17.06.2021 - 16:06 Uhr
Profumo
284 Rezensionen
Profumo
Top Rezension
25
Saudade, oder keine Heiterkeit, nirgends
Leider habe ich „Fado Jasmim“ nicht in diesem wundervollen schwarzen Art Deco-Flakon (der manche an Darth Vader zu erinnern scheint) sondern in einem gedrungenen Glasflakon mit silberner Kappe. Ganze 24 Stück konnte Miguel Matos noch in einer Glasmanufaktur in Marinha Grande ergattern. Seit den 40ern staubten die Restposten einer ehemaligen Produktion in irgendeiner Ecke des Unternehmens ein, bevor der junge Parfümeur sie mehr als 70 Jahre später endlich befüllte.
Als Matos sie zu Recht mit einigem Stolz auf seiner Webseite anbot, habe ich dummerweise zu lange gezögert – und im Nu waren sie weg.
Egal, sei´s drum. Letztlich zählt der Inhalt, der Rest ist schmückendes Beiwerk.
Tja, und hätte ich gewusst, wie großartig der Inhalt ist, hätte ich vermutlich nicht so lange gezögert.
Damals aber war ich mit Matos’ Duftsprache noch nicht so vertraut. Heute weiß ich, sie liegt mir. Als ich vor kurzem ein langes Interview mit ihm sah, Dan Naughton alias Mr.Smelly führte es, konnte ich seine Begeisterung für die großen alten Chypres, die mit floralen, fruchtigen, ledrigen und animalischen Facetten spielten, mehr als nachvollziehen – ich teile sie absolut. Auch ich fühle mich eher in der Duftwelt der 70er Jahre und früherer Dekaden beheimatet, als im Mainstream der 90er – von späteren Jahrzehnten ganz zu schweigen.
„Fado Jasmim“ spricht so ein Sprache: überbordender Jasmin, in voller, üppigster, fast überreifer Blüte, dessen indolische Nuancen von einer lasziven Zibet-Note aufgenommen werden, umringt von allerlei Früchten und ruhend auf einer voluminösen Chypre-Basis.
Wer keinen Jasmin mag, sollte diesen Duft unbedingt meiden, auch die Kombination von fruchtig und animalisch ist nicht ganz einfach, aber sie berührt den Kern der Matos-DNA: eine floral/fruchtig/animalische Grundausrichtung, vorzugsweise in Chypre-Farben ausgeführt.
Wer aber Jasmin mag – und ich mag ihn! – der, oder die, sollte sich diesen Duft nicht entgehen lassen: einen so berauschenden Jasmin bekommt man nämlich selten geboten. Dabei wohnt diesem Rausch eine gewisse Gedecktheit bei. Er ist nicht euphorisch und jubilierend, vielmehr von einer schwermütigen Aura umflort, melancholisch.
Hier kommt der Fado ins Spiel, musikalisch die berühmte Saudade anstimmend, jene spezifisch portugiesische Form des sanften, alles durchdringenden Weltschmerzes. Auch „Fado Jasmim“ ist voller Saudade: die Überreife der Blüten und Früchte, Vergänglichkeit ankündigend, der dunkle, bittere Chypre-Fond – keine Heiterkeit, nirgends. Aber Gefühl, sehr viel Gefühl.
Ja, ich finde „Fado Jasmim“ ist ein sehr gefühlvoller Duft. Ich meine ihm anzumerken, dass Miguel Matos viel Herzblut an ihn verwendet hat. Er hat ihn nicht rausgehauen, wie er kürzlich vier neue Düfte rausgehauen hat, um dem trüben Lissaboner-Lockdown-Alltag etwas Buntes, Freudiges entgegen zu sprühen. Nein, hier steckt wirklich viel Leidenschaft drin, eine Leidenschaft, die auch das warme Timbre von Amália Rodrigues erfüllt, der Matos „Fado Jasmim“ widmete.
Die afro-brasilianischen und die arabischen Einflüsse auf den Fado (vertreten durch das Fruchbouquet), ebenso wie die bevorzugte Molltongebung (Chypre) und die samtene Stimme der Rodrigues (Jasmin), all das hat der Portugiese versucht in seinem Duft anklingen zu lassen, und ich finde, es ist ihm geglückt.
Dass „Fado Jasmim“ dennoch polarisiert, ist – wie gesagt – nicht verwunderlich. Wer mit indolischen Blüten hadert, wer schon bei einem Hauch Animalik zum Fenster eilt, wer die komplexe feucht-bittere Chypre-Tönung scheut, für den ist dieser Duft sicher nichts.
Wer aber Freude an Vintage-Düften hat, besonders Vintage-Chypres, vor allem solchen mit ordentlich Körper – ich denke da beispielsweise an „Femme“ de Rochas oder „Azurée“ – könnte an „Fado Jasmim“ eventuell Gefallen finden.
Eine gewisse Toleranz gegen eine leise Aceton-ähnliche Note sollte man allerdings mitbringen. Sie ist vermutlich auf das Aufeinandertreffen von kräftigen Indolen und der Süße saftender Früchte zurückzuführen, und vermittelt ein bisschen den geruchlichen Eindruck von gärendem Obst.
Klingt vermutlich nicht sonderlich verlockend, ich finde diese Note aber ganz apart.
Was die Gender-Zuschreibung betrifft: Miguel Matos schert sich nicht mehr darum, seit er entdeckte, dass ein Freund, der immer so wunderbar duftete, „The One“ von Dolce & Gabbana trug, und zwar die Version für Frauen. Schlagartig, so berichtet er, wurde ihm klar, dass er genau hier finden würde, was ihm der Markt zu Beginn des neuen Jahrtausends vorenthielt (Nischendüfte waren damals in Portugal noch schwer zugänglich, so Matos). Seine Freude an Parfumkunst, schon im Erlahmen begriffen, bekam so neuen Schwung, und von ihm innig geliebte Düfte, die er bisher Frauen vorbehalten dachte, waren auf einmal in Reichweite: „Poison“, „Cabochard“ – eine neue Welt tat sich auf!
In diesem Kontext kann man „Fado Jasmim“ sehen: aller Gender-Zuschreibung enthoben. Dass man als männlicher Träger dieses Duftes nicht überall ungeteilte Zustimmung findet – geschenkt. Aber „Fado Jasmim“ trägt man auch nicht einfach so, gendankenverloren im Alltag. Nein, diesen Duft muss man wollen, man muss zu ihm stehen. Das gilt aber für alle Matos-Düfte. Für Liebhaber:innen großer, vergangener Duftkunst sind sie eine wahre Fundgrube, aber wahrlich nicht massentauglich – zum Glück! Dabei gehört „Fado Jasmim“ zu seinen gemäßigteren Düften, Matos hat da wahrlich Experimentelleres im Portfolio. Aber er ist nicht nur gemäßigter, sondern nach meinem Empfinden auch kunstvoller verblendet und sorgsamer ausbalanciert als so mancher olfaktorischer Ritt über den Bodensee, den sich Matos gottseidank leistet – das macht seine Werke gleichsam überraschend wie spannend. Die Brillanz und Raffinesse der Düfte von Antonio Gardoni, seines großen Mitstreiters in Sachen Wiederbelebung verloren gegangener innovativer Duftkunst im Stile der 70er Jahre und früher, erreicht er dabei nicht ganz.
Dass die Inhaltstoffe ‚Non IFRA compliant’ seien, darf übrigens ernst genommen werden. Die Begründung: „This isn't a perfume. It´s a piece of olfactory art. It uses safe ingredients only, but can cause reaction in allergy-prone skin. Test on a small patch of skin.“
A piece of olfactory art?
Ja, ich finde schon.
Als Matos sie zu Recht mit einigem Stolz auf seiner Webseite anbot, habe ich dummerweise zu lange gezögert – und im Nu waren sie weg.
Egal, sei´s drum. Letztlich zählt der Inhalt, der Rest ist schmückendes Beiwerk.
Tja, und hätte ich gewusst, wie großartig der Inhalt ist, hätte ich vermutlich nicht so lange gezögert.
Damals aber war ich mit Matos’ Duftsprache noch nicht so vertraut. Heute weiß ich, sie liegt mir. Als ich vor kurzem ein langes Interview mit ihm sah, Dan Naughton alias Mr.Smelly führte es, konnte ich seine Begeisterung für die großen alten Chypres, die mit floralen, fruchtigen, ledrigen und animalischen Facetten spielten, mehr als nachvollziehen – ich teile sie absolut. Auch ich fühle mich eher in der Duftwelt der 70er Jahre und früherer Dekaden beheimatet, als im Mainstream der 90er – von späteren Jahrzehnten ganz zu schweigen.
„Fado Jasmim“ spricht so ein Sprache: überbordender Jasmin, in voller, üppigster, fast überreifer Blüte, dessen indolische Nuancen von einer lasziven Zibet-Note aufgenommen werden, umringt von allerlei Früchten und ruhend auf einer voluminösen Chypre-Basis.
Wer keinen Jasmin mag, sollte diesen Duft unbedingt meiden, auch die Kombination von fruchtig und animalisch ist nicht ganz einfach, aber sie berührt den Kern der Matos-DNA: eine floral/fruchtig/animalische Grundausrichtung, vorzugsweise in Chypre-Farben ausgeführt.
Wer aber Jasmin mag – und ich mag ihn! – der, oder die, sollte sich diesen Duft nicht entgehen lassen: einen so berauschenden Jasmin bekommt man nämlich selten geboten. Dabei wohnt diesem Rausch eine gewisse Gedecktheit bei. Er ist nicht euphorisch und jubilierend, vielmehr von einer schwermütigen Aura umflort, melancholisch.
Hier kommt der Fado ins Spiel, musikalisch die berühmte Saudade anstimmend, jene spezifisch portugiesische Form des sanften, alles durchdringenden Weltschmerzes. Auch „Fado Jasmim“ ist voller Saudade: die Überreife der Blüten und Früchte, Vergänglichkeit ankündigend, der dunkle, bittere Chypre-Fond – keine Heiterkeit, nirgends. Aber Gefühl, sehr viel Gefühl.
Ja, ich finde „Fado Jasmim“ ist ein sehr gefühlvoller Duft. Ich meine ihm anzumerken, dass Miguel Matos viel Herzblut an ihn verwendet hat. Er hat ihn nicht rausgehauen, wie er kürzlich vier neue Düfte rausgehauen hat, um dem trüben Lissaboner-Lockdown-Alltag etwas Buntes, Freudiges entgegen zu sprühen. Nein, hier steckt wirklich viel Leidenschaft drin, eine Leidenschaft, die auch das warme Timbre von Amália Rodrigues erfüllt, der Matos „Fado Jasmim“ widmete.
Die afro-brasilianischen und die arabischen Einflüsse auf den Fado (vertreten durch das Fruchbouquet), ebenso wie die bevorzugte Molltongebung (Chypre) und die samtene Stimme der Rodrigues (Jasmin), all das hat der Portugiese versucht in seinem Duft anklingen zu lassen, und ich finde, es ist ihm geglückt.
Dass „Fado Jasmim“ dennoch polarisiert, ist – wie gesagt – nicht verwunderlich. Wer mit indolischen Blüten hadert, wer schon bei einem Hauch Animalik zum Fenster eilt, wer die komplexe feucht-bittere Chypre-Tönung scheut, für den ist dieser Duft sicher nichts.
Wer aber Freude an Vintage-Düften hat, besonders Vintage-Chypres, vor allem solchen mit ordentlich Körper – ich denke da beispielsweise an „Femme“ de Rochas oder „Azurée“ – könnte an „Fado Jasmim“ eventuell Gefallen finden.
Eine gewisse Toleranz gegen eine leise Aceton-ähnliche Note sollte man allerdings mitbringen. Sie ist vermutlich auf das Aufeinandertreffen von kräftigen Indolen und der Süße saftender Früchte zurückzuführen, und vermittelt ein bisschen den geruchlichen Eindruck von gärendem Obst.
Klingt vermutlich nicht sonderlich verlockend, ich finde diese Note aber ganz apart.
Was die Gender-Zuschreibung betrifft: Miguel Matos schert sich nicht mehr darum, seit er entdeckte, dass ein Freund, der immer so wunderbar duftete, „The One“ von Dolce & Gabbana trug, und zwar die Version für Frauen. Schlagartig, so berichtet er, wurde ihm klar, dass er genau hier finden würde, was ihm der Markt zu Beginn des neuen Jahrtausends vorenthielt (Nischendüfte waren damals in Portugal noch schwer zugänglich, so Matos). Seine Freude an Parfumkunst, schon im Erlahmen begriffen, bekam so neuen Schwung, und von ihm innig geliebte Düfte, die er bisher Frauen vorbehalten dachte, waren auf einmal in Reichweite: „Poison“, „Cabochard“ – eine neue Welt tat sich auf!
In diesem Kontext kann man „Fado Jasmim“ sehen: aller Gender-Zuschreibung enthoben. Dass man als männlicher Träger dieses Duftes nicht überall ungeteilte Zustimmung findet – geschenkt. Aber „Fado Jasmim“ trägt man auch nicht einfach so, gendankenverloren im Alltag. Nein, diesen Duft muss man wollen, man muss zu ihm stehen. Das gilt aber für alle Matos-Düfte. Für Liebhaber:innen großer, vergangener Duftkunst sind sie eine wahre Fundgrube, aber wahrlich nicht massentauglich – zum Glück! Dabei gehört „Fado Jasmim“ zu seinen gemäßigteren Düften, Matos hat da wahrlich Experimentelleres im Portfolio. Aber er ist nicht nur gemäßigter, sondern nach meinem Empfinden auch kunstvoller verblendet und sorgsamer ausbalanciert als so mancher olfaktorischer Ritt über den Bodensee, den sich Matos gottseidank leistet – das macht seine Werke gleichsam überraschend wie spannend. Die Brillanz und Raffinesse der Düfte von Antonio Gardoni, seines großen Mitstreiters in Sachen Wiederbelebung verloren gegangener innovativer Duftkunst im Stile der 70er Jahre und früher, erreicht er dabei nicht ganz.
Dass die Inhaltstoffe ‚Non IFRA compliant’ seien, darf übrigens ernst genommen werden. Die Begründung: „This isn't a perfume. It´s a piece of olfactory art. It uses safe ingredients only, but can cause reaction in allergy-prone skin. Test on a small patch of skin.“
A piece of olfactory art?
Ja, ich finde schon.
11 Antworten