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vor 6 Monaten - 10.11.2023
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Diese Diagnose ändert alles…

..das war immer die These, die wir im Kopf hatten, wenn ein behandelnder Arzt die Krebsdiagnose übermittelt. Ich behaupte, dass es, wie bei uns, die Therapie war, die alles auf den Kopf gestellt hat.
Nach der Diagnose fiel Mutti in einen merkwürdigen Zustand zwischen Trance und Mechanismus zu funktionieren. Fast negierte sie die Tatsache, dass da jetzt ein  Mitbewohner in ihr steckte, der sie all ihre Kraft und ihren Lebensmut kosten könnte.
Sie nahm die Operationen auf sich und versteckte tiefe Schatten unter den Augen unter Camouflage, das schütter werdende und sich schließlich verabschiedende Haar unter einem Tuch und lachte dennoch jedes Mal, fast rebellisch laut, dass uns Geschwistern angst und bange wurde.
Ist sie jetzt verrückt geworden?
Sie trug schon Jahre ihren Lieblingsduft  Elle von Xerjoff, der sie wie ein Schleier umhüllte und  der sie durch viele dunkle Stunden ihres Lebens und nun durch Tage voller Bedenken ob der Nebenwirkungen der anstehenden Chemotherapie hob.
Sie entschied sich selbstbewusst gegen eine letzte zusätzliche OP, die der Optik eines Frauenkörpers zuträglich wäre, wie ihr von Ärzten angeraten wurde. Braucht sie nicht, mit einer fast theatralisch wirkenden Geste wischte sie auch die Einwände ihrer Kinder weg. Das blieb so, bis heute, 18 Monate nach der letzten Bestrahlung.
Dennoch änderte die Strahlen- und Chemotherapie alles.
Elle wurde verbannt, ebenso viele andere ihrer bis dahin heißgeliebten Düfte und sie war, so unser Eindruck, eher traurig darüber, dass die Rituale, die sie mit Elle verbanden, nunmehr der Vergangenheit angehören würden.
Unausgesprochen und dennoch so wahr.
Mutter konnte ihre Lieblingsdüfte nicht mehr riechen.
Also wurden ihre Jungs in die Spur geschickt, etwas Neues zu finden; etwas, das ihre Nase und ihr Herz genau so erobern könnte wie Elle. Unzählige Proben im Souk geordert, getestet, für nicht ansprechend und daher ungenügend aussortiert.
Dazu die Erkenntnis, die sich wahrscheinlich erst nach solchen Lebensereignissen einstellt, die Sache mit dem Ärgern. Man ärgert sich über eine unhöfliche Person, ihre herablassende Art, über Verhaltensweisen anderer im Allgemeinen, die man nicht zu ändern vermag, weil es schlichtweg dem Charakter der anderen Person geschuldet ist. 
Man verschwendet Gedanken und Emotionen über Lappalien, die es nicht wert sind, einen derartigen Stellenwert zu erlangen. Verschenkte Lebenszeit, sich zu ärgern.
Was ist mit der Erkenntnis, dass man von anderen nicht erwarten kann, sich zu ändern, nur sich selbst?
Dieser Weg kann eben auch Positives beinhalten. Die Erkenntnis, schlechten Menschen aus dem Weg zu gehen, ungebührliches Verhalten zu ignorieren und in allem auch etwas Gutes zu sehen.
In einem Soukdeal wurde nicht, wie im Vorfeld vereinbart und bezahlt, versendet.  Während wir nun auf die Probe für Mutti hin schmachteten, schauten wir immer wieder auf die Pinnwand der der Person, ob vielleicht auch andere auf ihren Brief warteten.
Also geduldig gewartet und die Hoffnung trotz negativer Gedankenblitze nicht aufgegeben. Nach 10 Tagen des Einwurfs kam die Sendung an. Sie war es leider nicht, die die Nase von Mutti becircen konnte. Schade, hätte ja sein können. Aber, was wurde denn auf der Pinnwand als Signaturduft angegeben? 
Die Dame, die -zumindest einem Foto nach- im gleichen Alter wie Mutter zu sein scheint, gab einige Informationen zu diesem Duft an und wir schauten dann hier weiter, lasen Statements und kamen zu dem Schluss, dass könnte er sein. Haben wir nicht eine Probe von diesem Duft in einem anderen Tausch als Beigabe bekommen? Vor etwa  zwei Jahren? Achtlos beiseite gelegt? Also in die Kiste geschaut und da kam sie zum Vorschein.
Mutti überreicht und vielsagend gedeutet, sie möge bitte in unserem Beisein testen und bei der Beurteilung auch berücksichtigen, dass diese Probe schon 24 Monate, zwar kühl und dunkel, aber eben schon zwei Jahre im Plastikröhrchen herum gelegen habe.
Was soll ich sagen? In allem, was uns an vermeintlich Schlechtem widerfährt, scheint uns auch etwas Gutes zu begegnen. In unserem Fall  der neue Signaturduft einer uns so wichtigen Person. Muttis neuer Lieblingsduft.
 

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