Apicius
Top Rezension
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Regen, der vom Boden in die Wolken fällt
Irgendwo zwischen Basilikum und Zitronenverbene wächst Spinifex, ein in Australien vorkommendes Süßgraß. Diese Duftnote rieche ich in Kalgoorlie zum ersten Mal – den originalen Geruch dieser Pflanze kenne ich leider nicht. Wenn Spinifex tatsächlich im Mittelpunkt von Kalgoorlie steht, dann frage ich mich, warum wir nicht schon längst damit Bekanntschaft gemacht haben. Doch kein einziges weiteres Parfum der Parfumo-Datenbank scheint diese Note zu enthalten. So ist Howard Jarvis ein echtes Novum geglückt, und zwar ein sehr attraktives.
Den Grundcharakter von Kalgoorlie würde ich als krautig-pudrig bezeichnen. Die Pudrigkeit ist ziemlich handfest: ganz bestimmt ist das keine duftige Irisnote, sondern etwas, das ganz solide an Kreide und Kalk erinnert, vielleicht auch an edlen Marmorstaub. Mit dieser knochentrockenen Pudrigkeit sehe ich Kalgoorlie in einer Reihe mit Düften wie Acqua di Parma Colonia, Talco Delicato von I Profumi di Firenze und ein wenig auch Guerlains Mouchoir de Monsieur!
Diese Staubigkeit von Kalgoorlie wiederum lässt noch andere Assoziationen zu: Howard Jarvis bringt selber das Bild von Regen, der auf trockenen Wüstenboden trifft und sich mit dem Staub mischt. Das ist gut nachvollziehbar, wenngleich gewissermaßen in umgekehrter Richtung. Einsetzender Regen auf Straßenstaub erzeugt diese eigentümliche, dreckige Note. Erst allmählich klärt sich die Luft und wird frischer. Doch bei Kalgoorlie steht die Frische am Anfang, und zur Herz- und Basisnote wird der Duft dann dreckig! Diese Regen-auf-Staub-Parfums sind sehr selten, aber es gibt sie: Ob sich Howard Jarvis wohl ein wenig von Neil Morris' City Rain hat inspirieren lassen? Die Interpretation dieses Bostoner Parfumeurs ist viel lauter und hat eine gewisse synthetische Anmutung – die uns bei Kalgoorlie erspart bleibt.
Doch das Beste habe ich bis jetzt noch gar nicht erwähnt: bevor sich die Staubigkeit Bahn brechen kann, präsentiert uns Howard Jarvis eine ausgesprochen gut gelungene Kopfnote. Da gibt es feine grüne Anklänge, etwas Krautigkeit, minzige Frische und eine Würze, die sich als Kurkuma erkennen lässt - und die passt sich ganz perfekt ein! Das ist eine vollkommen ungewöhnliche Zusammenstellung, experimentell und trotzdem stimmig und tragbar. Wie viel Langeweile erzeugt doch das zitrische Einerlei der Kopfnoten so vieler Parfums! Die Alternative, die Howard Jarvis geglückt ist, kann man da nur als genial bezeichnen. Eine so gute Kopfnote ist mir seit langem nicht mehr begegnet.
Leider kann man – wie so oft – nicht alles haben. Die wunderbare Kopfnote verblasst schon in etwa zehn Minuten. Von der Staubigkeit hat man etwas länger. Nach etwa zwei Stunden setzt dann ein schöner Drydown ein, der vielleicht von dunklem, trockenem Amber (?) geprägt ist. Kalgoorlie ist ein komplexer Duft, in dem man viele tatsächliche oder auch nur scheinbar vorhandene Noten entdecken kann. Im Drydown glaubte ich mal kurz minimale Anklänge an eine gummiartige Note zu spüren, wie ich sie mit den Autoreifen-Parfums Bvlgari Black und Ferrari Uomo verbinde. Und kommt da nicht auch eine salzige, aquatische Note hervor?
Kalgoorlie ist besonders als Sommerduft zu empfehlen – es hat einen gewissen Cologne-Charakter. Doch Kalgoorlie hat nichts zu schaffen mit den üblichen Sommerwässerchen aus der Mainstream-Parfümerie. Selten findet man in dieser Sparte ein Parfum von solcher Qualität und Komplexität. Howard Jarvis hat sich mit der krautig-pudrigen Richtung ein Betätigungsfeld gewählt, in dem noch Platz für Neues ist. Kalgoorlie ist eine hochinteressante Alternative zu den oben genannten klassischen Parfums, und ich empfehle sehr, es kennen zu lernen.