Gipsy
Als ich noch nicht in Elternzeit war, hatte ich eine neue Patientin. Sie hatte sich mit jemandem gestritten. Es kam zu Handgreiflichkeiten, eins führte zum anderen und sie landete schließlich mit hässlichen Stichwunden im KH.
Sie kam mit einer Verordnung zu mir, aufgrund multipler Sehnendurchtrennungen der Hand. Sowas ist langwierig und nicht ganz einfach zu behandeln, aber darum geht es hier nicht.
Sie war eine sehr kleine Frau, untersetzt mit rabenschwarzen Haaren. Große goldene Creolen zierten ihre Ohren, während ihr Kleidungsstil sehr auffallend daherkam. Viele bunte Farben, eine schreiender als die andere. Und so war es wenig überraschend, als schließlich die Frage aufkam, was sie denn Beruflich mache. Mit rauchiger Stimme und herben Akzent meinte sie schlicht. "Handlesen". ÄHM OKAY! Sagte ich und notierte es in der Akte. Da sie nicht mehr dazu sagen wollte, fragte ich auch nicht weiter nach.
Diese Frau nun trug immer einen schweren Duft. Würzig mit Weihrauch, süß und voller Geheimnisse. Ich musste jedesmal nach der Therapie das Fenster öffnen, denn der Duft neigte stets dazu es sich in meinem Raum gemütlich zu machen, sich meine Bilder und anatomischen Bücher anzusehen und eventuell noch Zeitung zu lesen, während seine Trägerin schon längst vorausgegangen war.
Diesen Duft nun hatte ich unlängst wieder in der Nase, als ich mit den mir wichtigsten Menschen unterwegs auf einem Spektakulum war. Für Laien, ein Mittelaltermarkt.
Und als wir so von Stand zu Stand laufen, an den Feuerspukern vorbei, den Bader links liegen lassend, erschnüffelt meine Nase genau diesen Duft. Ein bisschen wie der Lilac love von amouage, jedoch noch Raumfüllender. Als hätte der Duft eine eigene Persönlichkeit und führt den Träger spazieren und nicht umgekehrt.
Ich also mein Kleid gerafft um schneller durch die Gewandete Meute zu tauchen. Der Sichtbaren Duftspur hinterher. Und in der Mitte des Marktes, steht nun ein ziemlich wackeliger alter Zigeunerwagen. Komplett aus Holz gebaut und bunt angestrichen. Davor steht ein Schild, auf dem mit wackligen Buchstaben "Madame Galina, Orakel" steht. Und darunter selbstverständlich die Preisliste und das Angebot in kleinerer Schrift unten drunter.
Neugierig betrete ich, unter Protestlauten und Entrüstungsausrufen seitens meines Mannes diesen Wagen........
Und inmitten dieser sehr imposanten Zigeunerwagenatmosphäre mit allem Pipapo, (Dunkle Tücher mit Sternen drauf, eine alte Kristallkugel auf geschmiedetem Träger, einem alten vergilbten und sehr oft benutztem Kartendeck und war ja klar.... mit schwarzer schlafender Katze auf einem zugegeben nicht ganz passendem Pinkfarbenen Kissen mit goldenem Krönchen drauf) sitzt an einem runden Tisch der Duft. Dahinter sitzt meine ehemalige Patientin. Sehr imposant mit Kopftuch, schweren Ohrringen, lackierten Nägeln und was eben alles dazugehört. Ich freue mich für "Madame Galina", und sie sich auch über meinen Besuch, denn wir bekommen Zitronenlimonade eingeschenkt in sehr kitschigen bunten Plastikbechern. Und als mich "Madame Galina" anschaut und sagt, "sie sind ihrer Nase gefolgt!" Bin ich ehrlich perplex.
Und vor lauter lauter hab ich Dummchen total vergessen sie zu fragen, was für ein Parfum dass denn nun war. Wie gesagt Lilac love nur mit mehr Würze und viel mehr von allem. Opulent fällt mir dazu ein.
Sollte Euch mal ein Duft entgegenwehen und weit und breit ist niemand zu sehen. Seid freundlich zum Duft. Nickt ihm ruhig zu und sagt ihm guten Tag und einen herzlichen und lieben Gruß von mir, denn er wird es Madame Galina ausrichten.
Danke schonmal.