Plotzenhotz

Plotzenhotz

Rezensionen
Plotzenhotz vor 3 Monaten 2 4
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Flakon
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Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft
Die Mysore-Bibliothek und ich
Junger Moschushirsch
Betritt jahrhundertealte Gewürzbibliothek
Mächtige Regale aus dunklem, erfahrenem und wiesentragendem Sandelholz umgeben ihn
Der Vorgarten ist ausgeschmückt mit Lavendelblumen
In einem sonst unscheinbaren Regal entdeckt er ein Buch mit feinem Ledereinband
Seine Aufmerksamkeit ist geschürt

Wie durch Zauberhand öffnet sich ein Portal in die Traumwelt
Vergangen sind alle physischen Lasten
Die unbeirrte Seele findet sich in einem Tabakmeer voller Rosenblätter wieder
Auf ihm treiben vereinzelt Jasmin und Vanilleblüten
Der Moschushirsch befindet sich in einem Zustand tiefer Ruhe und Glückseligkeit

*

Nun - heute mal ein anderer Rezensionsstil für einen Duft, der sich auf andere Weise erfahren lässt, als die bisher durch mich beschriebenen Parfums. Vielen Dank an Francesco33, der mich zu diesem Schmuckstück gebracht hat. Die Attarform tut dem Duft wirklich sehr gut. Sie lässt zu, dass man sich Zeit nimmt und dem Öl Zeit lässt, sich zu entfalten. Dazu spiegelt sie in meinen Augen genau das wider, was The Perfumist hiermit zeigen möchte. Kein Schreihals, kein Auffallen um jeden Preis, kein krampfhaftes "gepflegt wirken" und keine Oudkeule. Die Komposition lädt ein zum Entdecken und treiben lassen.
Ich komme zur Ruhe zwischen all dem alten Holz, den Gewürzen und Kräutern und den zu einem schönen Gesamtbild verblendeten Blüten. Leicht (!) süß ist er ja schon, doch das stört mich nicht. Leichte Ähnlichkeiten weist er für mich in den ersten Stunden zum Tibetan Musk der ersten Generation auf, der ebenso ohne jegliche Animalik daherkommt, aber das soll nur eine grobe Orientierung sein.

Natürlichkeit und Ehrlichkeit ist der Schlüssel zum wahren Geschichtenerzählen und das ist, was hier für mich zählt.

*

Und damit wünsche ich euch eine schöne Zeit, wann auch immer ihr das hier lest und möchte euch anregen, euch mal wieder auf einen (für euch traumhaften) Duft einzulassen.
Liebe Grüße :)
4 Antworten
Plotzenhotz vor 7 Monaten 6 9
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
Es ist nicht alles Gold, was glänzt...
aber dieser hier hat zumindest einen kleinen Funken vom seltenen Schimmer abbekommen.

Liebe Parfumas und Parfumos,
ich bin garantiert nicht der Erste, der sich zu diesem finanziell wie auratisch (ja, das Wort scheint es wirklich zu geben. Wenn nicht, belehrt mich eines besseren...) außergewöhnlichen Duft zu äußern scheint. Ich bin nicht der Erste, der den Preis anspricht und dennoch versuche ich, meine Sicht der Dinge zu beleuchten und vielleicht hilft es euch ja weiter. Who knows?

Wo wir auch schon beim ersten Punkt wären und den würde ich gern entgegen meiner bisherigen Rezensionen direkt nach vorne ziehen. Clive Christian war sich bisher selten zu schade, die auf dem Markt "geltenden" allgemeinen Preisvorstellungen in ihrer Obergrenze zu sprengen und den Durchschnitt der Meinungen, was ein Duft Wert sein kann und was nicht, deutlich nach oben zu "korrigieren". Sei es ein Freshie wie der 20: Iconic Masculine - natürlich streng limitiert und durch 9€/mL dementsprechend exklusiv - oder gewisse dunkelgrüne Flakons der 1872er-Reihe, die sich in ihrem Preis eigenständig gesteigert haben. Die Auswahl der Kundschaft und das damit verbundene Gefühl der Besonderheit und das Statussymbol einen echten Clive zu besitzen, spielen der Marke gestern wie heute mächtig mit und in die Karten. Chronologisch von mir inkorrekt aufgeführt, bildet nun die Speerspitze des CC-Listenpreises dieses Schmuckstück, welches selbstlos auf den Namen No. 1 for Men hört. 15 (!) €/mL kostet der Spaß neu und da darf man(n und Frau) sich zurecht fragen: "IST ES DAS WERT?"
Ich sage NEIN und für die Hälfte des Preises könnten wir schon eher drüber reden. Dann wären wir ja bereits in bekanntem Terrain eines gewissen Roger Birds unterwegs. Der Herr muss sich zwar zur Zeit andere Vorwürfe aus der Parfum-Community gefallen lassen, aber darum soll es heute nicht gehen...

Warum habe ich trotzdem einen Flakon davon in meiner Sammlung stehen?
Nun, aus gleich zwei Gründen: Zum einen würde mir das große Glück zuteil, nicht den Neupreis bezahlt haben zu müssen. An dieser Stelle, möchte ich mich ganz klar und nicht nur einmal bei dem Freund bedanken, der mir dies ermöglicht hat. Du weißt, dass du gemeint bist :)
Zum anderen spreche ich über den No. 1 for Men, weil er es mir persönlich wert ist. Das bringt uns zum Punkt

Duft:
Der Auftakt riecht unfassbar frisch und edel zugleich. Es ist nicht diese Sommer-Minze-Zitronen-Frische eines "Torino21 | XerJoff" und auch keine mineralische Frische einiger Ambergris-Kompositionen. Auch wenn die einzelnen Bestandteile für meine Nase nicht sauber herausriechbar sind, schreibe ich den belebten und vielschichtigen Start einer Mischung aus der Limette, der Paprika und der Grapefruit zu, die mit Kümmel, Muskat und Kardamom veredelt wurden. Gerade das strahlt für mich so eine Menschlichkeit und Nahbarkeit aus, die ich selten in einem Parfum gerochen habe. Es ist wie die Einsicht, dass kein Fehler sinnlos ist, der zu einer höheren Erkenntnis geführt hat und das ist doch das, was und zu Menschen macht. Keine Fehler zu begehen, ist es auf jeden Fall nicht. Klingt jetzt aber ganz schön hoch geschwafelt, ich weiß und ich tue mich gerade schwer, das besser zu umschreiben, aber der No. 1 for Men ist sauber, gepflegt und professionell, ohne perfekt sein zu wollen. Das macht dieser "Menschlichkeits-Akkord" für mich aus. Ihr müsst mir dabei nicht zustimmen. Wenn mir bessere Worte einfallen, werde ich das zukünftig abändern. Mich würde nur interessieren, ob ihr das ähnlich seht.
Nach einer Stunde schält sich langsam, aber sicher die Iris aus dem Herz frei, die wahrscheinlich genauso zum oben beschriebenen Phänomen beiträgt und da ist es natürlich zum zweiten Mal um mich geschehen. Ich mag Iris einfach und werde sie immer mögen. Sie beschert dem Duft die frische Cremigkeit, die er besitzt und auch eine gewisse Pudrigkeit, bleibt dabei aber stets soweit im Hintergrund, dass der No. 1 for Men nicht ins Erdige tendiert. Nach 4 bis 5 Stunden schlägt das Herz des Dufts zugunsten der Rose um, die nun die anderen Blumen überwiegt. Es wird kein Rosen-Duft werden. Keine Sorge an alle, die nun schon gebangt haben, aber auch sie wurde sehr gut eingebunden von Frau Choux. Nicht fleischig hebt sie die fruchtige Seite des Parfums ein wenig hervor. Gekonnt umgesetzt. Die anderen Blüten im Herz spielen keine Hauptrolle, sondern reihen sich ein und verbleiben diffus im Hintergrund. Sie sind da, aber nicht sehr präsent.
Bei der Basis tue ich mich ein wenig schwer, sie zu beschreiben, weil ich selbst sie nach über 9h Duftvergnügen nicht mehr wahrnehme. Andere Menschen in meinem Umfeld, die den Duft sehr wohl noch riechen, geben mir stets sehr positives Feedback, was kein schlechtes Zeichen ist. Ich habe schon des öfteren gehört, dass das ein bekanntes Phänomen bei CC-Kandidaten sei, dass sie nach einer gewissen Zeit nur noch vom Umfeld, dafür von dem aber sehr gut, wahrgenommen werden.

Haltbarkeit:
Wie bereits angesprochen mir völlig ausreichend. Ich komme damit gut durch den Tag und habe in der Vergangenheit schon die Erfahrung gemacht, dass mir mehr Haltbarkeit nicht zwangsläufig besser gefällt. Irgendwann reicht mir ein Duft auch wieder und wenn er bis zu dem Zeitpunkt sehr natürlich und wohlriechend performt, ist mir das mehr wert, als eine Synthetikbombe mit 20h+.

Sillage:
Genau richtig. In den ersten zwei Stunden noch noch gut über eine Armlänge, fährt er langsam zurück und wird nach einiger Zeit immer ruhiger, ohne nicht mehr abzustrahlen. Die Wolke, die euch umgibt, wird nie negativ auffallen.

Flakon:
Hübsch, aber nicht das, was ich mir auf den Bildern vorgestellt habe. Der Sprüher ist dafür typisch CC top und großzügig in dem, was er austeilt.

Für wen ist der etwas?
Ich empfand den gar nicht so "for Men", sondern ziemlich unisex. Ich kenne auch den No. 1 for Women und so verschieden sind die sich nicht. Wird wahrscheinlich genau den Grund haben. Beide haben jeweils andere Facetten etwas stärker beleuchtet, aber das kann man sich ja nach seinen Vorlieben selbst aussuchen. Ich sehe den dementsprechend an Menschen der Altersgruppe 25 und aufwärts (ohne Grenze), die auf wirklich feine Abstimmung ihres Parfums stehen, vielleicht auch schon das eine oder andere im Leben gesehen haben, aber das muss nicht zwingend und vor allem einen wahren Duft für (fast) alle Lebenslagen suchen. Gut, im Club würde ich den jetzt nicht als erste Wahl tragen, aber ob auf Arbeit oder beim Date oder beim Familienessen oder einfach mal für sich selbst, ist dann eigentlich zweitrangig.

Ich bin froh, ihn trotz der Kritik mein Eigen nennen zu dürfen und werde ihn stets schätzen sowie mit Freuden tragen.
Ich danke euch bis zum hierhin lesen und interessiere mich wie immer für eure persönliche Meinung.

Zu guter letzt der Vergleich zum Diaghilev Parfum und zum Gold Man. Ich stimme bei beiden nicht zu, dass sie ähnlich wie der No. 1 for Men riechen, aber in der Message, den die drei Düfte aussagen, sehe ich Übereinstimmungen. Der Diaghilev Parfum wirkt ein wenig reifer (um nicht zu sagen älter) und macht bei all seiner Feinabstimmung mehr einen auf dicke Hose und der Gold Man hat mehr Seife im Gepäck. Letzteren mag ich doch auch sehr.

Nun aber bis bald & eine gute Zeit
9 Antworten
Plotzenhotz vor 10 Monaten 18 2
10
Flakon
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Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
"Feige, Rose, Safran, Oud..." oder "Vergleich zweier Kontrahenten"
Hallo liebe Leserinnen und Leser,
heute möchte ich mein Augenmerk auf zwei Düfte richten, die ich zwar zufällig und aus verschiedenen Gründen gleichzeitig testen konnte, die aber nicht nur preislich, sondern auch kompositorisch ein ähnliches Publikum ansprechen sollen. Die Rede ist vom Amber Aoud Parfum, den ich mit dem Nefs vergleichen möchte. Ich hoffe, ich kann damit nicht nur mir selbst, sondern auch einigen anderen von euch weiterhelfen und für welchen ich mich am Ende entscheiden würde, schiebe ich erstmal nach hinten. ;)

Nun aber zum Amber Aoud Parfum, den ich zuerst in der hochkonzentrierten Version als Amber Aoud Absolue Précieux kennenlernen durfte. Ja, der ist wirklich klasse! Wahnsinnige Qualität der Inhaltsstoffe, laaaaaange Haltbarkeit und der kommt echt sehr gut an, aber dennoch hatte mich schon lange die "Urversion" interessiert. Im Laden von der heutigen Version enttäuscht, beschloss ich eines Tages doch nochmal im Souk die Chance zu ergreifen einen Flakon aus 2018 zu ergattern. So richtig mit schöner dunkler Farbe und gedrucktem Batch und so. Habe ich mich gefreut auf den!

-- Kurzer Einschub: Die Version aus 2023 hat mich im Br*ninger deshalb enttäuscht, weil sie leider wenig mit dem Absolue Précieux, das ich kannte, teilte. Der Duft war auf Gefälligkeit getrimmt. Deutlich süßer, irgendwie flacher und gleichzeitig dünner. Der wirkte wie eine mäßige Kopie des "Wahren" und von der Haltbarkeit will ich gar nicht erst anfangen. Ich dachte, der Duft ist für mich durch, bis ich auf den alten Amber Aoud Parfum stieß. Aber wie riecht der denn nun? --

Duft:
Der Start formt aus zitrischen Spritzern voll Frische, einer fleischigen Feigenfrucht und den darunter liegenden warmen Basisakkorden eine wirklich phänomenale Rose. Nicht die klassisch rote Liebesrose, sondern eher eine kecke roséfarbene mit leichten violetten Sprenkeln. In den nächsten Minuten und Stunden wandelt sich der Duft oft. Mal tritt die Feige mehr in den Vordergrund, mal mischt sich der Jasmin unter, während der Safran und das angenehm helle und freundliche Oud (zero Kuhstall) stets für die nötige Struktur im Trubel sorgen. Ich bekomme zwischenzeitlich immer so ganz leichte Mandel-Eindrücke zwischen den Zeilen, welche mich aber nicht im Geringsten stören. Nach ein paar Stunden geht es deutlich cremiger zu. Die Citrusfrüchte haben ihre Arbeit getan und die ruhigeren Bestandteile bilden eine Basis aus Sandelholz, Iris, Patchouli und einigem mehr, in die man sich gut und gern fallen lässt. Mir sagt der Duft von vorn bis hinten sehr zu, auch wenn die Kombination mit der Ambra nicht so ein Spannungsfeld aufbaut, wie z. B. beim Bruder Musk Aoud. Der Duft bereitet mir trotzdem stets gute Laune und so soll es sein.

Haltbarkeit:
Mich begleitet der Duft den ganzen Tag. Ich lege gern am Abend noch ein zweites Parfum auf zusätzlich zum Tag und das geht hier sorgenfrei. Wenn ihr den Duft am Abend auftragt, dann ist das ein absoluter No-Brainer. Und der Duft arbeitet merkbar mit den umgebenden Bedingungen wie Temperaturen, Sonne und eurer Haut, was die Haltbarkeit angeht.

Sillage:
Kein Brecher, aber definitiv über dem Mittelfeld. Heißt, man nimmt euch wahr mit dem. Meine Partnerin kam nach Hause und meinte, dass es in der Wohnung angenehm nach Rosen riecht. Der Duft ist also auch in dieser Kategorie als absolut Menschenmengen-tauglich einzustufen.

So. Und wie bekomme ich hier die Kurve zum Nefs? Ganz einfach! So nämlich:
Ein guter Freund hat sich den gekauft und ich war neugierig. Also eine Abfüllung von seinem Flakon gezogen und ab auf die Haut damit.
Wie performt der denn nun im Vergleich?
Der Nefs geht deutlich mehr voran, kommt auch hier und da süßer daher. Christian Carbonnel hat das Konstrukt aus Feige, Rose, Safran und Oud etwas stärker eingebunden. Meiner Meinung nach wird hier einem süßen Bestandteil, den es bei Roja gar nicht gibt, ein würzigerer entgegengesetzt. Der Honig im Opening wird eingefangen vom Salbei, die deutlich rotere Rose wird mit Muskat liiert und dem Whisky/Vanille-Akkord in der Basis wird ein Leder entgegengesetzt, welches schon lange vorher mitschwingt. So wirkt der Duft sehr ausgeglichen, meisterlich balanciert, verliert aber auch eine gewisse Verspieltheit, die der Amber Aoud Parfum mitbringt und passt einen Ticken besser auf Männerhaut. Der Roja geht für mich als eindeutig Unisex durch.

Für wen ist der Amber Aoud Parfum etwas?
Für alle, die einen wirklich edlen halbsüßen Orientalen mit dem gewissen Etwas suchen. Der passt sowohl zum Anzug, als auch zur Urlaubsbluse, zu Mann und Frau, zu Cocktailbar-Abend und Zeugnisfeier. Im Vergleich zum Nishane ist dieser Roja ein bunter Vogel in einem tollen Federkleid, aber eben auch fragiler.

Wem könnte der Nefs mehr zusagen?
Parfumas und Parfumos, die wahrgenommen werden sollen. Haltbarkeit und Silage liegen beide nochmal merkbar über dem Amber Aoud Parfum. Der wirkt bestimmter und Männer könnten den ein kleines bisschen mehr mögen. Auch habe ich die Erfahrung gemacht, dass der Nefs nicht zuletzt die Zielgruppe anspricht, die sich nach Tobacco Vanille Eau de Parfum und "Naxos | XerJoff" weiterbilden möchte. Sprich: Gefälligkeit ist auf jeden Fall gegeben. In der Spätphase (nach 10h +) zeigt sich noch ein intensiveres Oud, welches aber nicht böse oder animalisch wird. Beide Düfte bewegen sich noch im entspannten Euro-Oud-Bereich. Vorwarnung: Wer ALD und EO kennt, darf hier nicht ähnliches erwarten. Dennoch sind beide Kandidaten toll gemacht und auch Freunde des Adlerholzes können sich entspannt mal einen Abend zurücklehnen und sowas hier tragen.

Fazit: Ich bevorzuge aus den beiden den Amber Aoud Parfum. Vielleicht mag es Gewöhnung aus meiner bisherigen Roja-Vergangenheit sein. Vielleicht vermisse ich die gewisse Boozyness des Nefs auch einfach nicht. Definitiv spricht die Komposition um die Rose herum für mich für den Roja und seine tolle Spritzigkeit, die lange erhalten bleibt.
Damit möchte ich euch für heute entlassen und bin gespannt darauf, was ihr sagt und für welchen ihr euch entscheiden würdet/entschieden habt. :)

Vielen Dank fürs Lesen und eine schöne Zeit euch!
2 Antworten
Plotzenhotz vor 1 Jahr 11 2
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
8.5
Duft
Hohe Parfümerie oder hoher Pfirsich? Egal, mir gefällt´s
Hallo zusammen,

ich melde mich wieder mit einer Rezension zu einem neuen Roja, der eigentlich ein "Gefälligkeitsklassiker" werden könnte. Ich meine das so, dass es Rojas gibt, die euch viele, viele Duftnoten gleichzeitig um die Ohren hauen, überfordern können, und (mir) manchmal auch zu viel sind. In meinen Augen ist das z. B. ein Diaghilev Parfum. Und versteht mich bitte nicht falsch. Düfte wie letzterer sind KLASSE komponiert, aber halt nicht easy-to-wear. Ja ja, sollen ja auch keine Dailies sein, aber ich muss mir ja auch keinen Duft kaufen, der mir schlicht zu viel ist. Ich hoffe, ihr verschont mich für diese Ansicht.
Ganz anders ist jedoch der Roja Dove Haute Parfumerie (2024) für mich. Und so startet auch schon meine zweite Parfum-Review.

Duft:
Roja Dove greift auf DEN unisex-Start der Marke zurück. Frisch und ganz leicht zitrisch wird's mit Aldehyden, Limette und Bergamotte. Kommt mir bekannt vor, kommt euch bekannt vor, kommt sicherlich gut an. Nach ein paar Minuten dreht der Duft auf meiner Haut voll auf. (Liegt vielleicht auch daran, dass ich die Parfums im Kühlschrank lagere und sie sich erst auf der Haut erwärmen müssen. Wie ist eure Erfahrung dazu?) Die Blumen blühen langsam auf. Rose, Freesie und Magnolie kämpfen sich ans Sonnenlicht (bitte entschuldigt diese Wortwahl; ist vielleicht eine Berufskrankheit :D), wobei der Salbei stets dafür sorgt, dass der Duft nie zu sehr ins Feminine abdriftet und für alle Geschlechter schön tragbar bleibt.
Doch was wäre dieser Duft ohne seinen eigentlichen Hauptakteur? Roja entschied sich für einen alten Bekannten: den Pfirsich. Als ich dies zuerst laß, hatte ich Sorgen, einen Fehlkauf getätigt zu haben, weil ich kein besonderer Fan dieser Duftnote bin. Oft gerochen, oft dran gestört, aber Roja Dove Haute Parfumerie (2024) hat mich wieder versöhnt. Ein leichter und floraler Pfirsich wie dieser hat sich den Weg in mein Duftherz zurückerkämpft. Dieser spielerische Mix der Noten verbleibt lange über viele Stunden und macht gute Laune. Roja-typisch wechselt der Duft dabei immer mal leicht seinen Charakter, während alle Noten abwechselnd mit dem Pfirsich spielen, wobei sich der Grundtyp nie zu stark abweicht. Auch als sehr schön empfinde ich, wenn das Moos aus der Basis durchscheint und zu einem "sanften Momentum" führt.
Ist der Pfirsich einmal weg und hat alle Blumen mit sich genommen, bleibt eine lange, schwach holzige Basis übrig, bei der auf meiner Haut das sehr cleane Oud zusammen mit dem synthetischen Duftstoff Clearwood übrig bleiben. Auch hier passiert noch was und das gefällt mir so an diesem Parfum. Der Rhabarber blitzt kurz auf und verleiht letzte spannende Momente, bevor alles zur Ruhe kommt und damit hätte ich schon lange nicht mehr gerechnet.
Alles in allem empfinde ich den als nicht zu süß, auf jeden Fall fruchtig-frisch-blumig und ab und an auch leicht cremig, bevor er ins hell-holzige abdriftet. Der Verlauf ist sehr gut aufeinander abgestimmt. Das kann man bei dem Preis auch mindestens erwarten, aber ich möchte es hier trotzdem gern erwähnt haben.

Haltbarkeit:
Mich begleitete er an meinen mehreren Testtagen hintereinander von morgens um 8 bis locker abends um 22 Uhr, auch wenn er später nicht mehr stark wahrzunehmen ist. Aber das gefällt mir und dazu unten mehr. Mich stört es auch nicht, dass ich den ganzen Tag diesen einen Duft trage, da er sich für mich oft genug wandelt und nicht starr oder linear daherkommt.

Sillage:
Ich verstehe, dass die Duftentwicklung der letzten Jahre immer mehr hin zu Düften mit extremer Haltbarkeit und raumfüllender Wirkung gegangen ist (so zumindest meine Wahrnehmung, ACHTUNG: subjektiv!). Ich bin aber nur teilweise ein Fan davon. Ich möchte mein Umfeld nicht jeden Tag mit dem nächsten Brecher belasten. Ich möchte einen Duft tragen, der mich (im Optimalfall) den ganzen Tag begleitet, aber halt MICH begleitet und dabei niemanden vertreibt. Klar habe ich auch solche, aber die trage ich ja nur, wenn ich jemanden nicht ausstehen kann ;).
Der Roja Dove Haute Parfumerie (2024) strahlt auf meiner Haut die erste/n Stunde/n stärker ab (nie zu stark) und fährt danach merkbar zurück. Gerade die oben beschriebene letzte Phase ist mega angenehm, weil ich sie wahrnehme und die Leute, die sich unmittelbar um mich herum befinden, aber der Raum noch "atmen kann". So soll es in meinen Augen sein, aber andere Menschen haben andere Vorlieben und das ist vollkommen ok so.

Flakon:
Muss ich irgendetwas dazu sagen? Roja-typisch obere Oberklasse vom Sprüher bis zum Design (das pompöse Design wird immer ein Streitpunkt bleiben). Reicht jetzt!

Für wen ist der was und wie kommt er an?
Ich denke, er ist unisex einsetzbar in einer sehr großen Altersspanne und man wird damit im Frühling/Sommer niemals etwas falsch machen. Der in meinen Augen größte Unterschied zu anderen Rojas ist, dass er nicht nur zu den edelsten und seltensten Anlässen taugt, sondern euch auch den einen oder anderen (All-)Tag versüßen kann. Probiert es aus und schreibt mir auch gern eure Meinung dazu, aber ich finde den trotz oder vielleicht gerade wegen seiner hochwertigen Duftstoffe vielseitig einsetzbar. Kein Schweizer Taschenmesser wie z. B. ein "Noble XXI: Art Deco - Cypress | Clive Christian", aber immer gut genug, um einen gepflegten Eindruck zu hinterlassen und positiv aufzufallen. Ich habe stets positives Feedback bekommen.

Würde ich ihn mir kaufen?
Nein. Der Neupreis eines vollen Flakons ist es mir sicherlich nicht wert, aber als Abfüllung (danke an David @MscGrmt) möchte ich ihn in der jetzigen Jahreszeit nicht missen. Chapeau, Roja, für den passenden Releasezeitpunkt! Vielleicht ist der ja eines Tages als Restflakon zum besseren Preis erhältlich.

So, das war jetzt aber ein ganz schöner Ritt und ich hoffe, ich konnte euch ein wenig über den Roja Dove Haute Parfumerie (2024) und meinen Eindruck dazu berichten.

Vielen Dank fürs Lesen und eine schöne Zeit euch!
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P.S.: Um die Frage, ob in Parfums dieser Preisklasse ein synthetischer Duftstoff hineingehört, kann sich gern jemand anders kümmern. Feel free...
2 Antworten
Plotzenhotz vor 1 Jahr 17 4
8
Flakon
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Sillage
10
Haltbarkeit
9
Duft
Die Grenzen des Euro-Oud
Hey zusammen,

ich gebe es offen und ehrlich zu: Ich bin Oud-Liebhaber! Deshalb widme ich meine erste Rezension nach so langem stummem Mitlesen und Mitsouken einem von Ramons fordernden Düften, dem Alhambra Oud.

Duft:
Wir haben es hier mit einem sehr markanten (gerade noch so) Euro-Oud zu tun, das den Duft eröffnet und ihn bis zum späten Ende (dazu weiter unten mehr) nicht nur begleitet, sondern ausmacht. Es ist der uneingeschränkte Star des Dufts. Direkt nach dem Sprühen wird das Holz von einem spritzigen, eher grünen Apfel begleitet, der aber keinesfalls jung oder spitz-stechend riecht. Das weiß Herr Monegal durch das reife Oud zu verhindern. In den nächsten zwei bis vier Stunden formt sich der Apfel immer klarer zu einer Rose. Dieser Schritt vergeht aber nicht einfach so digital von 0 auf 1, sondern hier passiert für mich etwas spannendes, sehr gekonntes. Während der Metamorphose von der Rosaceen-Frucht zu einer Blume durchläuft der Alhambra Oud viele, viele Facetten. Dabei immer untermauert von einem wirklich authentischen, nicht zu medizinisch-cleanem, aber NIE (!) animalischen Oud. (Habe mal gelesen, Ramon Monegal destilliert seine ätherischen Öle selbst. Meinen Respekt an dieser Stelle) Ist die Wandlung vollbracht, verbleibt eine weichere, unweniger intensive Variante des Parfums auf der Haut bis zum Ende. Ambroxan und Birke schmiegen sich leicht an, klinken sich ein und tragen den Duftstar Oud bis zum Ende, ohne selbst zu viel Aufmerksamkeit einzufordern. Vorbei geht eine olfaktorische Reise weit über die Grenzen der Festung im Süden Spaniens hinaus.

Haltbarkeit:
Lang! Begleitet dich vom Aufsprühen am Morgen (oder wann auch immer) bis ins Bett. Ist wahrscheinlich sehr unabhängig vom Hauttyp.

Sillage:
Der Knackpunkt des Dufts ist, dass er wirklich (wirklich) raumfüllend performt. Gut: man bekommt viel fürs Geld geboten. Schlecht: Andere auch. Also seid vorsichtig und überlegt euch vorher, was ihr damit vorhabt. Auf eine Zugfahrt oder eine Flugzeugreise würde ich den Duft eher nicht mitnehmen, denn der ist sehr potent. Drei, maximal vier Sprüher reichen locker aus und ihr befindet euch in der orientalischen Wolke. Auch wenn ich Düfte nur für mich und für niemanden anders trage, ist das ein Akt der Rücksichtnahme. :)

Flakon:
Wie bei RM gewohnt sehr solide. Der Atomizer ist gewiss nicht auf Roja-Niveau, aber - ehrlich - muss er das? Mir gefällt besonders der Deckel mit Scharnier, schöne Idee.

Für wen ist der was und wie kommt er an?
Meines Erachtens ist er kein guter Duft, um Oud kennenzulernen. Der fordert schon mit seiner Intensität, der will schon bewusst getragen und wahrgenommen werden. Kann mir vorstellen, dass bei jemandem, der mit der Note noch nicht zu vertraut ist, der Reflex schneller zum Abwaschen tendieren kann. Deshalb würde ich den jenen Menschen empfehlen, die nach ein paar gefälligeren Düften tiefer in die Welt des Adlerholzes einsteigen wollen. (Kann ich nur wärmstens dazu raten :D) Wer erste Berührungen mit dem Thema Oud riskieren will, den möchte ich hier eindeutig an Düfte von Jodi Fernandez (wie z. B. Infusion Velours Eau de Parfum oder "London | Widian / AJ Arabia") verweisen. Der Mann weiß wie kein zweiter das Holz verständlich und verträglich einzuarbeiten. Auch ein guter Einsteiger im Haus Monegal ist übrigens Agar Musk.
Ich empfinde den Duft als eher maskulin, aber sicher kann jede/r mit einer gewissen präsenten Einstellung den tragen. Altersbeschränkungen möchte ich nicht vergeben. Der ist eindeutig ein Statement- und kein Dateduft, auch wenn er kein orientalischer "Stinker" ist. Das Gegenüber wird möglicherweise überfordert sein ohne geschulte Nase. Ich trage den Duft gern für mich und meine Freundin mag übrigens auch sehr, wenn ich den trage.
Mein Geheimtipp: Legt den an einem frischen Frühsommer-Sonntagmorgen für euch auf, legt euch auf die Terrasse und lasst euch langsam von der Sonne und diesem Duft aufwärmen.

Um den Bogen zum Titel wieder zu kriegen. Für mich sind Einteilungen in europäische und orientalische Ouddüfte eher wage Orientierungen als harte Grenzen. In meinen Augen (oder meiner Nase, oh well whatever nevermind...) kann der Alhambra Oud Platzhirschen wie dem Nefs im Segment der fortgeschrittenen Ouds durchaus den Kampf ansagen, aber macht euch dazu ruhig einen eigenen Eindruck.

Genießt die nächste Zeit und bis bald...
4 Antworten