
Cilly
Top Rezension
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Weiße Blüten und ich – kann das gut gehen?
Von einem lieben Freund bekam ich den neuen Memo-Duft „Ilha do Mel“ geschenkt, ein ‚grüner’ Duft sollte das sein, und ich frohlockte, denn gerade im Frühling stehe ich total auf Grün. Frisches wie herbes Grün. Aber das Lesen der Inhaltsstoffe ließ große Fragezeichen auf meiner Stirn entstehen. Besonders meine Angstgegner Jasmin und Orangenblüten ließen mich innerlich zurückschrecken und die Nase rümpfen. Nein, nein, nein, das ist nicht meins, das kann es nicht! Wie denn auch, wenn ich doch sonst auf Oud und Zeder und Tabak abfahre?
Aber – ein so wertvolles Geschenk soll man nicht wie den geschenkten Gaul behandeln, sondern mit Respekt und Dankbarkeit. Also einen mutigen Sprühstoß auf den linken Handrücken gerichtet, die Luft angehalten und dann vorsichtig genähert...
Tausende sehr süße Duftmoleküle entern meine Riechzellen, gefolgt von Abertausenden Blütenduft-Molekülen. In Erwartung meines eigenen Aufschreiens halte ich die Luft an. Ich schreie nicht. Häh?
Ja, das ist süß. Sehr, sehr süß sogar. Aber jedenfalls nicht vordergründig honigsüß, wie der Name „Ilha do Mel“ (= Honiginsel) mich misstrauisch vermuten ließ. Dafür fruchtig süß, und Mandarinen finde ich schon ganz lecker. Und Hyazinthen mag ich ja auch irgendwie, sind sie doch erste Vorboten des Frühlings, wenn sie unter silbrigen Buntpapier-Hütchen auf der Fensterbank langsam emporwachsen und irgendwann das ganze Zimmer in narkotisierenden Blütenduft tauchen. Doch da ist mehr. Da ist viel Grün dabei – hatte mein Freund doch nicht zuviel versprochen – saftiges, frisches Grün, wie die langen Blätter der Hyazinthen und die dunkelgrünen Blätter der Mandarinen. Den Wacholder kann selbst meine Gewürz-Nase nicht wirklich ausmachen, aber vielleicht trägt er dazu bei, das Süß-Blumige durch seine harzigen und holzigen Noten etwas zu zügeln.
Die Blüten legen jetzt so richtig los: Da Blumen nicht mein Fachgebiet sind, kann ich nicht alle eindeutig identifizieren. Es kommt mir vielmehr so vor, als würde man einen altmodischen Blumenladen betreten, wo Sträuße noch von Hand gebunden werden. Es ist diese wundervolle Melange aus Grün und kühler Frische, Feuchtigkeit und blumiger Süße. Jasmin und Orangenblüten kann ich deutlich ausmachen, aber sie sind nicht so penetrant, wie in anderen Düften. Edler und feiner, es mag am Absolue liegen, dem edleren Rohstoff. Vielleicht ist es der Ginster, der einen feinen Honigton beisteuert und Iris, die dem Duftkonzert die harten Spitzen nimmt, vielleicht ist es auch Vetiver, der bereits hineinspielt.
So langsam wird der Duft sanfter und ruhiger, mit weicher Vanille und dezentem Moschus. Und ich? Ich wundere mich über mich selbst. Dass ich einen solchen Duft tragen mag. Blüten, so gar nicht mein Beuteschema. Und doch, dieser neue Memo hat etwas.
Wie alle Memo-Düfte, die ich kenne, ist er sehr gut gemacht. Kein Duft aus der Memo-Kollektion ist wie der andere. An guten Zutaten wird offenbar nicht gespart.
Auf ‚Aus Liebe zum Duft’ kann man eine ‚poetische’ Beschreibung des Duftes nachlesen. Ich habe sie 3mal gelesen und mich nicht wirklich angesprochen gefühlt.
Zitat: „Strahlen aus Honig versüßten den Jasmin meines Erwachens. Ihre Süße lässt mich Moschus fiebern, die Palmwedel wiegen sich mit deinem teuflischen Lächeln...“
Eher ein Wort-Gewitter als Poesie und wenig konkrete Beschreibung des Duftes. Doch ist es nicht meine Aufgabe, Texte zu kritisieren.
Man muss auch nicht gedanklich oder tatsächlich zur brasilianischen Honiginsel reisen, um sich diesen Duft vorzustellen. Heute gab es nach vielen wundervoll sonnigen Tagen den ersten Regen. Drosseln, Dompfaffen und Kollegen schtilpten und zwitscherten wie entfesselt. Die Natur atmete durch. Alles roch frisch und grün und saftig und blumensüß. Honiginsel im Hamburger Hinterhof. Herrlich!
Zurück zum Duft:
Vielleicht ist „Ilha do Mel“ DER Duft für alle Blüten-Mädchen, für junge Frauen im Frühling und für laue Sommerabende. Aber warum muss man dafür jung sein? Meine Tante Lotte war Ende 60, wog knapp 100 Kilo und duftete intensiv nach Maiglöckchen. Wer also nicht mehr ganz so jung ist, aber selbstbewusst und eh nichts vom Jugendwahn hält, der kann diesen Duft problemlos tragen. Ich bin schon mal dabei. Nicht immer, aber immer öfter...