Sminta von Harry Lehmann

Sminta

FvSpee
18.09.2017 - 14:26 Uhr
37
Top Rezension
10Duft 8Haltbarkeit 8Sillage 7Flakon

Blumen. Für Frauen mit Charakter. Keine Blümchen für Püppchen.

Nach etwas längerer Kommentarpause war es mal wieder ein Duft von Harry Lehmann, der mich so inspiriert hat, dass ich mir die Zeit für eine Langrezension nehme. Was hatte mich eigentlich dazu bewogen, "Sminta" auf meine Testliste zu setzen? Der Name vermutlich, den finde ich schön und geheimnisvoll. Was soll das sein, Sminta, ein Frauenname? Und aus welcher Sprache kommt es? Norwegisch? Hebräisch? Und woran denke ich dabei, an "Minze", oder an "Fräulein Smillas Gespür für den Schnee"? Und vielleicht hat eine Rolle gespielt, dass der Duft hier bisher wenig getestet ist, im Schnitt sehr gut bewertet, aber auch mit einigen Kritikern. Das macht neugierig.

Wohlan, heute in der Kantstraße: "Und Sminta würde ich auch gerne probieren". Es leuchtet das Gesicht der Verkäuferin: Offenbar einer ihrer Lieblingsdüfte. "Den auch auf die Haut, wie den vorigen, oder erstmal so?". Berechtigte Frage, denn obwohl Lehmann seine Düfte aus Prinzip nicht nach m/w unterscheidet, ist das ein klarer Damenduft. "Na, dann erstmal so". Am Glasstopfen des Vorratsflakons gerochen. Hmmmm: "Auch auf die Haut bitte". Und seitdem bin ich schon stundenlang begeistert!

Das Duftanalytische ist leider nicht meine Stärke, daher nur ganz zurückhaltend: Das Grundgerüst dieses Duftes ist eine Blumenmischung, so viel halte ich für sicher. Da könnten Tulpen, Lilien, Nelken vorhanden sein. Rosen drängen sich mir im Gegensatz zu anderen hier gar nicht auf, und wenn, dann in Richtung junger, schwach duftender Blütenblätter, keinesfalls starkes, süßes Rosenöl. Die von praktisch allen Rezensenten hervorgehobenen Aldehyde empfinde ich - fast ist es mir peinlich - überhaupt nicht als dominierend, jedenfalls aber nicht als störend oder aufdringlich, sondern im Gegenteil, als fein mit dem Blütenduft verwoben. Oft changiert eine überaus angenehme, schlichte, satte, milchige, kräftige Note von Körperlotion in das Duftgeschehen hinein und manchmal nehme ich an den Rändern etwas ganz leicht Seifiges (Pudriges spüre ich nicht), etwas Gewürziges, und in der ersten Stunde etwas körpervolles und doch leichtes hellgrün-minziges wahr (vielleicht sind das aber auch Zitrusnoten und ich bilde mir Minze nur wegen des Namens ein).

Sminta ist ein Blumenduft, aber nicht "blumig". Sie ist kräftig, aber überhaupt nicht schwer. Sehr weiblich einerseits, aber irgendwie franst die Geschlechteridentität da doch an den Rändern ständig aus. Sie gefällt mir auch gerade an mir. Sminta imponiert mir als überaus charaktervoller Duft. Sie besitzt eine gewisse Härte und Herbheit, spielt dann auch ins Sehnsuchtsvolle und Sanfte, bleibt aber fest auf dem Boden. Sie hat eine Ahnung von Heiterkeit, sie hat eine Ahnung von Luxus, aber sie ist nicht eine Sekunde, nicht einen Millimeter süßlich, ordinär oder unwahrhaftig. Sie sagt: "Das Leben ist schön, sehr schön, wenn man es richtig zu nehmen weiß; aber es ist vor allem ernst".

Nun kenne ich mich in Damendüften alles andere als Enzyklopädisch aus, aber mir scheint das ein sehr einzigartiges, ungewöhnliches Parfüm zu sein, das auch mich, wie schon Tfortwo, zu Spekulationen über die Zeit seines Entstehens reizt. Ich würde beschwören, das kann kein Duft aus einer Restaurationsperiode wie den 50-ern sein, als die Mädchen süß und die Damen adrett und nett zu sein hatten, und mit Sicherheit ist es auch kein barock-opulenter Duft aus den 80-ern.

Wenn dieser Duft ein Frauenbild transportiert, dann das der hart kämpfenden emanzipierten Frau der 20-er Jahre, der Duft von Marthe Müller aus Jason Lutes wundervoller (leider einstweilen bei Band II hängengebliebener) Comictrilogie "Berlin Steinerne Stadt" / "Berlin Bleierne Stadt". Ich denke an die ersten (vielleicht nebenher in den Jugendverbänden der SPD oder KPD aktiven) Medizin- und Kunststudentinnen, die sich ihre Plätze an der Männerwelt der Berliner Unversität erkämpften (bevor sie von den Nazis wieder an den Herd zurückgestoßen wurden), an die ihren Körper stählenden Tänzerinnen vom Staatsballett und von den Revuen, die bei allem Glamour auf der Bühne zuhause am schlecht ziehenden Kohlenofen und mangels fließend Wasser an der Waschschüssel ihre Toilette machen mussten, und an die schon etwas reifere, bürgerliche, aber seit der Inflation ständig vom sozialen Absturz bedrohte Dame aus Charlottenburg, deren Ehemann amputiert oder mit Kriegsneurose (heute würden wir "posttraumatische Belastungsstörung" sagen) von der Westfront zurückgekehrt war und die sich ihr kleines Stück Schönheit bewahren will.

Und tatsächlich sagt die für gewöhnlich wortkarge Dame von Harry Lehmann am Ende ungefragt: "Das ist ein sehr, sehr klassischer Duft, ein alter, ganz alter". "Älter als ich?" Mildes Lachen: "Oh ja!".

Für mich ist das damit ein überaus moderner, fast zu Tränen rührend schöner Duft (und rührend auch, dass er so lange überlebt hat). Wenn ich einmal einer wahren Dame, sei sie nun 25 oder 75 Jahre alt, durch eine Parfümgabe ein wirklich riesengroßes Kompliment für ihre Schönheit, und zwar auch die ihrer Seele, machen wollte, ja, dann könnte es Sminta sein. Nun wäre Frau von Spee vielleicht nicht allzu amüsiert, wenn ich einer anderen Dame Parfüm schenkte. Aber es muss ja auch keine andere Dame sein.
19 Antworten
TradescantiaTradescantia vor 5 Jahren
1
Bei Gelegenheit werde ich den Duft, motiviert, durch diesen tollen Kommentar, testen.
FliolineFlioline vor 5 Jahren
"Das ist ein sehr, sehr klassischer Duft, ein alter, ganz alter".
"Älter als ich?"
Mildes Lachen: "Oh ja!"
Wie charmant.
YataganYatagan vor 6 Jahren
Wieder wunderbar skizziert!
AugustoAugusto vor 6 Jahren
Was für ein treffender und schön zu lesender Kommentar zu diesem ungewöhnlichen Duft. Ich, AugustA, hatte die Freude, ihn jüngst ebenfalls von der wahrscheinlich gleichen Dame empfohlen zu bekommen, und ich glaube, ich reagierte mit Sternchen in den Augen und Wimpernschlag und sagte sowas wie: Wundervolle 20er Jahre Blumen! Ich freu mich schon sehr auf den Langzeittest...
GaukeleyaGaukeleya vor 7 Jahren
Nun hast Du mir den doch glatt auf die Lechz-Liste geschrieben mit Deinem tollen Text! Zusammen mit Deinen Auslassungen zum Babylon-Berlin-Blog hier, die mir sehr gefallen (und mich zu Deinem Kommi geführt haben) :-) Ok, nun war ich grad in Berlin, aber ich komme ja auch wieder, dann gehts auch wieder zum Lehmann natürlich ;-)
FlüchtigFlüchtig vor 8 Jahren
Als ich heute dort Amok lief und zuhause selig meine Mitbringsel durchschnüffelte, merkte ich sofort, das einer fehlte. Dank deines tollen Kommentares, weiß ich welcher. Es war Sminta :)
HumanNature1HumanNature1 vor 8 Jahren
Nachtrag: Überraschung für mich dass hier so viele eine Ähnlichkeit zu No 5 fest stellen. Ich hatte No 5 vor Jahren mal als EDP oder Extrait. In meiner Dufterinnerung kann ich absolut keine Ähnlichkeiten fest stellen. Hm ? In meiner Erinnerung, habe ich das Pudrige besonders im Focus bei No 5. Bei Sminta jedoch das Florale. Wieder ein Fragezeichen.
HumanNature1HumanNature1 vor 8 Jahren
Danke für diesen tollen Kommentar. Auch ich gehöre zu der Fraktion der Bewunderer und auch "Gerneträgerin" von Sminta. Sminta den ich mir vor zwei Jahren mit einigen anderen 10 ml Abfüllungen bei Harry Lehmann als Blindkäufe bestellt habe. Sminta hat sich bis jetzt als Favorit heraus gestellt und ich trage ihn gern im Frühling und an nicht zu heißen Sommertagen. Für mich ein toller Duft.
CouchlockCouchlock vor 8 Jahren
2
wunderbarer kommentar! wunderbarer duft!
FvSpeeFvSpee vor 8 Jahren
Weiterer Nachtrag: Ich hab Chanel No. 5 zuletzt vor etlichen Jahren (bewusst) gerochen und kann daher Ähnlichkeiten weder bestätigen noch dementieren. Wenn Chanel No. 5 allerdings von 1921 und Sminta von 1926 ist, liegt der Gedanke nicht ganz fern, dass der alte Harry Lehmann seinerzeit eine Art (gut gemachtes) "Chanel-No-5-Dupe" vorgelegt haben könnte, auch wenn man damals wohl nicht "Dupe" sagte. Aber dann wäre meine Begeisterung ja erst recht verständlich!
BeatriceABeatriceA vor 8 Jahren
Soo einzigartig finde ich den Duft nicht, geht schon sehr in die Chanel N5 - Richtung (oder "Liu", wie Pluto schon sagte; ist ja dieselbe Ecke). Schön ist er, auch für meine Nase.
YataganYatagan vor 8 Jahren
Jetzt habe ich doch wieder Lust auf diesen Duft! Schön! :)
GelisGelis vor 8 Jahren
Schöner Kommentar, sehr gern gelesen. Wirklich guter Duft.
PlutoPluto vor 8 Jahren
Ich fand Sminta sehr pudrig und old-fashioned (nicht negativ) und er erinnerte mich an Liu. Schöner Kommi.
SeeroseSeerose vor 8 Jahren
Wenn er nicht nach Eichenmoos riecht - ich setze ihn mal auf die Merkliste - könnte der mich interessieren. Und Labdanum/Zistrose riecht mir immer melissig, wenn ich sie herausriechen kann. Auch bizzeliges Ylang mag ich sehr. Fast kann ich ihn mir vorstellen nach Deiner Beschreibung.
FvSpeeFvSpee vor 8 Jahren
Nachtrag: Im Internet einen Beitrag aus der Zeitschrift zitty, Jahrgang 2012, über Frau Tonis Parfüms gefunden. Dort wird auch Sminta erwähnt, mit der Jahresangabe 1926.
TtfortwoTtfortwo vor 8 Jahren
Obwohl ich Dinge dieser Art nun mal aus Prinzip nicht tue, hier bin ich versucht, eine Ausnahme zu machen: Vor diesem Kommentar auf die Knie sinken. Ja. Genauso ist Sminta. Danke. Und daß Du diese Aldehydpracht etwas an Dir vorbeiziehen läßt, sei Dir an dieser Stelle leichten Herzens verziehen.
JumiJumi vor 8 Jahren
Was für eine Ode! Toller Kommentar, man freut sich mit dir über diese Entdeckung :) Und neugierig bin ich jetzt auch, auch wenn mich der zweifache Vergleich mit Chanel No. 5 unten verunsichert.
OhdeberlinOhdeberlin vor 8 Jahren
Sehr fein hast du dein Dufterleben geschildert, wenn das mal nicht lesenwert war ... Also sehr gerne gelesen, danke. Und jetzt wissen wir auch von dir dass du kein ganz junger Huepfer mehr bist ;-)