Parfum Captive #1 J.F. Schwarzlose Berlin 2017
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Top Rezension
Pfeffer mal anders
Das Zeug hieß „Sigaprim“ und war in meiner Kindheit eines der diversen Penicillin-Präparate. Ich habe noch gut einen schreiend rosafarbenen Saft vor Augen. Und ebenso künstlich schmeckte es, sämig, wie lokal-anästhesierend.
Daran erinnert mich der Auftakt von ‚Parfum Captive #1‘. Pilzig-pelzig wäre ein weiteres treffendes Adjektiv. Und dazu wird heute Pfeffer gereicht, mehr scharf als aromatisch. Im Hinblick auf sein Gewicht in den pyramidalen Angaben finde ich ihn im Einsatz allerdings moderat – bin jedoch kein Maßstab, weil ich gerne scharf esse. Ob das der Grund ist, dass mir der vorliegende Kandidat insgesamt wässrig-blass vorkommt? Selbst das angesagte helle Holz ist lediglich ein Hauch. Nun riecht es in einem Birkenwald (auf einen solchen beruft sich der Hersteller) nicht wie im Sägewerk, also sei’s drum.
Außerdem scheint mir, als sei ein Anflug ihrerseits wässriger Frucht dazwischen. Derart ent-aromatisiert, dass ich sie gar nicht näher benennen kann. Vielleicht ein ausgelutschtes Stück Wassereis*. Eigentlich nicht im engeren Sinne Frucht, eher ein ansatz-fruchtiger, säuerlicher Aspekt von etwas anderem. Hm. Bergamotte tritt gelegentlich völlig entobstet und allein zitrisch-adstringierend auf. Ähnlich ist es hier.
Und schließlich lese ich, dass Szechuanpfeffer – sicherlich aus gutem Grund – auch Zitronenpfeffer genannt werde und ein leicht betäubendes Gefühl im Mund hinterlasse. Das passt alles perfekt, zumal ich auf die ersten Absätze ehrlich ganz ohne lektürielle Nachhilfe gekommen war. Womöglich ist große Duft-Gestaltungskunst zu wittern, obwohl mir die Phantasie fehlt, was das mit einem Birkenwald zu tun haben soll.
Im Verlauf des Vormittags gewinnt der fruchtige Part an Substanz und entwickelt Trocken-Aprikosen-Ambitionen. Die Iris bleibt demgegenüber zurückhaltend. Frisch ist sie und nur minimal karottig; die entsprechende Süße ähnelt jener eines Schluckes Süßwasser nach einem ausgiebigen Bad im Meer. Am zweiten Testtag nehme ich die Iris zwar stärker, aber weiterhin als dezent wahr. Ein winziger Spritzer von ergänzendem Bitterem, eventuell ein Nanoliter Bergamotte, macht die Dame noch aparter. Und wenn ich’s recht überlege: Ja, ‚Captive #1‘ darf cum grano salis (zumindest auch) als Iris-Duft bezeichnet werden.
Im Fortgang liefern die säuerlich-fruchtige Richtung und das Sacht-Süße aus der Iris-Ecke fraglos eine gewisse Innenspannung, bloß leider wird mir die Angelegenheit über den Nachmittag hinweg in ihrer Unveränderlichkeit auf Dauer eintönig.
Fazit: Der Funke mag nicht wirklich überspringen, trotzdem ist ‚Captive #1‘ ein edler und universell tragbarer Duft, letztlich mehr Aura als Parfum.
Ich bedanke mich bei Garcon für die Probe.
* Bei unserem Höker im Dorf war besagtes Wassereis damals erhältlich für – meine ich – einen Groschen das Stück; auf dem sommerlichen Heimweg von der Grundschule Ende der 70er-Jahre. Für die Jüngeren unter uns: Der „Groschen“ ist mittlerweile gefallen, nämlich dem Euro zum Opfer.
Daran erinnert mich der Auftakt von ‚Parfum Captive #1‘. Pilzig-pelzig wäre ein weiteres treffendes Adjektiv. Und dazu wird heute Pfeffer gereicht, mehr scharf als aromatisch. Im Hinblick auf sein Gewicht in den pyramidalen Angaben finde ich ihn im Einsatz allerdings moderat – bin jedoch kein Maßstab, weil ich gerne scharf esse. Ob das der Grund ist, dass mir der vorliegende Kandidat insgesamt wässrig-blass vorkommt? Selbst das angesagte helle Holz ist lediglich ein Hauch. Nun riecht es in einem Birkenwald (auf einen solchen beruft sich der Hersteller) nicht wie im Sägewerk, also sei’s drum.
Außerdem scheint mir, als sei ein Anflug ihrerseits wässriger Frucht dazwischen. Derart ent-aromatisiert, dass ich sie gar nicht näher benennen kann. Vielleicht ein ausgelutschtes Stück Wassereis*. Eigentlich nicht im engeren Sinne Frucht, eher ein ansatz-fruchtiger, säuerlicher Aspekt von etwas anderem. Hm. Bergamotte tritt gelegentlich völlig entobstet und allein zitrisch-adstringierend auf. Ähnlich ist es hier.
Und schließlich lese ich, dass Szechuanpfeffer – sicherlich aus gutem Grund – auch Zitronenpfeffer genannt werde und ein leicht betäubendes Gefühl im Mund hinterlasse. Das passt alles perfekt, zumal ich auf die ersten Absätze ehrlich ganz ohne lektürielle Nachhilfe gekommen war. Womöglich ist große Duft-Gestaltungskunst zu wittern, obwohl mir die Phantasie fehlt, was das mit einem Birkenwald zu tun haben soll.
Im Verlauf des Vormittags gewinnt der fruchtige Part an Substanz und entwickelt Trocken-Aprikosen-Ambitionen. Die Iris bleibt demgegenüber zurückhaltend. Frisch ist sie und nur minimal karottig; die entsprechende Süße ähnelt jener eines Schluckes Süßwasser nach einem ausgiebigen Bad im Meer. Am zweiten Testtag nehme ich die Iris zwar stärker, aber weiterhin als dezent wahr. Ein winziger Spritzer von ergänzendem Bitterem, eventuell ein Nanoliter Bergamotte, macht die Dame noch aparter. Und wenn ich’s recht überlege: Ja, ‚Captive #1‘ darf cum grano salis (zumindest auch) als Iris-Duft bezeichnet werden.
Im Fortgang liefern die säuerlich-fruchtige Richtung und das Sacht-Süße aus der Iris-Ecke fraglos eine gewisse Innenspannung, bloß leider wird mir die Angelegenheit über den Nachmittag hinweg in ihrer Unveränderlichkeit auf Dauer eintönig.
Fazit: Der Funke mag nicht wirklich überspringen, trotzdem ist ‚Captive #1‘ ein edler und universell tragbarer Duft, letztlich mehr Aura als Parfum.
Ich bedanke mich bei Garcon für die Probe.
* Bei unserem Höker im Dorf war besagtes Wassereis damals erhältlich für – meine ich – einen Groschen das Stück; auf dem sommerlichen Heimweg von der Grundschule Ende der 70er-Jahre. Für die Jüngeren unter uns: Der „Groschen“ ist mittlerweile gefallen, nämlich dem Euro zum Opfer.
17 Antworten
Salander vor 6 Jahren
Auch wenn dein Kommentar eher abschreckend klingt, bei Iris und Aura-Düften werde ich immer hellhörig.
Kleopatra vor 6 Jahren
Ach ja, Wassereise mochte ich auch! Dolomiti, Capri...
Seerose vor 6 Jahren
Den muss ich auch nicht haben, so präzise und schmackhaft Du ihn auch beschreibst.
FvSpee vor 6 Jahren
Postskriptiv: Pelz-Pilz-Pokal
FvSpee vor 6 Jahren
Hab mich bestens amüsiert, auch über den Sprachwitz dieses Groschenromans. Auf meinem Heimweg von der Grundschule Ende der 70-er Jahre hat das "Capri" übrigens beim Edeka an der Ecke schon 4 Groschen gekostet. War dein Höker ein Konsum/HO, oder war das ein No-Name-Wassereis?
Ergoproxy vor 6 Jahren
Den fand ich nicht schlecht und an den Penicillinsaft kann ich mich auch noch erinnern. *schüttel*
Helena1411 vor 6 Jahren
Wie ich diesen rosa-zähflüssig-widerlichen Antibiotika-Saft gehasst habe! Und das Wassereis umso mehr! Ein Dilemma bezüglich des Duftes? Nö. Der kriegt keine Pfefferschote von mir.
Ernstheiter vor 6 Jahren
Ein gepfefferter Kommentar zu einem gepfefferten Duft :)
RobGordon vor 6 Jahren
Der Flakon erinnert mich an das Elixir aus: "Der Tod steht ihr gut".
0815abc vor 6 Jahren
Dann stell ich doch mal einen Labberwasser Pokal ab.
Gelis vor 6 Jahren
1
Mich wundert, wo Du das Holz hernimmst. Ansonsten schliesse ich mich SchatzSucher an: Überall Pfeffer. In den letzten Düften habe ich ihn kaum noch wahrgenommen. Da scheint bei mir schon ein Overkill eingesetzt zu haben.
FlirtyFlower vor 6 Jahren
Schöner Schluss und auf einmal erinnere ich mich auch an Sigaprim... Pokal für dich
Yatagan vor 6 Jahren
1
Mir ging es mit dem so wie dir.
Taurus vor 6 Jahren
Yepp - an das Wassereis in den kleinen Plastikschläuchen kann ich mich nur allzu gern erinnern :-)
MisterE vor 6 Jahren
Das waren noch Zeiten..... Der Duft scheint gar nicht so übel zu sein. Den hatte ich noch gar nicht auf dem Radar....
Can777 vor 6 Jahren
Den Saft kenne ich,das Wassereis kenne ich auch,aber den Duft nicht! Was ich nicht als nötig finde wie mir scheint!
SchatzSucher vor 6 Jahren
Bei so viel Pfeffer muß ich erstmal niesen... Das Wassereis habe ich geliebt, den Duft werde ich glaube ich nicht so lieben. Die mittlerweile verschwenderische Verwendung von Pfeffer in Düften grenzt allmählich an Einfallslosigkeit.

