Ein spannender Duft, der mich ratlos macht. Es handelt sich hier wohl um echte Niche. Ein Duft, der die Meisterschaft seines Schöpfers erkennen lässt, der gleichwohl sehr eigenwillig ist. Doch vielleicht beginne ich mit ein wenig Hintergrund.
Ma Nishtana ist einer von drei Düften der neuen Serie Gods & Monsters des Parfumkünstlers, ja so will ich ihn nennen, denn ein Künstler ist er wahrlich, also des Parfumkünstlers Prin Lomros unter dem Label Parfum Prissana, das - soweit ich richtig informiert bin - nach seiner Schwester benannt sein soll. Neben Ma Nishtana gehören zu dieser Serie NESNÁS QAREEN und MANDARAVA, die hier bereits sehr eindrucksvoll und gleichsam poetisch wie kenntnisreich von Can777 vorgestellt worden sind. Seine hypnotisierende Beschreibung von Nesnás Qareen hat mich dazu veranlasst, nach diesen Düften zu suchen, zumal Parfum Prissana wohl nur über das Internet zu erwerben ist. Es ging mir eigentlich nur darum, vielleicht die eine oder andere Probe zu erstehen. Bei der Suche nach den Düften habe ich mich allerdings im Internet verloren und letztlich zu fortgeschrittener Stunde, es muss zwischen 3 und 4 Uhr morgens gewesen sein - nun, ich bin wohl ein wenig verrückt - diverse Düfte bestellt, darunter Proben und auch einen Flakon von MA NISHTANA.
Ma Nishtana, so heißt es auf der Internetseite von Parfum Prissana, seien die ersten zwei Worte einer Phrase, die laute: "Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten?"
Mit der poetischen Kraft und Kreativität eines Can777 könnte man gewiss um diese Worte eine Verbindung zu diesem Duft herstellen. Allein mir fehlen all diese Fähigkeiten, weshalb ich es bei einer nüchternen Betrachtung belassen will und die Kunst jenen überlassen möchte, die sie beherrschen, denn Kunst kommt meines Erachtens nach wie vor von Können, auch wenn so manches "Kunstwerk" der Neuzeit mich an dieser Überzeugung zweifeln lässt.
Doch bevor ich in kunsttheoretische Betrachtungen abgleite, vielleicht noch ein Letztes zum Hintergrund der Worte "Ma nishtana": Wikipedia lehrt mich, dass es sich wohl um eine jüdische Tradition handele. Am Vorabend des jüdischen Pessachfestes, während des festlichen Abendessens, werde eines der berühmten Lieder aus der Haggada gesungen. Das jüngste Mitglied am Tisch stelle "die vier Fragen", die mit den Worten begännen "Ma nishtana..." ("Was unterscheidet..."). Der Text sei ein Teil des Maggid, der Erzählung vom Exodus, dem Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Die Fragen sollen dabei vor allem die Kinder zum Nachdenken anregen über den Unterschied von Sklaverei und Freiheit. Ein - wie ich finde - nach wie vor brandaktuelles Thema in Zeiten, da selbst hier in Deutschland es vermehrt Menschen gibt, die sich offenbar die Sklaverei ersehnen oder sich schlicht nicht darüber im Klaren sind, dass vermeintlicher "Protest" bei einer Wahl auch ein Weg in die Sklaverei sein kann.
Doch halt! Wie immer schweife ich ab, noch dazu ins Politische... Ich bitte um Nachsicht und darum, wieder ansetzen zu dürfen:
Es geht also darum, den Übergang von der Sklaverei zur Freiheit zu feiern und zu verstehen, dass das Fragen, das In-Frage-Stellen bereits ein essentieller Teil der Freiheit ist, denn Sklaven dürften keine Fragen stellen. Ein Sinn des Passahfestes bestehe wohl darin, von seinen inneren Zwängen befreit zu werden. Dabei handele sich wohl auch um eine spirituelle Suche.
Was hat das nun alles mit dem Duft zu tun? Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht, aber es ist eine schöne Geschichte, die zum Nachdenken anregt. Wenn ein Parfum - oder besser: dessen Bezeichnung - das schafft, dann ist sein Name schon einmal gut gewählt.
Doch nun endlich zum Duft. Doch erneut stoße ich an meine Grenzen. Aber einmal begonnen, soll dieser Versuch einer Beschreibung zu Ende geführt werden.
Im Auftakt rieche ich Rauch, Rauchschwaden, ich fühle mich in eine Köhlerhütte versetzt. Meine Frau meint, es rieche wie geräucherter Speck, und zugegebenermaßen kann ich diesen Eindruck nicht ganz von der Hand weisen. Im Hintergrund sind aber schon Anklänge der weiteren Entwicklung dieses Duftes zu erahnen. Safran, meine ich zu vernehmen, und eine Antizipation all jener Ingredienzien, die auch hier auf Parfumo aufgeführt sind. Doch ist der Räucheraspekt zunächst so dominant, dass sich es bis dahin nur um eine vage, ja, Hoffnung, will ich es nennen, handelt.
Tatsächlich, nach 2, womöglich auch 3, Stunden legt sich der Rauch und verwandelt sich in etwas Floral-Würziges, das ich nicht zu beschreiben vermag. Es ist, wie Jakobolino es formuliert hat, ein Korb voller Düfte, die harmonisch miteinander verwoben sind. Solch ein Duft ist mir bisher nicht untergekommen. Der Rauch indes, der Rauch verschwindet nie ganz, er bleibt immer da. Aber das ist auch authentisch, denn wer einmal in einer Räucherstube war, weiß, dass er diesen Geruch nicht so schnell aus der Nase und schon gar nicht aus der Kleidung bekommt.
Ich muss diesen Duft als Parfumkunstwerk anerkennen. Es scheint mir, eine meisterhafte Komposition zu sein. Doch kann man solch einen Duft tragen?! Gewiss, mit einem Faible für Niche und einem gesunden Maß an Selbstvertrauen! An Ersterem fehlt es mir nicht, am Zweiten...hmm. Diese Entscheidung wurde mir abgenommen. Meine Frau zeigt mir die dunkelrote Karte. Sie mag keinen "Speck am Brett" und da sie schon einige Düfte von mir duldet, die ihr nicht zusagen, so darf dieser Flakon weiterziehen, auch wenn sein Inhalt meines Erachtens schon etwas Besonderes, will sagen: nicht Alltägliches, ist, für ein Parfüm jedenfalls.