Nach etwas längerer Kommentarpause war es mal wieder ein Duft von Harry Lehmann, der mich so inspiriert hat, dass ich mir die Zeit für eine Langrezension nehme. Was hatte mich eigentlich dazu bewogen, "Sminta" auf meine Testliste zu setzen? Der Name vermutlich, den finde ich schön und geheimnisvoll. Was soll das sein, Sminta, ein Frauenname? Und aus welcher Sprache kommt es? Norwegisch? Hebräisch? Und woran denke ich dabei, an "Minze", oder an "Fräulein Smillas Gespür für den Schnee"? Und vielleicht hat eine Rolle gespielt, dass der Duft hier bisher wenig getestet ist, im Schnitt sehr gut bewertet, aber auch mit einigen Kritikern. Das macht neugierig.
Wohlan, heute in der Kantstraße: "Und Sminta würde ich auch gerne probieren". Es leuchtet das Gesicht der Verkäuferin: Offenbar einer ihrer Lieblingsdüfte. "Den auch auf die Haut, wie den vorigen, oder erstmal so?". Berechtigte Frage, denn obwohl Lehmann seine Düfte aus Prinzip nicht nach m/w unterscheidet, ist das ein klarer Damenduft. "Na, dann erstmal so". Am Glasstopfen des Vorratsflakons gerochen. Hmmmm: "Auch auf die Haut bitte". Und seitdem bin ich schon stundenlang begeistert!
Das Duftanalytische ist leider nicht meine Stärke, daher nur ganz zurückhaltend: Das Grundgerüst dieses Duftes ist eine Blumenmischung, so viel halte ich für sicher. Da könnten Tulpen, Lilien, Nelken vorhanden sein. Rosen drängen sich mir im Gegensatz zu anderen hier gar nicht auf, und wenn, dann in Richtung junger, schwach duftender Blütenblätter, keinesfalls starkes, süßes Rosenöl. Die von praktisch allen Rezensenten hervorgehobenen Aldehyde empfinde ich - fast ist es mir peinlich - überhaupt nicht als dominierend, jedenfalls aber nicht als störend oder aufdringlich, sondern im Gegenteil, als fein mit dem Blütenduft verwoben. Oft changiert eine überaus angenehme, schlichte, satte, milchige, kräftige Note von Körperlotion in das Duftgeschehen hinein und manchmal nehme ich an den Rändern etwas ganz leicht Seifiges (Pudriges spüre ich nicht), etwas Gewürziges, und in der ersten Stunde etwas körpervolles und doch leichtes hellgrün-minziges wahr (vielleicht sind das aber auch Zitrusnoten und ich bilde mir Minze nur wegen des Namens ein).
Sminta ist ein Blumenduft, aber nicht "blumig". Sie ist kräftig, aber überhaupt nicht schwer. Sehr weiblich einerseits, aber irgendwie franst die Geschlechteridentität da doch an den Rändern ständig aus. Sie gefällt mir auch gerade an mir. Sminta imponiert mir als überaus charaktervoller Duft. Sie besitzt eine gewisse Härte und Herbheit, spielt dann auch ins Sehnsuchtsvolle und Sanfte, bleibt aber fest auf dem Boden. Sie hat eine Ahnung von Heiterkeit, sie hat eine Ahnung von Luxus, aber sie ist nicht eine Sekunde, nicht einen Millimeter süßlich, ordinär oder unwahrhaftig. Sie sagt: "Das Leben ist schön, sehr schön, wenn man es richtig zu nehmen weiß; aber es ist vor allem ernst".
Nun kenne ich mich in Damendüften alles andere als Enzyklopädisch aus, aber mir scheint das ein sehr einzigartiges, ungewöhnliches Parfüm zu sein, das auch mich, wie schon Tfortwo, zu Spekulationen über die Zeit seines Entstehens reizt. Ich würde beschwören, das kann kein Duft aus einer Restaurationsperiode wie den 50-ern sein, als die Mädchen süß und die Damen adrett und nett zu sein hatten, und mit Sicherheit ist es auch kein barock-opulenter Duft aus den 80-ern.
Wenn dieser Duft ein Frauenbild transportiert, dann das der hart kämpfenden emanzipierten Frau der 20-er Jahre, der Duft von Marthe Müller aus Jason Lutes wundervoller (leider einstweilen bei Band II hängengebliebener) Comictrilogie "Berlin Steinerne Stadt" / "Berlin Bleierne Stadt". Ich denke an die ersten (vielleicht nebenher in den Jugendverbänden der SPD oder KPD aktiven) Medizin- und Kunststudentinnen, die sich ihre Plätze an der Männerwelt der Berliner Unversität erkämpften (bevor sie von den Nazis wieder an den Herd zurückgestoßen wurden), an die ihren Körper stählenden Tänzerinnen vom Staatsballett und von den Revuen, die bei allem Glamour auf der Bühne zuhause am schlecht ziehenden Kohlenofen und mangels fließend Wasser an der Waschschüssel ihre Toilette machen mussten, und an die schon etwas reifere, bürgerliche, aber seit der Inflation ständig vom sozialen Absturz bedrohte Dame aus Charlottenburg, deren Ehemann amputiert oder mit Kriegsneurose (heute würden wir "posttraumatische Belastungsstörung" sagen) von der Westfront zurückgekehrt war und die sich ihr kleines Stück Schönheit bewahren will.
Und tatsächlich sagt die für gewöhnlich wortkarge Dame von Harry Lehmann am Ende ungefragt: "Das ist ein sehr, sehr klassischer Duft, ein alter, ganz alter". "Älter als ich?" Mildes Lachen: "Oh ja!".
Für mich ist das damit ein überaus moderner, fast zu Tränen rührend schöner Duft (und rührend auch, dass er so lange überlebt hat). Wenn ich einmal einer wahren Dame, sei sie nun 25 oder 75 Jahre alt, durch eine Parfümgabe ein wirklich riesengroßes Kompliment für ihre Schönheit, und zwar auch die ihrer Seele, machen wollte, ja, dann könnte es Sminta sein. Nun wäre Frau von Spee vielleicht nicht allzu amüsiert, wenn ich einer anderen Dame Parfüm schenkte. Aber es muss ja auch keine andere Dame sein.