuerlich" keine verlockenden Duftvokabeln für mich sind ;-)
TaurusTaurus vor 10 Jahren
*grübel* naja - ich weiß ja, vom wem es kommt ... ich muss mich wohl mehr mit den Werken meines Ex-Kollegen auseinander setzen :-)
PaloneraPalonera vor 10 Jahren
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Hihi. Das Opening hat mir auch strafende Bemerkungen vom Mann an meiner Seite beschert, wenngleich "muffig" nicht zum damaligen Vokabular gehörte. Nichtsdestotrotz ein spannender Duft - und erotisch, dochdoch.
Stefanu155Stefanu155 vor 10 Jahren
Dann stelle ich mal einen Opernpokal für hohen Informationsgehalt ab. Möglicherweise brauche Ich den nicht...
TooSmell27TooSmell27 vor 10 Jahren
Ich nähm dann doch eher das Pils. Wäre mir zu anstrengend.
BlauemausBlauemaus vor 10 Jahren
Na, das klingt doch mal richtig nett. *gg* Da freuen sich die Mitmenschen... *Modderpokalabstell*
OrmeliOrmeli vor 10 Jahren
Der hat mir recht gut gefallen :-)
0815abc0815abc vor 10 Jahren
Den Namen Laudamiel finde ich einfach wunderbar.Da kann nur was Experimentelles bei rauskommen.Laudanumschlumpfpokal!
MargamotteMargamotte vor 10 Jahren
Hatte ihn gestern zufällig auch getestet. Ich fand ihn heavy. Auf dem anderen Arm hatte ich die Nr.11 von Parfumerie Generale. Letzterer Duft ist heute noch sehr viel besser wahrnehmbar, also die Haltbarkeit vom Askew ist nicht sooo gut.
ErgoproxyErgoproxy vor 10 Jahren
Also, ich rieche damit nicht modrig und bekomme gerade von Frauen (und ich habe täglich mehrere um mich) Komplimente für den Duft. Wütend werden da oft andere Männer in meiner Umgebung. :))
3rdear3rdear vor 10 Jahren
Diesen Kommentar zu lesen, war ein Genuss, merci bien! Der Duft stand bereits auf meiner Liste - jetzt bin ich noch mehr gespannt.
RobGordonRobGordon vor 10 Jahren
Wut, in einem so harmlos anmutendem Flakon, möchte man gar nicht vermuten. Darauf ein Pils!
DaveGahan101DaveGahan101 vor 10 Jahren
Fand die Heaven-Kopfnote echt klasse...danach gings aber deutlich bergab!!!
YataganYatagan vor 10 Jahren
Ich mag den irgendwie, auch das gesamte Konzept, ja, die ganze Marke, aber habe ihm dann doch nur 7.0 gegeben. Komisch eigentlich. Muss das noch mal überprüfen.
CravacheCravache vor 10 Jahren
Es gibt Leute, die verdienen mit der Wut anderer ihre Brötchen :-) Ich finde den Duft experimentell, interessant, aber tragen sollen ihn doch lieber die Mandanten :)