Helena1411
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Plastik, Meer und ein Ostwestfale
Eine Reportage von Olf Faktorisch
Wenn die Redaktion nachfragt, ob man eine Reportage außerhalb seines Zuständigkeitsbereiches verfassen möchte, dafür aber in die Ferne reisen dürfe, so ist der allgemeine Journalist in der Regel dem gegenüber nicht abgeneigt.
Allerdings ist der allgemeine Ostwestfale auch sehr heimatverbunden oder besser gesagt tiefenverwurzelt, sodass eine Fernreise doch immer einhergeht mit einem gewissen Unwohlsein bezüglich der Entwurzelung.
Nach langwierigen Reisevorbereitungen, einer mehrere DIN A4-Seiten umfassenden Checkliste zu den einzupackenden Reiseutensilien und einer herzergreifenden Abschiedszeremonie auf dem öffentlichen Dorfplatz einer kleinen ostwestfälischen Gemeinde stand der Reise nichts mehr im Wege.
Nach nervenaufreibenden Stunden im Flugzeug endlich in der Ferne angekommen, führt der erste Gang natürlich zum Kerngeschehen der angedachten Reportage, und zwar dem bekannten Strand der Karibikinsel, an dem die große Aufräum-Aktion von einer kleinen Gruppierung weltweiter Umweltaktivisten stattfinden soll.
Dieselbigen sind auch schon in vollem Aktionsgange, während der allgemeine ostwestfälische Journalist noch mit einer Mischung aus Heimweh, Schweißausbrüchen aufgrund der überschrittenen Temperaturgrenze von 20 Grad und dem Staunen ob der dortigen Flora und Fauna, die sich doch wesentlich von Mischwald sowie Ackerkraut und Wiesengrund unterscheidet, beschäftigt ist.
Angekommen am Strand wächst das Staunen um einiges, da sich entgegen der Erwartung einer frischen Meeresbrise an leichtem Wellenschaum ein Plastikmeer, so weit das Auge reicht, erstreckt. Plastik, Synthetik und wieder Plastik. In Hülle und Fülle! Das Heimweh wächst. Das soll der Traum eines karibischen Strandes sein?! Wo sind der Salzgeruch, die maritimen Gerüche, der frische Geschmack der Seeluft?!
Was nun folgt, ist ein stundenlanges Wühlen durch diverse Plastiktüten, Synthetikabfälle, Kunststoffbestandteile. Stundenlang. Ermüdend. Gar nicht frisch. Und schon gar nicht mit Urlaubsfeeling.
Wo sind die berühmten wohlduftenden Frangipani-Blüten, wo die am Strand liegenden, nur auf das zum Aufschlagen- und Getrunken-Werden wartenden Kokosnüsse? Vermutlich unter den Kunststoff-Bergen.
Erst nach einer ermüdend langen Aufräumaktion wird man ihrer ansichtig, mittlerweile schon gar nicht mehr so interessiert, sondern eher ermattet von der synthetischen Flut. Auch sind jetzt nicht mehr nur Plastikwellen erkennbar, sondern waschechte Meereswellen, die eine leicht salzige Note herübertragen.
Und obschon der geneigte Ostwestfale sich über die nun auch erspähten Frangipani- und Jasminblüten etwas erfreuen kann und als Tagesabschluss doch noch seinen ersehnten, leicht cremigen Kokosnuss-Drink schlürfen darf, bleiben weiterhin letzte Plastikreste, die sich über das angesammelte Treibholz im Wellenrhythmus schieben.
Ernüchtert und vor allem erleichtert tritt der seiner Heimat sehnsüchtig entgegenstrebende Ostwestfale seine Rückreise an.
Es geht doch nichts über die wohlbekannte (und um es noch einmal zu betonen: ostwestfälische) Heimat.
Aber sollte doch noch einmal das Fernweh zu beschriebener Reise einsetzen, so greift der Journalist für Duftfragen wohlbeherzt zu Jacques Zoltys „Flowersea“, der die Gerüche dieser Fernreise wie kein anderer einzufangen weiß.