Apicius
Top Rezension
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Weiße Nächte - seltene Noten!
Es gibt diese Parfums, die sofort an anderes, ebenso seltenes erinnern. Und wenn dieses Seltene dann auch noch richtig gut ist, dann verurteilt man dieses Parfum nicht als Kopie, sondern freut sich über eine Bereicherung einer ausgefallenen Duftrichtung. Ein solches Parfum ist Notte Bianca von Linari.
Notte Bianca fasziniert durch eine gekonnte Interpretation des Themas „weißer Moschus“, und das ist ein sehr schwieriges Thema! In den allermeisten Duftpyramiden steht die Bezeichnung „weißer Moschus“ für Breite und Cremigkeit, wenn nicht sogar für seifige Anklänge. Anders bei denen, die sich dieses Duftstoffs in besonderer Weise annehmen: die Marke Acca Kappa mit Parfums wie Muschio Bianco und vor allem auch Cedro. Herr Kormann von 1000&1 Seifen ließ mich vor einiger Zeit das Herz dieser Sache erkennen, anhand seines schönen Dufts „August“, den wir mit Acca Kappas Cedro verglichen haben. Neben dem weißen Moschus scheint auch eine gute Portion Iso E Super bei dieser Richtung mit von der Partie zu sein. Diese profane Bezeichnung taucht freilich in den meisten Duftpyramiden nicht auf.
Nun denn, weißer Moschus geht auch anders, und Notte Bianca ist ein gutes Beispiel: knackig, würzig und sehr schlank verweigert sich das jeder Opulenz - gewissermaßen ein Anti-Parfum. Wie soll man diesen Stil nur beschreiben? Notte Bianca - weiße Nacht - dieser Name ist schon mal ein Ansatz. Wir denken an die berühmten weißen Nächte von St.Petersburg, auch an weite Schneeflächen bei Vollmond. Aber das ist nur ein Bild. Hier kann ich nur empfehlen, selbst wenigstens einen gelungenen Vertreter dieser Richtung kennen zu lernen.
In der ersten, anfänglichen Wahrnehmung erinnerte mich Notte Bianca auch sofort an Acca Kappas Cedro, das ich denn auch heute zwecks direktem Vergleich auf die andere Hand gesprüht habe. Beide teilen diesen knackig-würzigen Weißer-Moschus-Stil. Bei Cedro geht es sofort in eine nelkenartige Richtung, von holzigen Untertönen umrahmt, doch Notte Bianca durchlebt eine wunderbar schlanke Würze der ganz pikanten Art - Wermut, Anis, Sternanis, Basilikum und wenig Gewürznelke. Das piekst richtig schön in der Nase.
Im Unterschied zu Cedro ist die Würze dann aber doch weitaus weniger anstrengend. Bei Cedro bleibt die Gewürznelke sehr lange präsent, das wird auch mir irgendwann zuviel des Guten. Hier ist Notte Bianca deutlich zurückhaltender und tragbarer.
Und es gibt einen weiteren Grund: Bevor es zuviel werden könnte, ändert sich Notte Bianca und nimmt eine andere, aber immerhin ähnliche Färbung an. Schon nach einer halben Stunde tritt die Würze ab zugunsten einer immer deutlicher werdenden Vetiver-Note. Diese dominiert nach einer vollen Stunde komplett das geschehen in der Basis.
Und es ist ein schlankes, trockenes Vetiver, das sich hier entfaltet. Herz- und Basisnoten haben ihren Stil weitergegeben, und der weiße Moschus ist im Hintergrund präsent. Dieses Vetiver hat wenig gemein mit dem von Guerlain oder Lubin, aber viel mit dem schlanken, puderigen von Carven. Geschaffen wurde Notte Bianca von Mark Buxton, und viel erinnert mich hier auch an das recht moderne Vetiver-Parfum „Wood and Absinth“ seiner eigenen Marke.
Ein wenig auszusetzen gibt es dann aber doch: die Duftentwicklung verläuft innerhalb einer Stunde viel zu schnell. Von den würzigen Noten auf dem Moschusbett hätte ich doch gerne etwas länger gehabt. Vielleicht ist das der notwendige Kompromiss. Dem Einsatz von Fixiermitteln sind wohl gewisse Grenzen gesetzt, und schöner wird eine raffinierte Note durch diese Stoffe wohl eher nicht.
So wäre für mich der Einsatz von Notte Bianca vielleicht auf besondere Situationen beschränkt. Ich denke, es ist ein ideales Parfum für einen Theaterabend. Die pikante Würze ist ein Muntermacher, der auch bei langweiligen Aufführungen die Augen offen hält. Als ausgeschlafenes Parfum ist Notte Bianca natürlich auch einen hervorragender, moderner Büroduft, dann aber als schlankes Vetiver.
Ich denke, ein wenig moderner Mark-Buxton-Stil ist hier enthalten. Mark Buxton hat besonders auch mit seiner eigenen Linie gezeigt, dass er weniger der Tradition verhaftet ist, sondern eher nach einem angemessenen Ausdruck modernen Lebensgefühls strebt. So auch Notte Bianca: passt in ein modernes, urbanes Ambiente, nicht zu Landhaus und Eiche rustikal!
Noch eine Info zur Marke: Ich habe den Inhaber von Linari - offenbar einen Deutschen - auf der Global Arts of Perfumery kennengelernt. Linari begann mit Raumdüften, erst allmählich wird wahrgenommen, dass die auch „richtige“ Parfums herstellen. Italienisch ist hier also nichts außer der typisch deutschen Vorliebe für alles Italienische. Der Toskana-Komplex des Inhabers scheint sich erfreulicherweise aber auf die Namensgebung der Düfte und eine Art Edel-Italiener-Design bei den Flakons zu beschränken.
Meine Empfehlung für diesen ausgefallenen, aber stimmigen Duft!