Annikatz
Annikatz’ Blog
vor 7 Jahren - 17.11.2016
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Die Geister, die ich rief

Das sollte ursprünglich ein Kommentar werden. Zu einem lang ersehnten, interessanten Duft. Und nun merkte ich, dass es mir immer mehr um das "Drumherum" geht und nicht primär um die Duftentwicklung. Deswegen werden es wohl ein paar Worte mehr.

Es gibt Düfte, die einen durch verschiedene Lebenslagen begleiten, einen an bestimmte Menschen und Ereignisse erinnern.

Es gibt Düfte, die benutzt man einfach mal so, weil "ganz nett".

Es gibt Düfte, die findet man an Andren toll, sind aber "nicht so meins"

Es gibt Düfte, die sind einem ein Graus.

Aber es gibt Düfte, es gibt Düfte, mann, wie und wo fange ich nun an? Wahrscheinlich ganz am Anfang.

In einigen Tagen werde ich 37. Und etwa 20 Jahre lang hegte ich meinen ganz persönlichen Traum nach einem bestimmten Duft.

Ich bin in Russland aufgewachsen. Und mit 17 war ich alles andere als gewöhnlich. Wie übrigens jeder in diesem Alter. Aber jeder hat seine eigene Ungewöhnlichkeit- meine bestand darin, dass ich lieber in lang vergangenen Zeiten gestöbert habe. Alte Kleider aus Omas Schrank, alte Phiolen, die noch ein Hauch des früheren Duftes in sich tragen, alte Photos, Bücher, Postkarten, Schallplatten. Aber wem erzähle ich das- ich glaube solche "Verrückten" sind hier schon sehr stark vertreten. Wo waren wir? Ach ja, Schallplatten.

Ich sah ihn, hörte seine Stimme und war sofort hin und weg- Alexander Wertinski. Geboren 1889 im Russischen Kaiserreich. Um 1917 durch seine Pierrot-Auftritte bekannt geworden. 1923 geflohen nach Paris. Um die Zeit entstanden seine besten Lieder. Und eins davon floss von der Schallplatte und traf mich in mein junges Herz.

Ich hab das Lied übersetzt. Hab auch versucht, sowohl auf den Reim, als auch auf den Ton zu achten. Das Lied ist 1925 entstanden, vermutlich in Berlin, wo sich der Meister oft aufhielt. Das war ja neben Paris die "russischste Stadt" Europas.

Das Lied heißt "Das böse Parfum", wobei man hier "böse" eher als "schwermutig stimmend" auffassen sollte.

Vorm Absenden des Briefs ich liebkose die Seiten,

Ihren Duft atm ich ein, und das Herz schlägt ganz schnell,

Und ich sehe die Vögel in schwarz um mich kreisen,

Auf`m Weg in den Süden, aus Ihrem Flakon mit "Nuit de Noel".

Bald ist Frühling, mein Freund, und Venedigs Violen

Singen hoch Ihre Trauer, tanzen um die Schwermut-

In den Zeiten der süßesten Sünden, der heiligsten Fehler,

Seid großzügig mit Küssen, wo die Mandel so bitter erblüht.

Nur um mich keinen Kummer, mein Freund,

Bin ein Vogel, alt, kurz vorm Erfrieren,

Wessen Herrchen mit seiner Drehleiher, zum Tanze mich zwingt.

Zieh die Glückszettel raus, seh nur Trauer in allen Mienen.

Müde bin ich und hoffe, dass Traum Ermutigung bringt.

Vor der Post steh ich, küsse und küsse die Seiten.

Seid nicht böse, das Herz rast ganz schnell.

Das ist alles Ihr Duft- schwarze Vögel, die kreisen,

Auf dem Weg in den Süden,

Aus Ihrem Flakon mit "Nuit de Noel".

In diesem Lied ist persönliche Tragödie des Künstlers beschrieben, die Schwermut, das Heimweh, die Sehnsucht nach Liebe, die Angst vor neuen Verlusten. Und das alles mitunter bewirkt durch diesen ganz bestimmten Duft dieser ganz bestimmten Frau. "Das muss ein ganz besonderer Duft sein. Den werde ich auch mal erleben"-sagte ich mir damals.

Erlebt habe ich Ihn Jahre später. Da habe ich bereits in Deutschland gelebt, und bereits einige kleinere und größere Duftträume erfüllt. Einmal saß ich im Zug neben einer älteren Dame- stilvoll gekleidet, bis ins Detail- Schuhe, Handtasche, Schmuck. Es fehlte nur der Hut, und sie könnte als Schwester der Queen Elisabeth durchgehen. Und Ihr Duft!

Edel, irgendwie schwer, gleichzeitig aber auch nicht, anmutig und einfach fantastisch! Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und sprach sie an. Und als sie den Namen des Duftes sagte, sprang mein Herz fast aus der Brust.Aber der Wunder ging weiter- sie hat mich beduftet!Kurz danach stieg sie aus. Der Duft blieb, und blieb, und blieb. Es war Winter, und auf der Straße nahm ich noch weitere Duftnoten wahr. "So riecht also der erfüllte Traum!"- dachte ich mir.

Nun kannte ich ihn. Also-auf nach Paris, oder? Es war noch vor der Ebay- und Parfumozeit. Nein, ich hab es nicht getan. Irgendwie wollte ich meinen Duft noch ein bisschen träumen. Ich glaube, nahezu jeder von euch kennt das. Seit ein paar Jahren wurde die Stimme in meinem Herzen immer lauter- ja, ich will! Und da begab ich mich auf die Suche. Und nun sind wir alle drei zusammen- ich, "Nuit de Noel" und Wertinski.

Er kehrte übrigens 1943 nach Russland zurück, war als Kabarettist und Kinoschauspieler tätig. Er hat nie Kameraden und Genossen gespielt, sondern Aristokraten aus vergangenen Zarenzeiten. Nach ihm wurde ein 1982 entdeckter Asteroid benannt.

So ist "Nuit de Noel" für mich- ein Kind der alten Zeiten, wo Düfte noch was Wertvolles und Kostbares waren. Schwermutig, edel, sentimental und zeitlos.

Mein Weihnachtsstern, mein Jugendtraum, mein "Nuit de Noel"

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