![Floyd]()
Floyd
Top Rezension
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Aus Neil Armstrongs Einmachglas
Lieber Buzz,
es ist verblüffend. Jetzt ist es viele Jahrzehnte her, dass wir beide da oben im Mondstaub waren. Vielleicht erinnerst Du Dich noch, dass ich damals, als wir die Bodenproben nahmen, auch ein Einweckglas von Großmutter Caroline dabei hatte. Sie hatte gesagt, dass ich ihr darin etwas vom Mond mitbringen sollte, was ich dann ja auch tat, wenngleich ich mich erinnere, dass das Befüllen aufgrund der klobigen Handschuhe doch recht beschwerlich war. Nachdem ich es ihr überreicht hatte, hob sie es offensichtlich für mich auf, hatte es aber nie geöffnet. Nun weilt sie nicht mehr unter uns und in ihrem Nachlass tauchte jetzt wieder dieses Einweckglas auf. Ich habe mir den Staub und die Steine darin lange angesehen, ehe ich beschloss, das Glas ihr zu Ehren zu öffnen. Da ihr Düfte immer genauso viel bedeutet hatten wie mir, war ich mir sicher, dass sie gewollt hätte, dass ich an ihrer Stelle den Duft des Mondes entdecke.
Was ich dann zunächst roch, war ganz erstaunlich. Kennst Du den Geruch des Rauches von Feuersteinen, dieses kleine Wölkchen, das beim Betätigen eines Feuerzeuges manchmal aufsteigt? Stell Dir diesen Duft gemischt mit dem heißen Asphalt im Death Valley vor, dann weißt Du, was ich meine. Wir müssen bei der Landung mit dem Eagle damals offensichtlich ganz ordentlich an den Steinen und Mineralien gezündelt und die Bodenproben wohl doch etwas zu nah an der Landungsfähre entnommen haben, anders kann ich mir diesen Geruch nicht erklären. Noch verwunderlicher ist jedoch, dass ich ganz entfernt auch etwas grünlich würziges, fast wie Koriander wahrnehmen konnte, aber dafür habe ich nach wie vor keine Erklärung. Sollten die Russen doch schon vor uns dagewesen sein und versucht haben, Kräuter auf dem Mond anzupflanzen? Oder hatte Granny Caroline zuvor Koriander im Glas aufbewahrt?
Buzz, ich konnte meine Nase nicht von dem Glas lassen, viele Stunden lang saß ich darüber und nahm zunächst etwas Erdig-Harziges neben den anderen Gerüchen wahr, tief und warm, fast ein wenig pudrig. Kannst Du Dir vorstellen, dass es einmal Bäume auf dem Mond gegeben hat? Wissenschaftlich ist das wohl vollkommen ausgeschlossen. Vielleicht reagierte die Probe ja auch mit dem Sauerstoff meines Wohnzimmers, mit meinem Ledersofa, aber je länger ich daran roch, desto tiefer, dunkler, ledriger, ja fast schon ein wenig moschushaft animalisch wurde der Duft. Und etwas würzigen Tabak glaubte ich auch wahrzunehmen, diesen rauhen Halfzware, den der Holländer in der Mission Control in Houston immer geraucht hatte.
Dieser Duft war großartig, obwohl er nicht überwältigend stark aus dem Glas strömte, so erfüllte er mein Wohnzimmer doch etliche Stunden lang, rauh, dunkel, geheimnisvoll. Wie sehr bereue ich es nun, damals nicht noch mehr Einweckgläser dabei gehabt zu haben. Das war es nur, was ich Dir mitteilen wollte, mein Freund. Bis bald, Dein
Neil Armstrong
(Mit Dank an Yukiko, die mir diesen Duft in einem Tausch als Überraschung dazupackte)