Escale en Indonésie von Les Indémodables

Escale en Indonésie 2020

Profumo
16.04.2023 - 11:49 Uhr
31
Top Rezension
10Duft 7Haltbarkeit

Der Clou: eine sich über alles wölbende Ambra

Wenige Labels haben mich in den letzten Jahren in Sachen hochwertiger Materialien und Parfumkunst so sehr für sich eingenommen wie das kleine Unternehmen „Les Indémodables“ aus dem französischen Alpenstädtchen Annecy.
Wie oft erlebt man das Prahlen mit ach-so edlen Ingredienzen, das letztlich, in Ermangelung an Können – oder Wollen – doch nur Mittelmaß gebiert. Hier aber kann man, und vor allem: man will.

Dass Antoine Lie sein Handwerk beherrscht steht sicher außer Frage, das gilt auch für die zweite Hausparfümeurin: Florence Fouillet. Ihr „Fougère Emeraude“, ihr „Cuir de Chine“ und „Chypre Azural“ sind rundum gelungene, stilvolle und charakterstarke Beiträge, wie sie sich ein kleines Label nur wünschen kann.
Aus Antoine Lies Anteil am Portefolio ragen wiederum zwei Kreationen besonders heraus: „Ambre Suprême“ und dieser hier: „Escale en Indonésie“.
Beide haben eine besonderen Duftstoff im Fokus, der einen geradezu mythischen Ruf genießt: Ambergris, oder auch Ambre gris, bzw. Graue Ambra. Ein Duftstoff mit einem überaus komplexen Duftprofil, der sich besonders durch eine Eigenart auszeichnet: er bringt ein Parfum, an dem noch so viele Noten beteiligt sein mögen, erst richtig zum Strahlen und verleiht Kreatürlichkeit, wo zuvor womöglich schablonenhafte Flachheit herrschte. Diese fast magischen Fähigkeiten, gepaart mit der legendenhaften Herkunft aus finsteren Wal-Mägen, begründen den geheimnisumwitterten Mythos der „Graue Ambra“, den man selten – ach was, eigentlich nie! – so prominent in Szene gesetzt erleben kann wie hier, bei diesen beiden Ambra-zentrierten Düften (ein dritter, ist „Mxxx“ von Eris, ebenfalls von Lie). In aller Regel nämlich, wenn mit der Ambra als Inhaltstoff geworben wird, ist nicht das Naturprodukt gemeint, sondern einer ihrer mittlerweile zahlreichen synthetischen Ersatzstoffe, die allesamt bestenfalls einen Ausschnitt aus dem kaleidoskopartigen natürlichen Duftprofil bieten, niemals aber dessen gesamten Facetten-Reichtum abbilden.

Um dieses Manko auszugleichen muss Antoine Lie nicht wie viele andere Kollegen einen Ambergris-Akkord kreieren, der die fehlenden Facetten mithilfe zusätzlicher Noten ergänzt, sondern kann das Naturprodukt in seiner ganzen chamäleonhaftigen Wandlungsfähigkeit selbst zur Geltung bringen, da er dank seiner beruflichen Verbindung mit Rémi Pulvérail, dem Inhaber von „L’Atelier Français Des Matières“ und Ehemann von Valérie Pulvérail, ihrerseits Inhaberin von „Les Indémodables“, quasi an der Quelle sitzt.

Hier nun inszeniert er die Ambra nicht in einem gourmandhaft angehauchten orientalischen Duftkonzept („Mxxx“, Eris), auch nicht eingebunden in ein aldehydig-würzig-florales Chypre-Konstrukt („Ambre Supême“), sondern lässt sie in einem klassischen, schlanken Cologne-Gerüst aus Bergamotte, frischer Zitrik, einem Hauch Jasmin und Neroli, sowie einer stabilisierenden Basis aus dezentem Sandelholz und Eichenmoos geradezu leuchten.

Vielleicht ist dieser klassische Cologne-Aufbau tatsächlich das ideale Setting für den komplexen Duftkosmos der Ambra, denn im Gegensatz zu den beiden anderen genannten Düften muss ich nicht erst bestimmte Duftanteile, die entscheidende Bereiche des Ambra-Kanons verdecken (Kakao hier, Aldehyde dort) auszublenden versuchen, sondern kann, einem offenen Buch gleich, die Ambra unverstellt und in vollem Ornat genießen. Die frischen und zarten Cologne-Anteile umspielen sie dabei federleicht, tragen sie gewissermaßen auf Händen, bilden einen hell-farbigen, aquarellartigen Dufthintergrund, vor dem sich die Ambra wie ein vielarmiger Oktopus gemütlich zu räkeln scheint und zugleich geruchlich abhebt.
Natürlich haben die beiden anderen Ambergris-Düfte von Antoine Lie mehr Wumms, sind reichhaltiger orchestriert und entfalten ein größeres Volumen, aber wer sich eine Weile durch die Parfumwelt geschnuppert und lang genug an den dichtesten Extraits erfreut hat, der wird doch das leisere, das kleinere Format auch wieder zu schätzen wissen – es muss ja nicht immer das symphonische Orchester in Mahler-Stärke sein; manchmal vermag der intimere kammermusikalische Vortrag sogar noch mehr zu überwältigen.

So auch hier.

Die wenigen Mitwirkenden sind perfekt aufeinander abgestimmt und tadellos ausbalanciert. Saftig, spritzig und wunderbar natürlich die Zitrus-Noten, leise und freundlich, ohne den leisesten Hauch von Indolik, das zarte florale Herz, und in der Basis eine schlanke und elegante Chypre-Struktur, die dem Duft Halt gibt und rundet.
Der Clou: eine sich über alles wölbende Ambra mit ihren salzigen, mineralischen, ozonischen, animalischen und warmen Nuancen, die völlig bruchlos mit den Cologne-Facetten zu emulgieren scheinen, sich zugleich aber markant abheben. Ein Wechselspiel, das aufregender nicht sein könnte und den ganzen Reichtum des Ambra-Duftkosmos’ in Schwingungen versetzt.

Leute, wer Ambroxan, Orcanox, Ambrinol, oder wie immer der Versuch einer Ambra-Synthetisierung heißen mag, für ein ausreichendes Äquivalent hält, der - oder die - rieche bitte an diesem Duft, oder wahlweise den beiden anderen: der Unterschied ist gewaltig! Nicht, dass ich Ambroxan & Co. schlechtreden möchte, nein, sie haben absolut ihre Existenzberechtigung (ich glaube ohnehin, dass der Ambroxan-Teufel, den wir immer so gerne an die Wand malen, eher ein Woody-Amber-Teufel ist, zumindest aber einer, der zuverlässig mit diesen vermaledeiten Synthetik-Ambers ins Bett steigt....), jedoch einmal an echter Grauer Ambra geschnuppert und es eröffnen sich Horizonte, die man zuvor bestenfalls erahnen konnte: geruchliche Resonanzräume, in die man zuvor seine Nase zwar schon mal hineinstecken konnte, die aber Leerstellen blieben, geruchliche Schwarze Löcher sogzusagen, nun prall gefüllt.

Doch genug der Lobhudelei – ich bin begeistert!

Eine kleine, aber nicht unbedeutende Anmerkung noch: da die Ambra auch ausgezeichnete fixative Eigenschaften besitzt, macht sie aus diesem Cologne, das sich nebenbei auch ‚Cologne Absolue’ nennt (auf dem Boden der Kartonage steht sogar ‚Eau de Parfum), eine ziemlich ausdauernde Angelegenheit. Zwar zieht sich der Duft colognetypisch recht schnell auf die Haut zurück, aber ‚Escale en Indonésie’ bleibt dort über viele Stunden als komplexer und warmer Duft erhalten, den Körper des Trägers oder der Trägerin eher wie eine Aura, denn wie ein Duftpanzer umhüllend.

So mag ich das.
27 Antworten
GinTonique70GinTonique70 vor 8 Monaten
Danke für diese tolle Rezension, ich bin begeistert! Ich bin ein großer großer Fan von Ambre Supreme, der steht schon ewig auf meiner Wunschlisten, und nun sind meine Begehrlichkeiten auch noch für das Cologne geweckt.... ach......so wird das nie was mit der Reduzierung der Sammlung.....
GinTonique70GinTonique70 vor 8 Monaten
Hab den gerade unter der Nase. Gottseidank, mein Geldbeutel wird geschont. Der ist mir zu unrund und eindimensional, und auch ein wenig zu scharf und maskulin. Ok, vielleicht etwas unfair; ein Cologne ist ein Cologne und weniger komplex. Ich spare jedenfalls weiter auf den Ambre Supreme. .
SetaSeta vor 2 Jahren
Eine hochinteressante Rezension! Ich fand schon 'Iris Perle' von dieser Marke sehr gut. Jetzt möchte ich unbedingt auch einmal diesen Duft riechen, denn ich konnte 'graue Ambra' bisher ebenfalls nicht geruchlich fassen - wobei die echte ja sowieso kaum in einem Parfum vorkommt. Und ich mag Düfte von 'kleinerem Format' - zu große Dichte erschlägt mich manchmal.
JonasP1JonasP1 vor 3 Jahren
Du hast mich sehr neugierig auf den Duft gemacht. Schöner, informativer Kommentar!
GandixGandix vor 3 Jahren
So mag ich das, du den Duft, und ich deine Rezension... Die ist ganz wunderbar.
AxiomaticAxiomatic vor 3 Jahren
Chapeau mon cher!
Ambergris riecht tatsächlich um Lichtjahre besser als die vermaledeiten Woody-Amber Chemieunfälle der letzten Jahre.
Bin gespannt auf den Duft!
Mahler Opulenzpokal!
FloydFloyd vor 3 Jahren
Großartige Rezension wieder! Informativ und unterhaltend. Danke dafür!
SchatzSucherSchatzSucher vor 3 Jahren
Oh oh, das liest sich ja wunderbar. Aus diesem Haus ist mir bisher noch nichts vor die Nase gekommen, aber es scheint ja einige Schätze zu haben.
Ich zähle mich ja auch zu den Ambrox-Nörglern, weiß aber auch um die Unterschiede.
Deine Beschreibung ist wieder einmal ein Hochgenuß.
MonsieurTestMonsieurTest vor 3 Jahren
Wunderbar gerühmt und die Nase neugierig gemacht,
sehr neugierig :-)).
Rieke2021Rieke2021 vor 3 Jahren
Die Marke mag ich sehr; und der Ambre Suprême ist schon fantastisch. Diesen hier konnte ich noch nicht testen, aber habe keinen Zweifel daran, das es ein lohnendes Dufterlebnis ist.
MarieposaMarieposa vor 3 Jahren
Du hast mein Interesse geweckt. Sowohl am Duft als auch an der Marke. Und ich glaube ja nicht, dass ich zu den Glücklichen zähle, die schon mal echtes Ambergris riechen durften. Zumindest nicht bewusst. Umso neugieriger bin ich :)
ProfumoProfumo vor 3 Jahren
1
Für mich war Ambergris irgendwie immer ein Phantom, das ich nicht fassen konnte. Auch wenn ich mich noch so intensiv mit einem Duft, der angeblich Graue Ambra enthielt, beschäftigt habe, ich war einfach nicht in der Lage sie geruchlich zu isolieren. Ich glaube, dass darin ihr Mythos begründet liegt: sie ist da, aber irgendwie auch wieder nicht. Ihr Agieren im Verborgenen bleibt aber dennoch nicht unbemerkt, denn mit ihr beginnt alles zu leuchten und nimmt Form an, was ohne sie blasser und konturloser geblieben wäre. Hier aber, in Überdosis verwendet (5% am Parfumöl-Anteil, was außergewöhnlich viel sein soll), wird sie sozusagen ins Rampenlicht gezerrt und mit nur wenigen Zutaten garniert.
Auch wenn in Ambre Suprême 10% verwendet wurden und in Mxxx 7%, hier, in Escale, finde ich sie letzlich am fassbarsten.
IntersportIntersport vor 3 Jahren
1
Super dass Du hier Deine real Ambergris Trilogie vervollständigst, wer weiß, vielleicht folgt ja noch was. Und das mit dem Ambrox-bashing, ja… vermute fast, dass es gerade so ein einprägsamer Name eines Riechstoffs ist, was ihn vermeintlich ‚greifbar‘ und ikonisch macht und somit auch belastbarer … die Escale liest sich bei Dir auf alle Fälle toll!
ProfumoProfumo vor 3 Jahren
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Miguel Matos hat sich da mal ähnlich geäußert, dass nämlich die wenigsten wissen dürften, wie Ambroxan eigentlich riecht und sich vermutlich wundern würden, dass es ganz anders riecht wie immer beschrieben, und dass der Name eher eine Chiffre sei für das Unbehagen an der Synthetik an sich. Ich glaube, er hat da nicht ganz Unrecht.
TurandotTurandot vor 3 Jahren
Eigentlich hat meine Neugier aufs Testen mir völlig unbekannter Marken im Laufe der Zeit deutlich nachgelassen. Aber Dein Kommentar lässt mich doch wieder daran erinnern, warum ich überhaupt hier bin. Dankeschön dafür!
ProfumoProfumo vor 3 Jahren
Gern geschehen! Aber mir geht es da recht ähnlich: das ständige, immer schneller werdende Aufkommen neuer Marken lässt meine Neugierde zusehends erlahmen. Hier, finde ich, lohnt sich ein genaueres Hinriechen dann aber doch.
KovexKovex vor 3 Jahren
Diese Marke macht schöne Düfte, da scheint sich dieser gut einzufügen. Dein Kommentar macht Lust sich tiefer in das Ambra-Thema einzuarbeiten.
ProfumoProfumo vor 3 Jahren
Ein spannendes Thema, finde ich jedenfalls! Und ein verdammt gut riechendes! 😀👌
Can777Can777 vor 3 Jahren
Klingt wirklich ansprechend und ziemlich gut gelungen. Jetzt bin ich neugierig..!
YataganYatagan vor 3 Jahren
Die Marke ist toll und auf diesen Duft machst Du neugierig!
ProfumoProfumo vor 3 Jahren
Jetzt bin ich durch mit der Ambra-Trilogie von Monsieur Lie und ich muss sagen, ich bin mehr als angetan!
FlirtyFlowerFlirtyFlower vor 3 Jahren
Das muss ja ein toller Duft sein! Pokal für dich
ScentwolfScentwolf vor 3 Jahren
Ich kenne diese Marke nicht, deine Beschreibung macht aber sehr neugierig.
Möglicherweise warten hier Erfahrungen, die mir bisher verborgen waren und deren Entdeckung den Horizont sehr erweitern könnten.
Sehr schöne Rezension die mich triggert.
Danke dafür !
ProfumoProfumo vor 3 Jahren
Wirklich eine spannende Marke und wer sich mal mit dem Thema Ambra vs. Ambroxan beschäftigen möchte, wird zukünftig um die Ambra-Trilogie von Antoine Lie nicht herumkommen.
PollitaPollita vor 3 Jahren
Liest sich sehr angenehm......
BertelBertel vor 3 Jahren
Ui, das klingt ja faszinierend - danke! Die Marke war mir bislang nicht bekannt, da§ muss und will ich umgehend ändern ;-)
ProfumoProfumo vor 3 Jahren
Finde diese Marke wirklich sehr beachtenswert!