Apicius
5
Ein synthetischer Tropensturm
Wie so manches im Neil Morris Sortiment, steht auch hier der Name für ein Programm, nämlich ein intensiv erlebtes Naturschauspiel, das illustriert werden soll. Hier kommen erst mal die Noten von der Neil Morris Webseite:
Kopf: Papaya, Limette
Herz: Rittersporn, purpurne Hyazinthe
Basis: Tonkabohne, goldener Moschus, erdige und maritime Akkorde
Dieser Sturm ist ein sehr sommerlicher, vielleicht auch ein Tropensturm am Meer. Denn die Luft ist voll mit schweren Blüten. Dabei griff Neil Morris diesmal nicht zu den üblichen Verdächtigen, sondern zu den seltenen Noten Hyazinthe und Rittersporn. Damit gelingt hier ein schöner, tiefer Grundcharakter, der recht schwer zu beschreiben ist. Es ist keine durchgänge liebliche Blumigkeit, sondern irgendwie eine eher herbe, ganz durcheinander geratene Angelegenheit. Ich stelle mir hier Rhododendronbüsche vor, die der Sturm fast zerfetzt hat. Und so mischen sich in die Blumen die Gerüche einer aufgerissenen und vom Platzregen zum Duften gebrachten Erde hinein. Eine ozonische Note unterstützt diese von mir so empfundene florale Tiefe. Von Tonkabohne merke ich nichts, auch die Kopfnoten konnte ich nicht wahrnehmen. Die mit „golden Musk“ bezeichnete Note ist irgendwas, jedenfalls kein üblicher Moschusakkord mit Volumen und Seifigkeit. Tonka schlägt erst im Drydown durch und fügt dem Duft dann noch etwas Volumen hinzu.
Ja, das hat Herr Moris gut getroffen. Mittlerweile glaube ich, zwei Grundtendenzen im Werk von Neil Morris ausmachen zu können. Zum einen die Hippie-Parfums, mit warmen, ambratischen, oft mit Patchouli angereicherten Basisnoten. Zum anderen aber die synthetisch und seltsam anmutenden Parfums, die im Stil gut zur Demeter Fragrance Library passen würden. Gerade jene sind oft programmatische Parfums. Hierzu zähle ich zum Beispiel das außerirdische Vapor oder auch City Rain, welches Storm durchaus ähnelt.
Während City Rain ohne Zurückhaltung den feuchten Straßendreck nach dem Regen zelebriert, ist Storm doch um einiges zurückhaltender. Auch hier wurde eine ähnliche, erdig wirkende Note einbezogen, aber viel dezenter. City Rain ist interessant, aber Storm ist das auf längere Sicht tragbarere Parfum. Aber man braucht halt eine gewisse Aufgeschlossenheit und Experimentierfreudigkeit für diesen Teil des Neil Morris Sortiments. Ich selber könnte so was nicht ständig tragen, auch wenn es vergleichsweise dezent ist. In den seltenen Fällen, in denen ich Lust auf diese Richtung bekomme, greife ich zu Vapor, welches für mich den Gipfel- und Endpunkt dieser Duftrichtung bei Neil Morris darstellt.