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vor 6 Jahren - 22.07.2018
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Blind durch die Männerwelt des letzten Jahrhunderts: Blindtest No.2


Wie angekündigt kommt hier mein Blindtest zu Duft No 2:

Diesmal ist der Auftakt deutlich der eines Colognes. Frische und etwas krautige Noten lassen mich spontan an ein dezentes und vornehmes Herren-Cologne der 70er denken. Wahrscheinlich sind es Bergamotte, Neroli, und irgendein Kraut. Das Kraut kann ich nicht benennen. In 4711 sind es ja Rosmarin und Lavendel, aber auch in 4711 rieche ich die beiden nicht explizit heraus, obwohl ich sehr gern mit Rosmarin koche und Lavendel im Garten habe.

Also hier: unklares Kraut, männlicher als in 4711, insofern vermutlich zumindest zusätzlich ein anderes als dort, auf sehr frischem, brillanten, aber keinesfalls bissigem Zitrus, an 4711 erinnernd.

Ich bin sehr sicher, dass dieser Duft mindestens unisex, je nach Erscheinungsjahr und Marke auch als Herrenduft deklariert ist.

Ich selbst würde ihn, wollte ich jetzt nicht diesen Blindtest durchführen, demnächst abwaschen. Nicht, weil er mir nicht gefällt, sondern weil ich mich mit ihm verkleidet fühle. Ich empfinde ihn als zu männlich für mich. Aber, was bin ich froh, ihn nicht abgewaschen zu haben, denn nun wendet sich No. 2 ins Balsamisch-Harzige. Ich meine plötzlich, den traumhaft schönen Geruch blühender Macchie zu erahnen, leicht würzig, herb. Ist da Zistrose dabei? Labdanum? Auch ein süßlicher Tabak und ein Hauch von trockenem Holz und Iris kommen mir in den Sinn. Diese erlesene und sanft betörende Phase könnte für mich gern noch viel, viel länger anhalten!

Gen Basis wird der Duft in meiner Nase mehr und mehr zu einem pudrig-süßlichem mir sehr angenehmen Tabakduft mit Resten von harzigen Anteilen, sehr weich, warm aber immernoch leicht, trocken und transparent. Auch Tonka könnte nun dabei sein. Und es kommt sogar meine 70er-Assoziation erneut: Mich weht ein Haarspray-Moschus an.

Dies ist kein männlicher Wummser für Sillageliebhaber, die mit ihrem Duft den ganzen Raum mit abfeiern wollen, nein, die gewisse Leichtigkeit, Trockenheit und Transparenz erinnert mich an typisch europäische Herrendüfte des 20. Jahrhunderts.

Trotz der Cologne-Anmutung und obwohl die Sillage dezent ist, hält der Duft doch weit über 8 Stunden, wobei die letzten Stunden nur noch aus weichem Tonka(?) und Haarspraymoschus bestehen. Freundlicher ausgedrückt könnte ich von Haarpuder oder Barbiersalon sprechen. Aber nicht seifig! Eben Haarspray.

Insgesamt würde ich sagen, dass es sich hier um einen sehr edlen, eleganten und fein austarierten, Herrenduft handelt. Durchgehend hat er den Charakter von Leichtigkeit, Trockenheit und Transparenz, aber ohne schwach zu wirken. Er erweckt das Flair eines echten, modernen Gentlemans: Freundlich, zurückhaltend, Understatement mit Klasse, aber auch nicht kühl oder unnahbar.

Dieser Duft würde mich an einem Mann sehr anziehen, jedenfalls die ersten 4-5 Stunden. Das soll was heißen! Mir fällt jetzt kein anderer Duft ein, von dem ich das sagen könnte. Allerdings, die Haarspraynote verdirbt ihn mir am Ende. Die könnte für meinen Geschmack gern wegfallen. Sie rückt den Duft, den ich vorher in die Spitzenklasse verortet hätte, zurück in profanere Gefilde. Ich glaube, ohne diese Note wäre der ganze Duft besser dran gewesen, auch wenn er dann weniger lange gehalten hätte. Dann wäre er ein echtes Cologne gewesen. So ist er ein Hybrid.

Aber das ist eben nicht zuletzt auch Geschmackssache.

Auch diesen Duft testete ich an beiden Tagen bei Temperaturen um 30 Grad. Ich ahne beim Händewaschen, dass die Kräuter bei mehr Luftfeuchtigkeit wohl intensiver wären.

So. Wieder mal weit aus dem Fenster gelehnt. Nun seid Ihr dran mit Raten! Männer vor! Frauensleut' natürlich genauso!

Lasst Euch den Spaß nicht nehmen, es geht nicht darum, richtig zu raten, sondern Freude zu haben, Lust am Spiel, und dabei ein wenig über die Dinge zu sinnieren, die uns außer dem Duft selbst bei unserer Beurteilung beeinflussen.

FrauLohse hat als einzig Wissende sicher wieder ihr ganz besonderes Amusement.

Danke an sie für die Blindtestprobe No. 2!

Edit um 12:47 Uhr: Ehe die Überschrift zu Missverständnissen führt: Ich glaube nicht, dass der Duft original aus den 70ern ist. Ich glaube, es ist ein junger Duft (oder eine umfassende Reformulierung), denn die trocken-holzigen Untertöne in der Herznote empfinde ich als typisch moderne, aber hier sehr gut gemachte und hervorragend dezent eingebundene, künstliche Riechstoffe. Vielleicht ist es sogar Cashmeran.

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