Collection Extraordinaire

Moonlight Patchouli 2016

FioreMarina
02.04.2022 - 11:04 Uhr
47
Top Rezension
9
Preis
7
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft

Phoenix oder: Der Sieg der Rose

Vorbemerkung: Liebe Alle, die Ihr Euch fragt, ob Ihr das Folgende lesen sollt: es ist wahrscheinlich keine gewöhnliche Rezension. Aber es sind auch keine gewöhnlichen Zeiten. Wer sich vor allem eine sachliche Analyse des Dufts wünscht, wird vielleicht enttäuscht sein und ist besser bei den wunderbaren Rezensionen meiner Vorgänger und Vorgängerinnen aufgehoben. Aber ich möchte mit jedem, der mag, diesen sehr persönlichen Zugang zu „Moonlight Patchouli“ teilen; wenn Ihr wollt, hört beim Lesen „The Light behind your Eyes“ von My Chemical Romance, so wie ich beim Schreiben. Es passt zum Text und es ist ein schöner Gedanke, mich Euch auf diese Weise verbunden zu fühlen.
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Ich tue mich gerade schwer mit dieser Seite hier. Mit Düften im Allgemeinen. Vielleicht einfach mit dieser Zeit. Es ist, als hätte das Schöne keinen Platz mehr in meinem Jetzt. Es ist banal geworden, unpassend irgendwie. Ich denke mir: wenn ein alter Mann nationalesoterische Allmachtsphantasien in sein aufgeblähtes Ego sickern lässt, bis es ein Loch in die Mitte Europas sprengt, in die Mitte all der Dinge, die ich für gegeben gehalten habe, in unsere Mitte, und niemand, niemand hält ihn auf, dann riecht das einfach nicht nach Rosen. Sondern nach Eisen, Schweiß, Dreck und Tod. Darf man in so einer Zeit über Duftverläufe nachdenken? Darf man Texte über Parfums schreiben? Darf man das?
Ich bin nicht sicher, nicht mal jetzt, während ich schreibe. Seit Wochen war ich nicht auf Parfumo. Ich sitze vorm Fernsehen, aber die Nachrichten gleichen sich. Ich lese Zeitung, kluge Menschen, die mit Worten Bilder ihrer Ratlosigkeit malen. Ich stehe vor meinem Parfum-Schränkchen, Kirschholz, Biedermeier. Der Gedanke hat mir früher gefallen: ein kostbares altes Möbelstück als Gefäß für meine Sammlung. Jetzt finde ich das dekadent. Während ich durch die geöffneten Glastürchen auf die Schachteln und Flakons starre, spüre ich Widerwillen. Was soll das denn? Ich will nicht riechen, nach gar nichts. Und dann, während ich schon im Begriff bin, die Türen wieder zu schließen, fällt mein Blick auf einen glatten, schwarzen Flakon, „Moonlight Patchouli“, und ich denke: Schwarz, passt irgendwie, und überhaupt, es ist doch gleich, ein paar Spritzer auf die Handgelenke und hinter die Ohrläppchen.
Die nächste Tagesschau, der nächste Brennpunkt. Ich denke mir: Nicht Mariupol, bitte nicht Mariupol, ich kann die Bilder nicht ertragen. Aber natürlich kommt Mariupol. Die Kamera schwenkt über Ruinen, über Berge von Schutt. Wenn sie auf die Toten hält, werden die Bilder verpixelt, man will uns das nicht zumuten. Dann die Trecks der Geflüchteten, sie zeigen eine junge Frau, die blass und vor Müdigkeit schwankend ein Kind auf dem Arm hält, während sie in die Kamera spricht, dass sie sich für unsere Unterstützung bedankt. Erst sehe ich es nicht, aber dann bemerke ich, dass auch das Kind etwas in seinen Armen hält: ein kleines Kätzchen.
An diesem Punkt vergrabe ich das Gesicht in den Händen: Keine Bilder mehr. Es wird dunkel. Und es riecht nach Dreck. Nach schwarzer, feuchter Erde, nach Vergänglichkeit. Wenn Dunkelheit riechen kann, dann riecht sie wohl so. Ich erinnere mich, dass ich vorher Moonlight Patchouli aufgetragen hatte und jetzt ist es mir recht. Mit geschlossenen Augen atme ich ein: Patchouli also, na klar. Patchouli riecht nach Dunkel und das Dunkel riecht nach Patchouli und es passt zu all dem hier.
Nur bleibt es nicht dabei: etwas in diesem Dunkel leuchtet, so zart, dass man es nicht gleich bemerkt, und doch konturiert, deutlich, präsent und unnachgiebig: eine Rose, nein nicht einfach nur irgendeine. Für mich ist es eine der schönsten Rosen, die es je gelungen ist, in einem Duft einzufangen. Immer wenn ich sie rieche, erstrahlt sie in meiner Vorstellung in einem tiefen, leuchtenden Rot und ja, es ist Iris dabei, die ich gleichfalls liebe, hier ist sie nicht mehr als ein bläulichweißes Strahlen, wie ein Glorienschein, nur dazu da, die Schönheit der Rose noch zu unterstreichen. Es gibt auch Pfeffer. Er stört mich ein bisschen, aber nur zum Anfang. Wie feine Nadelstiche in diesem Bild aus Dunkel und Licht.
Mir fällt ein, dass Blumen überall wachsen. Und immer aus dem Dunkel. Sie machen nicht viel Aufhebens darum, aber sie gewinnen immer. Selbst auf einem Trümmerfeld. Ich muss plötzlich an das Bild von vorhin denken: die Mutter, das Kind, das Kätzchen. Sie hatten, wie sich gegenseitig umfangende Blütenblätter, etwas von dieser Rose: das Zarte, das das immer noch Zartere schützt. Das aus dem Dunkel kommt, buchstäblich aus dem Dreck. Aber da ist und lebt. Und gewonnen hat. Und da plötzlich kann ich lächeln.
Seltsam, wohin uns Düfte bringen: dieser hier zu einer Ahnung, ja, auch zu einer Hoffnung. Und deshalb glaube ich, wir dürfen Düfte tragen. Und sogar jetzt, manchmal: vor allem jetzt, sollen wir auch darüber schreiben.
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